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Roberto und Viriato

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treuung, die hohe Kindersterblichkeit unter den Einheimischen (60 Prozent der Neugeborenen). Die Portugiesen haben es bisher nicht der Mühe wert gefunden, auf diese Vorwürfe mit sozialen Reformen zu antworten. Sie weisen unablässig darauf hin, daß Angola eine portugiesische Überseeprovinz sei, mit Betonung auf portugiesisch, und daß deshalb Angola ein innerportugiesisches Problem sei und bleibe.

Linke und rechte Unabhängigkeitsparteien

Die erste Unabhängigkeitspartei Angolas, die LNA (Liga Nacional Afri-cana), wurde 1929 gegründet, wenig später wurde das Gremio Africano ins Leben gerufen (später Associacäo Regional dos Naturais de Angola = Anangola). Noch vor 1945 taucht die Associacäo Africana du Sul de Angola (AASA), eine Eisenbahnarbeitergewerkschaft für Einheimische, auf. Unmittelbar nach dem zweiten

Weltkrieg — also zu einer Zeit, als der Kreml noch kein Interesse an „nationaler afrikanischer Bourgeoisie“ hatte, die sich zunächst gegen den Kolonialismus und später eventuell für den Kommunismus einsetzen ließ — traten junge Angolaner in literarischen Kontakt mit Afrikanern, die zum Teil eben vom europäischen Kriegsschauplatz heimgekehrt waren, wo sie für die Erhaltung der Menschenrechte und gegen einen faschistischen Diktator gekämpft hatten. 1954 wurde die UPA gegründet (Uniäo das Populacöes de Angola), die heute einflußreichste Unabhängigkeitspartei. Was Eric Rouleau in „Le Monde Diplomatique“ vom 7. September 1961 über den Chef der UPA, Holden Roberto, bemerkte, wurde von manchen Journalisten in anderer Form bestätigt: „Der Mann, der mich empfängt, wird jeden überraschen, der Klischeevorstellungen von einem ,RebelIenchef hat, der unbarmherzig Razzien und Massaker anordnet.

Roberto, ein Protestant, sieht wie ein Pastor aus. Er ist zirka 30 (genau: 33) Jahre alt, mittelgroß, hager, von aszetischem Aussehen und gewinnenden Umgangsformen... Er hört ge^ duldig zu, überlegt und antwortet ohne Umschweife. Er wählt seine Ausdrücke sorgfältig, bemüht sich um Genauigkeit und versucht offensichtlich nicht, seinen Gesprächspartner mit Behauptungen und übertriebenen Zahlen zu beeindrucken...“ Roberto arbeitet mit Dr. Liahuca, seinem politischen Berater, dem Vizepräsidenten Rosario Neto und anderen Leuten der UPA von Lepoldville aus. Außenpolitisch sucht er sein Heil im Westen.

Die UPA schlägt eine Übergangsperiode unter den Auspizien der UNO vor, welche die Ausbildung der politischen Elite überwachen soll. Von Rassenhaß oder Ressentiment gegen die Kirchen ist bei der UPA nichts zu spüren. Die Aufständischen wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen Portugiesen und anderen Weißen, ebenso zwischen „Salazaristen“ und progressiven Portugiesen. Wie Clifford Parsons, ein aus Angola ausgewiesenes Baptistenmissionäv, berichtet, sind dte Missionäre bei den Aufständischen in filtern Andenken, weil sie sieh nicht vorbehaltlos mit der Regierungspolitik identifiziert haben.

Den gleichen Blick für politische Möglichkeiten, die gleiche staatsmännische Reife, kann man der zweiten größeren Unabhängigkeitspartei (MPLA = Movimento Populär de Li-bertaeäo de Angola) nicht attestieren. Ihr Generalsekretär, Viriato da Cruz, hat 1960 die Gründung des „Solidaritätskomitees der DDR mit den Völkern Afrikas“ begrüßt. Propagandistisch ist die MPLA unheimlich rührig. Für: die östliche Orientierung scheint nicht eigentlich ihr Präsident,

Mario de Andrade, verantwortlich zu sein, sondern der secretaire adjoint, Marias Migueis. Auf panafrikanischen Konferenzen macht die MPLA viel von sich reden, aber ihr politischer Einfluß im Norden ist bis jetzt klein. Hingegen wirkt sie magnetisch auf junge Intellektuelle, weil sie Stipendien nach dem Osten vermittelt, welche der MPLA von Peking, der DDR, Tschechoslowakei und Moskau geradezu aufgedrängt werden.

Zeugungsfähige Demokratie

In unserer Reaktion und Aktion gegenüber Angola gilt es, zwei Extreme zu- meiden. Das eine: falschverstandene westliche Solidarität mit Portugal. Wer von afrikanischen Grausamkeiten weit hinten im angolanischen Busch hört, fühlt sich instinktiv zur „Verteidigung der abendländischen Kultur unter den Barbaren“ gedrängt. Hier muß scharf unterschieden werden zwischen den Slogans von der Lusita-nisierung Afrikas und sozialen, wirtschaftlichen, ethnographischen und kulturellen Realitäten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Angola nach Erlangung der Unabhängigkeit mit seinem ehemaligen Mutterland, Portugiesisch-Guinea und Mocambique im vielbesprochenen lusitanischen Commonwealth eine Symbiose eingeht — doch will es diese frei wählen. Und es ist unbestritten, daß die portugiesische Kolonialisation in Angola tiefe Spuren hinterlassen hat, die -nicht auszutilgen sind. Aber Westeuropa sollte sich endlich entschieden von einem Diktaturregime lossagen, das drauf und dran ist, durch seine halsstarrige Politik den ganzen Westen in Afrika zu kompromittieren (man darf nicht vergessen, daß die auf angolanische Dörfer abgeworfenen Bomben zum Teil aus NATO-Beständen stammen.'). Wir betonen „Regime“, nicht „Portugal“, denn die Portugiesen können sich unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht für oder gegen Salazars Afrikapolitik entscheiden. Die Opposition ist im Exil, ein paar Verwegene, die in Portugal blieben, werden mundtot ge-

macht. Offenbar steht hinter Salazars Angolapolitik nicht ein consensus po-pulii sondern eine Minderheit von Kolons und Militärs, die dem grand old man den Rücken steifen.

Das andere Extrem, dem westliche Entwicklungshelfer hin und wieder verfallen: unterschiedslos alle Unabhängigkeitsparteien unterstützen, mit Vorliebe jene, welche graphisch gut aufgemachte Broschüren herausgeben. Es dürfte einleuchten, daß die Karte, auf die wir setzen sollen, nicht jene der MPLA ist, die zwar nicht durch und durch kommunistisch, aber doch für den Leninismus-Marxismus anfällig ist. Wollen wir der Demokratie in Angola eine Chance geben, so müssen wir uns entschieden auf die Seite der UPA schlagen. Ob Angola ins Fahrwasser Ghanas, Malis, Guineas gerät oder sich in der Richtung entwickelt, die Tanganjika und Togo vorgezeigt haben, hängt zu einem großen Teil von uns ab. Um konkret zu werden: Es hängt von unserer Bereitschaft ab, Angolaner an westlichen Universitäten, technischen Hochschulen, Gymnasien, in unsere* Fabriken und Büros einzuladen und ihnen die Funktionen einer Demokratie begreiflich zu machen. Einen Ansatz gibt es in der Schweiz, den „Verein der Schweizer Freunde Angolas“. Laut Artikel zwei seiner Statuten bezweckt er die Pflege nger Kontakte zwischen Angola und der Schweiz, sucht besonders durch Vermittlung von Stipendien und durch anderweitige Unterstützung das Erziehungswesen Angolas zu fördern. Ein bescheidener Anfang!

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