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Schwarzes Chaos

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In einer Lissaboner Wohnung klingelte das Telephon: „Senhora Maria Lopez de Campos?“ fragte der unbekannte Anrufer. „Ich will Ihnen nur mitteilen, daß Ihr Sohn, Franco, bei Luanda fiel. Er wurde exekutiert! Sein Leichnam ist in unserem Besitz. Wir können ihn Ihnen aushändigen. Was werden Sie uns dafür bezahlen?“

Derartige „Verständigungen“ erhielten mehrere Familien in Lissabon, Porto, Luanda und Nova-Lisboa in letzter Zeit, mit den Varianten, daß es sich jeweils um Ehemänner, Väter, Söhne und andere Verwandte handelte. Die Lissaboner Zeitung „O Tempo hat berichtet, daß ein wahrer „Handel mit Kadavern“ (Tra-fico de cadäveres) begonnen habe und daß die Mörder Lösegeld für Leichname verlangten. Die Niedertracht hat anscheinend keine Grenzen. Es gibt Menschen, die mit Leichnamen Handel treiben, in einem Land, das man früher das „Land der Diamanten“ nannte. Angola ist nämlich der zweitgrößte Diamantenproduzent der Welt, nach Südafrika, und war einst der „schönste Diamant der portugiesischen Königskrone“.

Ungefähr eine halbe Million Portugiesen lebte in Angola, meist schon seit Generationen. Mehr als 30.000 von ihnen konnten bereits nach Portugal entkommen. Sie mußten das Land, in dem sie geboren waren und gearbeitet hatten,' mit einem oder zwei Handkoffern verlasseh. Wir sahen angolesische Demonstranten, wie sie auf dem Hauptplatz Lissabons, dem Rocio, aufmarschierten und, portugiesische Fahnen schwingend, zur Straße der Freiheit, der Avenida de la Liberdade, zogen. Sie trugen Spruchbänder mit den Aufschriften „Luanda“, „Cabinda“ und „Nova-Lisboa“. Eine Gruppe aus Angola besetzte die Filiale der Angolesischen Bank in der Hauptstadt; sie forderten Wohnung, Arbeit und den Umtausch ihres afrikanischen Geldes. Der angolesische Escudo ist in Europa wertlos geworden. Der „Banco de Ultramar“ auf dem Rocio wurde rechtzeitig von Einheiten der Sicherheitstruppen besetzt, um zu verhindern, daß die Angolesen ihn stürmten.

Die erbitterten Flüchtlinge hatten in große* Zahl den Admiral Rosa

Coutinho, der von der Konferenz der „Blockfreien“ aus Lima heimgekehrt war, auf dem Flugplatz erwartet. Der ahnungslose westliche Zeitungsleser hat sich wohl schon oft gewundert, wieso ein portugiesischer Admiral moskaufreundlicher ; Marxist sein kann. Kurioserweise gibt es viele Marxisten unter den Marineoffizieren Portugals. Moskau hat wieder einmal vorsichtige, intelligente Kleinarbeit während der fünfzig vorangegangenen Jahre geleistet. Weil aus der gesamten portugiesischen • Intelligenz die Offiziere der Kriegsmarine am leichtesten im Ausland anzusprechen waren, versuchte Moskau eben, sie im Ausland zu beeinflussen und zu in-doktrinieren. Während Luftwaffe und Heer mit einer Mehrheit von mehr als 80 Prozent den importierten Marxismus ablehnen, steht das Gros der Kriegsmarine unter kommunistischem Einfluß.

Rosa Coutinho ist kahlköpfig und erhielt daher den Spitznamen „Rosa-Yul Brynner“. „Vor ein paar Wochen entschloß er sich, eine Perücke aufzusetzen, denn nur so konnte er sich vor den Demonstranten in Luanda retten“, erzählte ein portugiesischer Kollege.

Nach seiner Rückkehr aus Lima sagte der „rote Admiral“ den Journalisten, er komme in ein feindliches Territorium, nach Europa nämlich, zurück und fügte hinzu: „Wir können nicht länger die Lakaien Europas bleiben! Europa betrachtet uns als zweitrangig.“

Der Lissaboner Journalist Varela Soares — kein Verwandter übrigens des Sozialistenführers — hielt sich als Korrespondent des „Tempo“ kürzlich in Angola auf und berichtete: „Die Menschen wagen nicht, zu sprechen... Ein junger Mann stand neben mir. Er weinte und tröstete seine weinende Gattin, die ein Baby auf dem Schoß hielt: ,Du wirst sehen, wir werden dieser Hölle entkommen.' Nicht weit davon stöhnte ein alter Mann: ,In 60 Jahren habe ich nicht so viel Grauen gesehen wie in diesen Tagen!'“ Später sprach der Korrespondent mit “einem jungen Mulatten, der erzählte: „Ich bin aus Bologingo gekommen. Ich habe dort auf dem Gemeindeamt gearbeitet. Acht meiner Kollegen wurden getötet, ich allein konnte fliehen. Ich sah mit eigenen Augen, wie zehn- bis zwölfjährige Mädchen von 15 bis 20 .Befreiern' vergewaltigt wurden. Ich will auf die Kapverdischen Inseln, von wo ich stamme, zurückgehen. In Angola kann man nicht mehr leben!“ In Lissabon kursieren Gerüchte über unmenschliche in Angola verübte Grausamkeiten, von Kreuzigungen sogar, doch wurde dergleichen noch nie von amtlicher Seite bestätigt.

Eine wichtige Region Afrikas versank in Chaos und Terror. Die afrikanische Geschichte der letzten 15 Jahre ist eine Kette dunkler Tragödien und erschreckender Anarchie: Kongo, Ka-tanga, der Bürgerkrieg im Sudan, die Überfälle auf portugiesische Besitzungen, Biafra — und nunmehr Angola! In den vergangenen 15 Jahren sind in Afrika mehr Menschen getötet worden, als Soldaten in Vietnam während dreier Jahrzehnte fielen.

Nicht nur die weißen „Kolonialisten“, auch Neger, Asiaten und Mischlinge flüchten in Massen aus Angola. Etwa 30.000 Neger wollen ihre angolesische Heimat für immer verlassen. Westliche Länder haben Hilfsaktionen eingeleitet. Die USA, Frankreich, England, die Bundesrepublik haben eine Luftbrücke zwischen Lissabon und Nova-Lisboa eingerichtet und täglich werden auf diesem Wege mehrere tausend Angolesen ins Ausland transportiert. Sie suchen eine neue Heimat in Portugal, Brasilien, Südafrika, Kanada, Frankreich und in den Vereinigten Staaten. Frankreich konnte etliche hunderttausend Flüchtlinge absorbieren, aber Portugal ist ein kleines Land und obendrein arm, das ärmste Land Westeuropas, mit kaum neun Millionen Einwohnern. Wirtschaftlich steht das Land heute außerdem am Rande des Zusammenbruchs.

Die Zeit drängt. „Schicken Sie nicht morgen die Flugzeuge, die Sie schon heute senden können!“ sagte ein portugiesischer Offizier. Der 11. November wird Angolas „Unabhängigkeitstag“ sein. Peking meldet dazu, daß Angola mit Sowjetwaffen überflutet wurde. Im Hafen von Luanda traf ein Sowjetschiff mit „Arzneimitteln“ ein, aber die „Medikamente“ waren Waffen. Die MPLA, die gegenwärtig Luanda beherrscht, steht unter sowjetischem Befehl. In Verbindung mit den Sowjetplänen für Angola zitiert eine Pekinger Zeitung einen der Sprüche des großen Mao: „Honig ist auf ihren Lippen und Tod in ihren Herzen; sie sind falsche Freunde.“

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