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Entscheidung in Madrid

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Der folgende Bericht stammt von einer spanischen Persönlichkeit, welche die Ereignisse und Entwicklungen des letzten Jahres in Madrid aus nächster Nähe betrachtet hat. Die ..Furche

Madrid, im März

Die Umbildung des spanischen Kabinetts am 25. Februar 1957 ist die wichtigste politische Veränderung in Spanien seit zwanzig Jahren. Die schwere innenpolitische Krise war im Jahre 1956 durch eine Reihe von Streiks und Unruhen sichtbar geworden und drängte zu einer Lösung. Die Regierungsumbildung, derzufolge zwei neue Ministerien geschaffen und zwölf neue Minister ernannt wurden, darf als ein Sieg der traditio- nalistischen und monarchistischen Kräfte gegen den radikalen Flügel der Falange, der zur Machtübernahme drängte, angesehen werden. Als Stützen der monarchistischen Bewegung sind die Generale Vigon (Minister für öffentliche Arbeiten), Vega (Inneres), Barroso (Armee); Lecea (Luftwaffe), Admiral Abarzuza (Marine) und Professor Castiella (Aeußeres) in die neue Regierung aufgenommen worden. Der traditionali- stische, katholische monarchistische Flügel der Armee half Franco, den Vorstoß der radikalen Falange unter Jose Luis de Arrese und Javier Conde, die ein Regime totalitärer Struktur, ähnlich dem Hitlers und Mussolinis, aber auch ähnlich sowjetischen Strukturen, errichten wollten, abzuwehren.

Verfolgen wir kurz die turbulenten Vorgänge des letzten Jahres, die mit der Zuspitzung der Wirtschaftskrise zu einem ökonomischen Chaos in den letzten Monaten einen Höhepunkt erreicht hatten. Deren Hauptursachen sind in den totalitären Experimenten des falangistischen Arbeitsministers Jose Antonio G i r o n, der dem Kabinett seit 18 Jahren angehört hatte und sich ein Superministerium aufgebaut hatte, und in der Schwerfälligkeit. Korruption und Ueber- zentralisierung des Regierungsapparats und der einzelnen Ministerien zu sehen. Der spanische Beamte wurde entmutigt, selbst initiativ zu sein, da alle Entscheidungen „von oben“ erwartet wurden. Die einzelnen Ministerien, teilweise mit Nurpolitikern und Demagogen besetzt, regierten gegeneinander. Dazu kam als besonders erschwerend, daß alle wichtigeren Entscheidungen durch den Ministerrat gehen mußten, der sich in endlos langen Sitzungen mit Fragen von oft ganz geringer Bedeutung abquälte. Franco mußte in allen Einzelheiten intervenieren, so wie einst Philipp II., Regierung und Verwaltung waren überzentralisiert und schleppten faktisch alle Mißstände aus der Zeit der liberalen Monarchie und der Republik mit sich. Dieser Regierung waren große Teile des Volkes entfremdet und sahen mit Sorge in die Zukunft: was sollte aus Spanien werden?

Die steigende innere Unruhe wurde nun 1956 von Arrese, Conde und ihren Partisanen zu einem Vorstoß der Machtübernahme ausgenutzt. Francos traditionelle Neujahrsrede 1956 befaßte sich mit dem brennenden Problem der irregeleiteten Jugend, die dem Staate völlig entfremdet war. Einen Monat später bestätigten die schweren Februarunruhen in Madrid seine schlimmsten Befürchtungen und zwangen ihn bereits, zwei Minister, den Unterrichtsminister und den Fnlangeminister, abzuberufen, ein vielbeachteter Vorgang, da bis dahin Franco nur dann Minister ablöste, wenn er es für opportun hielt. Diesmal zwangen ihn bereits die Umstände dazu. Und nun begann, für Monate, der falangistische Vorstoß, der das spanische Volk mit Schrecken erfüllte und an die Jahre von 1939 und 1940 erinnerte. Man sprach von der Rückkehr der Zeiten Serranno Suners (des Parteigängers Hitlers und Mussolinis). Die Reden Francos auf seiner Rundfahrt durch Andalusien dokumentierten einen extremen Falangismus der Bürgerkriegszeit vor 20 Jahren und wirkten erschrek- kend und irreal. Die Straße schien frei für die blauen Hemden der Falange, und in Madrid sprachen Arrese und seine Clique offen von der Notwendigkeit, die Straße zu gewinnen.

Hinter Arrese stand als geistiger Kopf dieser Bewegung Javier Conde, ein ursprünglicher totalitärer Linksradikaler, der von seinem „Institut für politische Studien“ her die Bewegung dirigierte. Es gelang, einige politische Persönlichkeiten, die sich dem Umsturz entgegenstellten, abzuschieben, und nun glaubte Arrese die Hände frei zu haben Arrese begab sich zu Franco und unterbreitete ihm den Entwurf eines Gesetzes über die Staatspartei und über die Organisation der Regierung als Forderung der Falange. Diese Gesetze sahen nicht mehr und nicht weniger vor als die Umwandlung Spaniens, das sich 1947 als Königtum konstituiert hatte, in einen totalitären revolutionären nationalsyndikalistischen Staat, der besser in das Europa Hitlers und Mussolinis als der Europäischen Union von 195 6 paßte. Es darf in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß Conde bereits seinerzeit nach dem Muster des deutschen „Führerstaates" seine „teoTia del caudil- laje", seine Staatslehre vom messianischen Führertum des Caudillo Franco, entworfen hatte.

Arreses Plan lief, kurz gefaßt, auf folgendes hinaus: die Partei steht über der Regierung, die Regierung hat ein Exekutionsorgan des „Neuen Staates“ zu sein. Die Junta Politica der FET und der PONS, der militanten Gruppen der „Bewegung“, der Falange, soll als eine Art Politbüro die Regierung überwachen, sie lenkt die Einsetzung und Abberufung der Minister, richtet den Staat zur Erfüllung ihrer revolutionären Pläne aus; sie neutralisiert das Heer und unterwirft es der Partei.

Dieser Entwurf stieß naturgemäß auf die heftige Ablehnung der nichtfalangistischen Minister, als deren Haupt der traditionalistische Justizminister Iturmendi, eine Verkörperung der rechtsstaatlichen Tendenzen in der spanischen Regierung, den Kampf mit Arrese aufnimmt. Infolge der eigentümlichen Verhältnisse des autoritären Staates spielen sich diese Kämpfe in der Siedehitze eingeschlossener Aem- ter ab. Es gelingt aber im Oktober und November 1956, in Madrid von Hand zu Hand die Gesetzentwürfe Arreses zu verbreiten und dergestalt die Bevölkerung, die an einer rechtsstaatlichen Entwicklung interessierten Kreise und nicht zuletzt die Armee zu alarmieren.

Die Falange versucht die immer noch steigende Wirtschaftskrise, die Streiks in Barcelona und Madrid und einige andere kleinere innere Unruhen für sich auszubeuten: Girons Ueber- ministerium stiftet Verwirrung durch eine völlig unerwartete Erhöhung der Gehälter. Die Kaufleute und Geschäftsleute halten seit Oktober 1956 die Waren zurück, spekulieren auf die Verschärfung der Lage. Eine Art kollektive Panik beginnt sich auszubreiten, dazu kommt nun,nach ein französische Manöver Pari , versucht auf der Börse von Tanger die Peseta zu Fall zu bringen und als internationale Währung auf dem Weltmarkt auszuschalten, zugleich den Franc als einzige Währung im spanischen Marokko und der alten spanischen afrikanischen Nordzone durchzusetzen. In Paris bereiten sich die spanischen sozialistischen Emigranten auf ihre Stunde vor. Eine französische Pressekampagne, welche die Unruhen in Spanien übertreibt, sucht gleichzeitig Spanien seine wichtigste Devisenquelle zu nehmen, den Fremdenverkehr, indem sie Spanien als vor dem Zusammenbruch stehend darstellt.

Inzwischen hat sich aber im Innern bereits die Wende vorbereitet, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die Armee, die traditio- nalistischen und monarchistischen Kreise stehen gegen die Falange. Als Arrese im Jänner im Prado bei Franco erscheint, hat Franco sich aus der würgenden Umklammerung durch die Falange bereits innerlich frei gemacht und erklärt ihm, daß Arrese mit seinem Staatsplan zu spät komme; dieser hätte sich 1939 verwirklichen lassen, jetzt sei es zu spät; Spanien habe sich 1947 als Königreich wieder konstituiert und sich im königlichen Staatsrat (Consejo del Reino) ein Organ geschaffen, das mit vielen Aufgaben bereits betraut sei, die jetzt die Partei für ihr Politbüro beanspruche. Arrese erbittet seine sofortige Entlassung, Franco nimmt diese nicht an, er entläßt die Falange nicht aus ihren Verpflichtungen und aus der Verantwortung für das Chaos, das sie zumindest mitgeschaffen hat. Arrese muß bis zur Regierungsumbildung bleiben und wird in der neuen Regierung, um habhaft zu sein, festgehalten (er erhält als Baumeister das technische Ministerium für Städtebau).

Die wichtigsten Fakten der Regierungsumbildung sind: die Besetzung wichtiger politischer Schlüsselpositionen mit monarchistischen und traditionalistischen Männern der Armee, die Ernennung von Fachleuten und Wirtschaftern zu Ressortministern, welche die Wirtschaftskrise, die Hauptursache der Unruhen der letzten Jahre, lösen sollen, und nicht zuletzt ein Gesetzwerk, das die Dezentralisation der Staatsapaarate einleiten, die Regierung vom Amt des Staatschefs trennen und dergestalt die Entwicklung des Rechtsstaates weitertreiben soll.

Auf Grund des neuen Gesetzes zur Reform der Zentralverwaltung des Staates können große Teile der Funktionen des Staatschefs auf den neuen Chef und das neue Amt der Regierungspräsidentschaft (also eine Art Ministerpräsidentschaft) übertragen werden: Luis Carrero Blanco ist ein verdienter Marineoffizier. Ministerkommissionen aus Fachministern bestehend, sollen nun eine Zusammenarbeit in der Regierung gewährleisten, an Stelle des Kampfes der von politisierenden Ministern geführten Ministerien gegeneinander. Anerkannte Fachleute, wie die Professoren Ullastres (Handel) und Gual Villalbi (Minister ohne Portefeuille und Präsident des neuen Wirtschaftsrates) werden als Gewährsmänner einer nunmehr ermöglichten positiven Entwicklung angesehen. Die radikalsten Falangisten neben Arrese, G i r o n und Cavestany, sind ausgeschieden worden. Arrese hatte die Armee der Falange unterstellen wollen; Franco hat nunmehr einen Mann der Armee an die Spitze der Partei gestellt.

„Die Partei“, die mit Hilfe der Krise und der Unruhen, die einige ihrer radikalsten Köpfe mitgeschaffen hatten, als Einheitspartei zur Machtübernahme ansetzte, ist damit dem Zorn des Volkes und der staatsmännischen Klugheit Francos zum Opfer gefallen.

Die Regierungsumbildung vom Jänner 1957 und die Abwehr des falangistischen Putschversuches öffnet Spanien die Tore in eine bessere, schönere Zukunft, wobei die neuen Gesetze der Dezentralisation die Entwicklung des Recht- itaates fördern werden. Als stärkste Kräfte der Bewahrung und des wahren Fortschrittes haben sich die jungen traditionalistischen und monarchistischen Kräfte erwiesen, die sowohl aus den Erfahrungen des Bürgerkrieges wie der Nachkriegszeit gelernt haben und heute bemüht •sind, Spanien als ein vollwertiges und eigenständiges Mitglied in die Gemeinschaft der freien Völker einzugliedern.

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