6841065-1975_44_07.jpg
Digital In Arbeit

Zwei Schritte vor, einer zurück

Werbung
Werbung
Werbung

Die sechste provisorische Regierung Portugals bot Europa und den Vereinigten Staaten im speziellen, der Welt im allgemeinen, ein Bild dessen, was die portugiesische Revolution auf der pluralistischen Linie anstrebte und was, einigen Nachdruck vorausgesetzt, das Land doch wenigstens an den Beginn jenes Weges gebracht hätte, der es aus der bisherigen Anarchie zu einer nationalen Wiedergeburt führen könnte.

Admiral Pinheiro de Azevedo übernahm ein trauriges Erbe, das u. a. aus einem auf tausend Millionen Dollar geschätzten Staatsdefizit besteht, dem Zehnfachen also jenes Defizits, das Portugal im Dezember 1973 auswies, als noch Marcello Cae-tano die Macht innehatte. Die negative Bilanz der verstaatlichten Banken hat allein während des Monats September 30 Millionen Dollar erreicht. Im Transportwesen (sowohl zu Lande, als auch zur See und in der Luft) erwartet man ein Defizit von 200 Millionen, in der Sozialversicherung von 400 Millionen Dollar — dies alles ohne Berücksichtigung der Konkurse und Zusammenbrüche, die sich sozusagen täglich bei den kleinen und mittleren Unternehmungen der industriellen Produktion und Weiterverarbeitung vollziehen.

Tatsache ist, daß die Revolution ein für das Land gefährliches Stadium erreicht hat, und dies nicht nur im Hinblick auf die Volkswirtschaft. So mangelt es in den größeren Städten, wie Lissabon und Porto, ebenso wie im Fremdenverkehrsgebiet der Algarve, bereits an den nötigsten Produkten, wie etwa Butter, Zucker und Weizen. Der schwarze Markt für alle Dinge des täglichen Bedarfs, die allerdings von der Regierung längst zu „Luxusartikeln“ erklärt wurden, spielt im Alltag der Portugiesen eine geradezu. | privilegierte Rolle. In Lissabon kommt die

Bevölkerung durch die unausgesetzten Aufmärsche der extremen Linken, den offenen Diebstahl von Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenständen, nicht zur Ruhe, während im Lande nördlich des Tejo die Parteilokale der Kommunisten und der extremen Linken immer wieder von empörten Menschenmassen überfallen und zerstört werden.

In der sechsten provisorischen Regierung Portugals verwirklicht sich übrigens die revolutionäre These Lenins, wonach immer zwei Schritten nach vorne ein Schritt zurück folgen müsse. Die portugiesische Linke hat sehr wohl die Lektion des für den Fall des zaristischen Imperiums Verantwortlichen Verstanden, der einst seine „Schritte zurück“ unternahm, um die Revolution weiterführen zu können. Als einen „Schritt zurück“ bezeichnete es auch Admiral Pinheiro de Azevedo (einstmals. Liebkind bei der NATO, heute sich selbst als authentischer Marxist demaskierend), daß er die Regierungssitze unter den drei stimmenstärksten Parteien verteilt und überdies noch unabhängige Technokraten ins Ministerium berufen habe.

Angesichts dieser neuen Zusammensetzung der Regierung und auf Grund einer entsprechenden Aufforderung der Junta an den Generalsekretär der sozialistischen Partei, Mario Soares, begab sich dieser wieder auf Reisen quer durch Europa, um die verzweifelt erhoffte Wirtschaftshilfe der EG und, wenn es sein muß, sogar der fast schon selig entschlafenen EFTA, zu erlangen, nicht zu vergessen die Dollars der Amerikaner. Allerdings vergeht inzwischen Zeit und die von der Regierung Azevedo ebenso wie von der Rechten und den Kommunisten erhoffte Wirtschaftshilfe läßt auf sich warten, : .' ,

Während der Premierminister noch wegen der Regierungsbildung verhandelte, begab sich General Spi-nola aus Brasilien nach Paris, was von der Weltpresse mit viel Lärm, großen Erwartungen und völlig unwahrscheinlichen Schlußfolgerungen zur Kenntnis genommen wurde. Tatsache ist, daß Spinola die portugiesischen Bankiers Antonio Champali-maud, Miguel Quina, sowie den nicht gerade als Skrupulant bekannten Manuel Bulhosa empfangen hat, um von ihnen zehn Millionen Dollar für antikommunistische Widerstandsgruppen in Portugal zu erhalten. Dabei traf sich Spinola auch mit emigrierten Politikern und Militärs.

Die bisherige „gegenrevolutionäre“ Aktivität erreichte jedenfalls ihren einzigen Höhepunkt mit der Veröffentlichung eines Interviews, das der Korvettenkapitän Alpoim Cal-väo der portugiesischen Wochenzeitung „Tempo“ gab. Calväo ist der Führer eines Handstreiches auf Co-nakry, der den Tod Amilcar Cabrals, des Generalsekretärs der Unabhängigkeitsbewegung für Guinea Bissau, zur Folge hatte. In seinem Interview versicherte er, daß die Demokratische Widerstandsbewegung für die Befreiung Portugals (M. L. D. P.) eine Tatsache sei und daß er hoffe, Weihnachten 1975 bei seiner Familie in Lissabon feiern zu können.

Wenn es wahr ist, daß die wenigen noch übriggebliebenen Kapitalisten Portugals General Spinola die von ihm für einen effektiven Widerstand als notwendig erachteten zehn Millionen Dollar auf den Tisch gelegt haben, könnte in Kürze Blutvergießen nicht mehr zu vermeiden sein, wobei der 11. November insofern einen Stichtag darstellt, als zu diesem Datum Angola unabhängig werden soll. Angola befindet sich bekanntlich im Einflußbereich der USA und diese haben ihrerseits nicht die geringste Absicht, eine portugiesische Konterrevolution in diesem Uberseeterritorium zuzulassen, dem-zuliebe alle Portugiesen während der vierzehn Jahre des Kolonialkrieges den populären Slogan nicht nur von Regierungsseite zu hören bekamen, sondern mit all ihrem Temperament durch die Straßen riefen: „Angola e nossa — Angola ist unser!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung