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Heer als Partei

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Der schwere Konflikt, der Argentinien wieder an den Rand der offenen Militärdiktatur geführt hat, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Offiziere in Lateinamerika. Sie ist deshalb so schwer auf einen Nenner zu bringen, weil sich ihre Wirkung nicht in dem „Verfa's-i sungsrecht“, sondern nur in der „Verfassungswirklichkeit“ zeigt. Die Militärregimes in Brasilien und Paraguay geben sich den Anschein von Demokratien, indem sie das Schattendasein von Parlamenten dulden. Zwischen der „rechten“ Militärdiktatur Pinochets in Chile und der „linken“ in Peru liegt ideologisch, innen-und außenpolitisch und vor allem wirtschaftlich eine Welt. Aber beide stimmen darin überein, daß Legislative, Exekutive und de facto auch die Justiz offen von den Offizieren gelenkt werden.

Nun ist die argentinische Situation ebenso paradox wie aufschlußreich. Die Präsidentin Maria Estela Marti-nez de Perön hatte zum Innenminister den Oberst Vicente Damasco ernannt, der es ablehnte, sich als Oberst pensionieren zu lassen. Nunmehr behaupten die Generäle der drei Streitkräfte, daß die Einsetzung eines aktiven Offiziers in das Amt des Innenministers das Militär zur Mitverantwortung an der Regierungspolitik zwinge. Mit der Begründung, nicht in das innerpolitische Geschehen eingreifen zu wollen, verwirklichte das Militär aber nun gerade das Maximum an Intervention: es machte Truppen mobil; ein anderer General, Carlos Delia

Larroca, übernahm gegen den Willen der Präsidentin, die nach der Verfassung allein über die Streitkräfte zu bestimmen hat, vorübergehend des Oberbefehl des Heeres. Die Offiziere verweigerten also der Präsidentin «nd dem amtierenden Chefkommandanten Laplane den Gehorsam und setzten ihn damit de facto ab. „Isabelita“ mußte nachgeben. Diese Entwicklung beweist, daß die Offiziere auch in dem einzigen lateinamerikanischen Staat südlich des Äquators, in dem sie behaupten, sich von der innerpolitischen Szene fernzuhalten, diese in Wirklichkeit beherrschen.

Das Interessante ist hierbei ihre Willensbildung. Die Kommandanten der drei Streitkräfte ähneln Parteioder Gewerkschaftsführern. Jedes wichtige Problem wird ihnen durch Vermittlung des Kriegsministers unterbreitet. Sie berufen die Generäle oder Admiräle ein, die etwa dem Parteivorstand entsprechen. Diese ihrerseits befragen ihre „Basen“, die man mit den Landesgruppen vergleichen könnte, die Obersten in den Garnisonsorten ihrer Armeekorps. Dabei spielen die drei Waffengattungen die Rolle von Parteien. Häufig sind Märine und Luftwaffe anderer Ansicht als das Heer. In der Regel siegt die stärkste Gruppe, das Heer. Zuweilen, wie beim letzten Konflikt bilden sich auch innerhalb einer Waffengattung verschiedene Gruppen. Die Führer der Armeekorps mit ihrem Generalstabschef ähneln dann einem Senat, in dem abgestimmt wird.

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