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Statt drei Gewalten — das Heer

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Die spannungsreiche Auseinandersetzung um die Re-Demo-kratisierung Argentiniens, bei der Präsident General Alejan-dro Lanusse nach vieldiskutierten internen Beratungen der Generäle dem Madrider Fernlenker der „Justicialistas“, dem Expräsidenten Juan Domingo Perön, das Ultimatum stellte, vor dem 25. August nach Argentinien zurückzukehren und dort 14 Monate bis zum Regierungswechsel zu bleiben, oder auf die von seinen Anhängern proklamierte Fräsidentschaftskandidatur zu verzichten, wirft die Frage auf, wie die lateinamerikanischen Militärregime funktionieren.

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Die spannungsreiche Auseinandersetzung um die Re-Demo-kratisierung Argentiniens, bei der Präsident General Alejan-dro Lanusse nach vieldiskutierten internen Beratungen der Generäle dem Madrider Fernlenker der „Justicialistas“, dem Expräsidenten Juan Domingo Perön, das Ultimatum stellte, vor dem 25. August nach Argentinien zurückzukehren und dort 14 Monate bis zum Regierungswechsel zu bleiben, oder auf die von seinen Anhängern proklamierte Fräsidentschaftskandidatur zu verzichten, wirft die Frage auf, wie die lateinamerikanischen Militärregime funktionieren.

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Die übliche Gegenüberstellung von „Demokratie“ und „Militärdiktatur“ verführt zu der Vorstellung, daß in den lateinamerikanischen totalitären Regimen ein hoher Offizier als „starker Mann“ herrscht. Wenn man von Paraguay absieht, so hängt die politische Willensbildung in den Ländern ohne freie Wahlen nicht von dem Ermessen oder gar der Willkür des sogenannten Präsidenten ab. Wie zweitrangig bei der heutigen politischen Konstellation die Persönlichkeit des „Diktators“ ist, sieht man aus seiner häufigen Ablösung. In der argentinischen „Casa Rosada“ haben in den letzten 16 Jahren nicht weniger als acht Präsidenten Platz genommen. Das seit dem Sturz des freigewählten Präsidenten Illia (1968) herrschende Offiziersregime hat schon drei Präsidenten-Generäle (Ongania, Levingston und Lanusse) verbraucht.

In Brasilien konnten in den letzten 46 Jahren nur zwei Präsidenten (Dutra und Kubitschek) ihren freigewählten Nachfolgern das Amt übergeben. Es ist rein zufällig und beruht nicht etwa auf einer parallelen Entwicklung mit Argentinien, daß auch in Brasilien das — 1964 errichtete — Militärregime dieselbe Zahl von Staatsoberhäuptern aufzuweisen hat. (Nach Castelo Branco und Costa e Silva regiert Garrastazü Me-dici.)

Die Zeit der „Caudillos“, der lateinamerikanischen Volkstribunen, scheint vorüber zu sein. Vor kurzem hielt der argentinische Innenminister Dr. Arturo Mor Roig vor den Heeresgenerälen einen Vortrag über die Problematik der argentinischen Verfassungskrise. Er wurde aufgefordert, ihn vor den Admirälen zu wiederholen, und man betrachtete es als Brüskierung ihm gegenüber, daß die Luftwaffenkommandanten ihn nicht auch konsultierten. Jetzt herrschen die Heere. Es gehört zu dem unbe-wältigten Erbe aus der Kolonialzeit, daß die Streitkräfte in den lateinamerikanischen Staaten (mit Ausnahme von Chile, Uruguay und Costa Rica) chronisch in der Verfassungswirklichkeit als vierte Gewalt im Staate, nämlich als höchstes Kontrollorgan, wirken. Auch ein freigewählter Präsident hütet sich, ihren Wünschen, ob sie nun auf Rüstungskäufe oder höheren Sold gerichtet sind, Widerstand zu leisten. Aber auch bei der Orientierung der Regierungspolitik spielen sie eine ausschlaggebende Rolle.

Während sich die Militärs in den meist kurzen Perioden demokratischer Regierungsführung auf die

Rolle des Schulinspektors gegenüber den unbändigen Schulkindern im Parlament beschränken, übernehmen sie die Macht, sobald die politische oder wirtschaftliche Funktionsfähigkeit des Staates nach ihrer Vorstellung in Frage gestellt ist. Durch den traditionellen Militärputsch konzentrieren sich — de facto, wenn auch nicht immer de jure — Rechte und Pflichten der drei Gewalten (Exekutive, Legislative und Justiz) auf die „Streitkräfte“. Diese treten nach außen in der Regel als Einheit auf. Im Innenverhältnis zeigt sich aber eine erstaunliche Parallele zu der Willensbildung in einem demokratischen Regime. Die „Parteien“ sind zunächst die drei Waffengattungen (Heer, Marine und Luftwaffe), von ihnen treten niemals die Soldaten, selten die Obersten und meist nur die höchsten Kommandostellen in Erscheinung. So liest man z. B. über eine Zusammenkunft, bei der die argentinischen Militärs über die umstrittene Form der Demokratisierung und die Verhandlungen mit Perön berieten: „Im Sitz des Oberkommandos des Heeres wird sich Lanusse mit den Divisionsgenerälen ..., den Kommandanten des I, II, III und V. Armeekorps v.., dem Genecalstabs-chef ... und dem Leiter der Militärakademien treffen.“ Auf. diese Weise kommt die politische Willensbildung innerhalb des Heeres zustande. Die Exekutive des argentinischen Militärregimes ist eine „Junta“, also ein Ausschuß, der aus den Kommandanten der drei Waffengattungen besteht. Nach der Geschäftsordnung müßte der Kommandant der Luftwaffe im Jahre 1973 den turnusmäßigen Vorsitz der „Junta“ und damit die Präsidentschaft des Landes übernehmen. (Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten.) Nun dringen in der Regel die Debatten nicht in die Öffentlichkeit. Aber den wechselnden Ansprachen des Präsidenten Lanusse und zahllosen Indiskretionen hat man entnommen, daß die Mehrheit der Militärpartei den Verzicht Peröns auf eine mögliche Kandidatur — parallel zu einer entsprechenden Erklärung Lanusses — und eine Absprache mit den Parteien über deren etwaige Regierungspolitik verlangt. Es kommt selten dazu, daß abweichende Meinungen mit dem Argument der Gewalt vertreten werden; aber man sah auch schon Tanks nach Buenos Aires rollen und „feindliche“ Heeresgruppen aufeinander schießen. Freilich ist das die große Ausnahme. In der Regel beugt sich der Unterliegende — freiwillig oder unfreiwillig — der Mehrheit. So ließen sich Ongania und Levingston von ihren Generalskollegen unter Protest absetzen. — Man kann auch von Fraktionen innerhalb der Militärpartei sprechen; so gibt es eine nationalistische Gruppe, die eine autarke Entwicklungspolitik befürwortet, Staatsgesellschaften begünstigt und eine enge militärische und vor allem wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA ablehnt.

Nicht nur aus der Oberschicht

Freilich sind sowohl die argentinischen wie die brasilianischen Generäle rechts orientiert. Ihr Revolutionsmodell ist antipopulistisch (im Gegensatz zu dem peruanischen, das linksnationalistisch orientiert ist, ohne daß man bisher über seine interne Willensbildung urteilen könnte). Die Zusammensetzung des Führungsteams ergibt sich zum Teil aus sachlichen Kriterien. So wurden nach der Revolution von 1955 beim Sturz Peröns alle sogenannten perönisti-schen Offiziere entfernt, während in Brasilien bei dem Putsch von 1964 die Generäle in den Ruhestand treten mußten, die mit dem abgesetzten Präsidenten Goulart sympathisierten. Die Vorstellung, daß die Offizierskorps der Oberschicht entstammen und nur deren Interessen vertreten, ist unrichtig. Über drei Viertel der brasilianischen Offiziere kommen aus dem Mittelstand. Die Wahlen, durch die in demokratischen

Regimen Politiker zu führenden Positionen gelangen, werden durch die Beförderung ersetzt. Der Einfluß des Militärpräsidenten ist in Wahrheit vor allem deshalb so stark, weil er und einige seiner engsten Mitarbeiter bestimmen, welche ihrer Kameraden in die höchsten Kommandostellen aufsteigen und dadurch automatisch zu der Rolle von Ministern einer Koalitionsregierung gelangen. So rekrutierte sich der Kreis um Castelo Branco vor allem aus Generälen, die durch die oberste Kriegsschule, ,ySorbonne“ genannt, gegangen waren. Umgekehrt wurde als einer der Gründe, die das sogenannte „Militärwahlkollegium“ zur Berufung des jetzigen Präsidenten Garrastazü Medici veranlaßt hatten, genannt, daß er weder zu der internationalistischen (pro USA) Gruppe der „Sorbonne“, noch zu der radikalnationalistischen Fraktion des Generals Albuquerque Lima gehörte.

Oft sind es aber persönliche Beziehungen, die den Weg in die Führerclique der Militärdiktaturen ebnen. Die Tatsache, daß die internen Machtkämpfe weit weniger in die

öffentlichkeit dringen als in demokratischen Regimen, beweist nicht, daß sie weniger intensiv sind. Nur sorgen die Offiziere sehr dafür, nach außen den Eindruck der Einheit zu erwecken. Diese Tendenz entspricht der Hierarchie der Kommandogewalt, dem Korpsgeist und dem Bestreben, das Prestige der Streitkräfte zu wahren.

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