6834071-1975_04_06.jpg
Digital In Arbeit

Spinola als Phönix?

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß der am 29. September 1974 zur Abdankung gezwungene General Antonio de Spinola in einigen Monaten wieder Portugals Staatspräsident wird. Er könnte eine konservative Mitte-Rechts-Koalition leiten, der dank der „Schweigenden Mehrheit”, die nur scheintot ist, eine entscheidende Rolle bei den Doppelwahlen zufiele. Derzeit erscheint es nicht ausgeschlossen, daß Spinola die Kandidatur einer Zentrumspartei oder einer Koalition mehrerer Parteien — vom linken Zentrum bis zur konservativ-liberalen Rechten — annehmen würde. In diesem Falle könnte Spinola die Wahlen gewinnen.

Einstmals leugnete Spinola, daß er weitere politische Ambitionen habe und versprach, nach den National- versammlungs- und den Präsidentenwahlen von der politischen Bühne abzutreten. In der total veränderten neuen Situation scheint er seine Pläne jedoch geändert zu haben. Die weitgehenden Differenzen zwischen den Sozialisten und Kommunisten, die sich vor allem an der Bildung einer KP-beherrschten Einheitsgewerkschaft entzündeten, lassen konservative Einigungshoffnungen blühen.

Die Zersplitterung der politischen Macht hat schon stärkere Länder als Portugal in ein Chaos geführt. Dafür boten Frankreich und Argentinien nach dem Zweiten Weltkrieg die besten Beispiele. Derzeit gibt es 52 politische Parteien in Portugal, die einander bekämpfen. Das interministerielle Pressebüro spricht von „nur” 37. Davon sind II als extremlinke, eine als anarchistisch, 10 als linke, 5 als gemäßigte, 8 als rechtsstehende und 2 als extrem-rechte zu bezeichnen. Ein bemerkenswertes Detail: die Portugiesische Kommunistische Partei wird dabei gar nicht als „extrem-links” eingestuft. Als extrem-links gelten nur Maoisten und Trotzkisten. Als „extrem-rechts” erscheinen in dieser Bewertung die „Causa Monärquica” und der „Par- tido Nacionalista Portugues”.

General Antönio Sebastiäo Ribeiro Graf de Spinola wurde im Jahre 1968 als Gouverneur und Oberkommandierender von Guinea-Bissau bekannt. Obwohl damals 70 Prozent des dortigen Territoriums von Aufständischen besetzt waren, konnte Spinola die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung für sein Reformprogramm erhalten. 1972, nach seiner Rückkehr, wurde er wie ein Nationalheld gefeiert, und mit General Costa Gomes, der ihm inzwischen als Staatspräsident nachgefolgt ist, zum stellvertretenden Generalstabschef ernannt. Als Spl- nolas Buch: „Portugal e o Futuro” erschien, wurden dann beide verabschiedet. Bekanntlich schlug Spinola eine Föderation zwischen Portugal,

Mocambique und Angola vor. Spinola ist zweifellos ein Konservativer und verurteilt den Anarchismus und die marxistische Aggressivität, die heute „im Schatten der Freiheit” blüht. Ihm sind „systematischer Negativismus”, übertriebene, egoistische „Parteiinteressen” zuwider und er hält die „Installierung einer realen Demokratie” für eine „moralische Verpflichtung”. Gutmütig und naiv? Jedenfalls ein ambitionierter Fahnenträger für die „Schweigende Mehrheit”, die endlich „aufwachen und sich verteidigen sollte”. Als er die Aussichtslosigkeit des Widerstands in Afrika erkannt hatte, schmückten ihn viele Landsleute mit dem Epitheton ornans „Portugals de Gaulle”. Die erste Herrschaftsetappe Spinolas war aber viel kürzer bemessen als jene seines französischen Vorbilds, sie währte vom 22. Februar 1974 bis zum 29. September desselben Jahres. Jedenfalls war er der erste, der der Rache der „afrikanischen Geheimarmee” Stirn geboten hatte.

„Geheimarmee?” Jawohl! Viele von den mehr als 30.000 Portugiesen, die aus Mocambique nach Südafrika flüchten mußten, bekennen sich als solche. Diese Siedler wollen gemeinsam mit Mischlingen, Asiaten und Farbigen versuchen, das große Land — dreimal größer als die deutsche Bundesrepublik — durch Terroraktionen zurückzugewinnen. Das Schicksal der französisch-algerisehen „Geheimarmee” müßte hier allerdings ein verhängnisvolles Memento sein. Ob sie auch in Angola, das zweimal größer als Frankreich ist und nur 6 Millionen Bewohner zählt, Nachahmer finden werden, ist fraglich.

13 Jahre Widerstand in Afrika hat Portugal zum ärmsten Land Westeuropas gemacht. Wenn es von der Europäischen Gemeinschaft genügend Starthilfe bekommt, wird Lissabon wahrscheinlich eine gesündere Wirtschaft aufbauen und die enorme Konkursmasse des verspielten Reiches liquidieren können.

Anfangs haben die Kommunisten General de Spinola mit Glacehandschuhen angefaßt und erst nach seiner Abdankung setzte ihre Kritik ein. Die KP-Attacken werden an Intensität und Heftigkeit zunehmen, wenn Spinola offen Farbe bekennt und die Leitung einer konservativen Koalition übernimmt. Dann wird der „General mit dem Monokel” zur Zielscheibe der Massenmedien werden. Man wird ihm vorwerfen, daß er im Spanischen Bürgerkrieg als Freiwilliger auf seiten der Franco- Truppen gekämpft hat und daß er in Stalingrad portugiesischer Militärbeobachter bei der 6. deutschen Armee war.

Die „schweigende Mehrheit” Portugals ist derzeit eher eine „zum Schweigen gebrachte Mehrheit”, aber vor den diesjährigen Doppelwahlen wird sie wahrscheinlich ihr Haupt erheben, um eine totale kommunistische Machtübernahme zu vereiteln. Die Nachkommen der einstigen stolzen Navegadores wollen das Staatsschiff jedenfalls nicht auf Moskauer Kurs steuern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung