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70 Prozent für die „Spinolisten“

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Nach dem Putsch — die Arbeit. Die portugiesische Erhebung tritt in ihre zweite Phase. Sie zu bewältigen, wird den Offizieren wesentlich schwerer fallen, als der Aufmarsch der Panzer in Lissabon. Denn nach dem Rausch der Befreiungsfeiem vom 1. Mai läßt der portugiesische Alltag bereits jetzt jene Schwierigkeiten erkennen, die am ersten spürbar sein werden: die nur durch ordre de moufti gebremste Kapitalflucht und der weitere Fall der Währung. Der neue Finanzminister des Übergangskabinetts berät pausenlos, um die Inflationsrate zu bremsen.

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Nach dem Putsch — die Arbeit. Die portugiesische Erhebung tritt in ihre zweite Phase. Sie zu bewältigen, wird den Offizieren wesentlich schwerer fallen, als der Aufmarsch der Panzer in Lissabon. Denn nach dem Rausch der Befreiungsfeiem vom 1. Mai läßt der portugiesische Alltag bereits jetzt jene Schwierigkeiten erkennen, die am ersten spürbar sein werden: die nur durch ordre de moufti gebremste Kapitalflucht und der weitere Fall der Währung. Der neue Finanzminister des Übergangskabinetts berät pausenlos, um die Inflationsrate zu bremsen.

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Niemand wagt daran zu denken, was passieren könnte, wenn eines Tages die Massen der Portugiesen aus Ubersee zurückfluten sollten — Zivilisten und Soldaten, Weiße und Farbige —, wenn der Wehrdienst von derzeit vier Jahren auf europäisches Normalmaß zurückgeschraubt werden könnte. Ein Exodus aus Afrika würde von der portugiesischen Wirtschaft nicht bewältigt werden können. Schon jetzt kehren viele Gastarbeiter aus Europa zurück, aber sie werden vergeblich auf spürbare Lohnerhöhungen warten.

Auf politischer Ebene zeichnen sich zwei entscheidende Entwicklungen ab. Die Öffnung der Innenpolitik nach allen Seiten und die Neuorientierung der Außenpolitik. Sie betrifft vor allem die portugiesischen Teilstaaten auf dem afrikanischen Kontinent: Guinea, Angola und Mocambique.

In der Innenpolitik überraschte zunächst die Großzügigkeit der Junta gegenüber der linken Volksfront. Ein General, der schließlich der klassischen Führungsschicht dieses Landes entstammt — ein Mann der Rechten also — lädt die kommunistische Partei zur Teilnahme, zur Mitverantwortung zumindest an der Ubergangsregierung ein, die bis zur Wahl der Nationalversammlung in einem Jahr, die dann eine neue Regierung bilden soll, im Amt bleibt. Die endgültige Regierung wird ebenfalls Spinola, die neue Vaterfigur Portugals, selbst bestätigen müssen.

Bis jetzt haben sich nur die drei Linksgruppen der Volksfront profiliert: Dr. Mario Soares, dessen Bedeutung im Ausland überschätzt wird, und der sich mit seiner Good-willtour durch Europa als Außenminister anbot, ist der Chef der Sozialdemokratischen Partei Er verband sich mit dem Chef der kleinen kommunistischen Partei, Alvaro Cunhal, der wie Mario Soares aus dem Exil zurückkehrte. Beide blik-ken auf den dritten Mann, Professor Pereira da Moura, der bei der Linken wesentlich mehr Gewicht besitzt als alle anderen zusammengenommen, und der sich noch nicht zu einem Bündnis äußerte. Pereira ist der maßgebliche Mann der CDE-Wählergemeinschaft, die 1969 mit weitem Abstand die Sozialdemokraten schlug. Er war der heimliche Gewinner beim Kongreß der Demokratischen Opposition in Aveiro vor einem Jahr. Der Wirtschaftswissenschaftler läßt sich am besten als marxistisch-katholischer Radikalsozialist einordnen.

Am lautesten gebärdet sich die maoistische MRPP: Sie ist die kleinste der linken Gruppen und mußte auch als erste gegen sie gerichtete, aber in die Luft gefeuerte Schüsse der Militärs hinnehmen. Das geschah, als sie Soldaten daran hindern wollte, eine Transportmaschine nach Afrika zu besteigen.

In der politischen Mitte melden sich die Liberalen der schon von Caetano als eine Art Schattenkabinett gemäßigter Oppositioneller ins Leben gerufenen SEDES. Hier finden sich vor allem moderne Wirtschaftler: ihr Sprecher ist der Anwalt aus Porto, Dr. Sa Carneiro. Weiter rechts hat sich außer den Monarchisten noch nichts gemeldet. Hier werden sich wohl die Anhänger Spinolas mit den konservativen Kräften des Landes zusammentun. Kenner der politischen Szene sagen voraus, daß die „Gaullisten“ Portugals die „Spinolisten“, über 70 Prozent der Stimmen erhalten werden. Bei der Betrachtung der Ubergangsregierung darf man nicht vergessen, daß sie bewußt der Linken mehr Gewicht gibt, als dieser zusteht, wohl um der demokratischen Legitimation willen, die Spinola im Rahmen der europäischen Gemeinschaft und der NATO erringen will.

Dennoch wäre es falsch, anzunehmen, daß außenpolitisch alles beim alten bliebe. Seine Zugeständnisse an die KP, mehr aber noch seine Afrikapolitik, zielen auf eine eigene Ostpolitik. Er sucht die Sowjetunion, die schließlich mit den Chinesen in Tansania in imperialistisch orientierter Rivalität steht, zu einem Stillhalteabkommen zu bewegen. Schon sandte Spinola seinen wichtigsten Mann, den einstigen Generalstabschef Costa e Games, nach Angola zu Verhandlungen. Nicht nur mit den Rebellenbewegungen, sondern viel mehr noch sucht er den Kontakt mit den wirtschaftlichen Führungskräften dieses Teilstaates. Sie sind ebensowenig wie die vielen weißen Bürger und Siedler und gewiß auch die Mehrzahl der Schwarzen und Mischlinge gegen eine Trennung vom Mutterland Portugal.

Nach Mocambique reiste Lissabons Bürgermeister mit dem gleichen Ziel. Hier kam es schon zu Protestkundgebungen der Portugiesen in der Hauptstadt Lourengo Marques gegen den „Verzichtpolitiker“ Spinola. Der Unterhändler sollte jedoch die führenden Kräfte davon überzeugen, daß vorläufig nicht an eine Übergabe gedacht sei, daß vielmehr die Rebellenbewegungen aufgefordert sind, sich an der politischen Neugestaltung der Teilstaaten mitverantwortlich zu beteiligen. Und zwar, nachdem sie ihre Feindseligkeiten eingestellt haben und nachdem alle Bewohner sich in freien Wahlen ausgesprochen haben. Zur Zeit würden solche Wahlen zweifellos zugunsten Portugals ausfallen. Allerdings nicht eines zentralistischen! Spinola plädiert für ein „multinationales“ lusi-tanisches Reich der gleichberechtigten Teilstaaten, das auch den eigenen Führungskräften mehr Spielraum ließe als jetzt. Die Frage bleibt: Welchen Preis verlangt die Sowjetunion, neben China Waffenlieferant der Rebellen?

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