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Vorwärts nach Europa

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Seit dem Tode Stalins, oder auch seit der Abdankung des Präsidenten. Johnson hat die Welt nicht mit derart vielen Fragen in Ale Zukunft geblickt wie jetzt, nach dem Tode des panischen Caudillo Francisco Franco. Noch als lebender Leichnam hatte er Spanien in Bann gehalten, wie während der fast vierzig Jahre seiner Herrschaft vorher. Würde mit seinem Tod auch das System, das er geschaffen hat, zusammenbrechen? Würden sich in Spanien ähnliche Zustände wie in Portugal entwickeln? Würde ein weiteres Land in das Lager der marxistischen Welt hinüberwechseln?

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Seit dem Tode Stalins, oder auch seit der Abdankung des Präsidenten. Johnson hat die Welt nicht mit derart vielen Fragen in Ale Zukunft geblickt wie jetzt, nach dem Tode des panischen Caudillo Francisco Franco. Noch als lebender Leichnam hatte er Spanien in Bann gehalten, wie während der fast vierzig Jahre seiner Herrschaft vorher. Würde mit seinem Tod auch das System, das er geschaffen hat, zusammenbrechen? Würden sich in Spanien ähnliche Zustände wie in Portugal entwickeln? Würde ein weiteres Land in das Lager der marxistischen Welt hinüberwechseln?

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Der Ubergang der Macht vom gestorbenen Diktator auf den seit langer Zeit auf sein Amt vorbereiteten König geschah reibungslos. 86 Prozent der Bevölkerung, besagte eine Umfrage, seien für den neuen König. Spanien erlitt 1936 bis 1939 einen fürchterlichen Bürgerkrieg. Einen Bürgerkrieg, in dessen Schatten die Spanier noch heute leben. Jeder Spanier will die Freiheit, aber zugleich und in erster Linie den Frieden. Ein neuer Bürgerkrieg würde alles zerstören, was vierzig Jahre aufgebaut haben. In diesen vergangenen vierzig Jahren hat sich Spanien europäisiert, ist es ein wohlhabendes Land geworden, entstand eine gehobene Mittelschicht. Sollte das alles nun wieder verlorengehen?

In seiher Thronrede sprach Juan Carlos von der unantastbaren Einheit Spaniens, in der aber auch die Besonderheiten „der spanischen Völker“ anerkannt werden müßten. Damit legte er den Finger auf den wunden Punkt der Politik Francos. Der Caudillo hatte den altbourbonischen Zentralismus fortgesetzt, der keine Katalanen, Basken und Galicier kannte, sondern Spanien zu einem uniformen Land kastilischer Prägung zu machen versuchte. Nicht die sozialen Probleme waren es in erster Linie, die immer wieder zu lokalen Widerstandshandlungen gegen Francos Regime führten, es war die Nichtanerkennung der Individualität der einzelnen Völker des einen Spanien. Ist also auf den neuen König, der als zweiten Namen den Namen Carlos trägt, etwas von dem Geist des ersten Karl, als Römischer Kaiser Karl V., übergegangen? Und heißt der Sohn des neuen Königs ganz ohne Absicht Philipp? Karl V. hat das burgundische Zeremoniell in Spanien eingeführt und dadurch die großen und kleinen anarchistischen Geister Spaniens gezwungen, sich in vorbestimmten Formen zu bewegen. Und aus seiner schweizerischen Urheimat hatte dieser Habsburger das Wissen um die große Bedeutung des Föderalismus. Er ließ den vorgefundenen Föderalismus in Spanien nicht nur bestehen, sondern baute ihn noch weiter aus. In einem föderalistischen System können sich Aggressionen auf unteren Ebenen entladen. In einem zentralistischen System müssen sie immer auf den Mittelpunkt der Macht zielen. Föderalismus bedeutet deshalb meistens Ruhe für einen Staat, Zentralismus Unruhe.

„Wir Spanier sind Europäer“, sagte der neue König. Spanien ist eines der europäischesten Länder. Keltische und römische Kulturen haben es befruchtet. Christliche, jüdische und mohammedanische Züge sein* Antlitz geprägt. Aber wer in Europa weiß viel von der Geschichte Spaniens, wer in Europa weiß überhaupt, daß es eine spanische Nation gibt, die aus vier Völkern besteht? Wer weiß etwas von der heidnischen, christlichen, jüdischen und mohammedanischen Tradition Spaniens? In Spanien' gab es einmal einen ausgesparten Fleck Erde, auf dem sich Christen, Juden und Mohammedaner ausgezeichnet vertrugen. Das war das Gebiet des toledanischen Königreiches. Einen Rest dieser Tradition hat Franco verwirklicht. Spanien war und ist heute hoch angesehen unter den Arabern, und die treueste Garde Francos bestand aus Arabern. Während des Zweiten Weltkrieges, als Hitler fast ganz Eurpa besaß und überall seine Judengesetze zur Anwendung brachte, hat Franco — selbst jüdischer Abstammung — Tausenden von Juden das Leben gerettet, indem er allen Sephardim — Juden, die aus Spanien stammen — die spanische Staatsbürgerschaft zuerkannte und sie damit vor Auschwitz bewahrte.

Und Spanien ist nicht minder auch ein mohammedanisches Land. Im Stierkampf tobt sich das durch den Möhammedanismus' unterdrückte weibliche Element aus. Der Stier symbolisiert den Mann und der To-rero, der bunte Kleider und einen Zopf trägt, die Frau, die den Mann so lange reizt, bis er den Köpf verliert und sie ihn zur Strecke bringen kann.

Und Spanien ist ein zutiefst christliches , Land. Vielleicht nirgends in Europa hat das Christentum so sehr das alltägliche Leben durchsäuert wie in Spanien. In diesem Land wimmelt es von Heiligen. In diesem Land, in dem es nur ein Entweder-Oder gibt, hat es auch auf dem Gebiet der Religion immer nur ein Entweder-Oder gegeben. Die spanische Geschichte ist undenkbar ohne das christliche Rittertum und ohne den Gedanken der Reconquista, der Wiedereroberung Spaniens für das Christentum... toi modernen Spanien wurde der-Ignatius von Loyola unserer Tage geboren: Don Escrivä, Schöpfer des Opus Dei, eines neuen Ordens, der all das ist, was der Jesuitenorden zu seiner Zeit war. Es waren Männer des Opus Dei, die durch ihr modernes Technokraten-tum, das aus ihrem tiefen Glauben kam, Spanien hinführten zum modernen Europa. Franco muß einen hervorragenden Instinkt gehabt,haben, denn er ließ diese Männer gewähren und viele Posten besetzen, die eigentlich seine eigensten Leute innehaben wollten.

Zukunft läßt sich nicht prophezeien, aber Zukunft läßt sich vorausberechnen, wenn man die Geschichte eines Landes gut kennt. Denn jede Land hat Urgesetze, nach dem es leben will und nur der, der diese Ge-setze verletzt, ist in Gefahr, daß sich Aufstände gegen ihn entzünden. Nach der Thronrede zu schließen, kennt der neue König Spaniens die Urgesetze seines Landes. Er hat viele Chancen. Kommen sie zum Zuge, dann wird Spanien auch ohne Franco ein friedlicher Teil Europas sein.

Während tausende Österreicher in diesen Tagen das Volksbegehren zum Schutz des Lebens unterschreiben und damit von ihrem demokratischen Recht als Staatsbürger legitim Gebrauch machen, ist eine Maschinerie des Vorurteils so richtig in Schwung gekommen. Freilich, da sichert der SPÖ-Klubsekretär dem Volksbegehren eine „faire“ parlamentarische Behandlung zu. Aber gleichzeitig betätigt sich das SPÖ-Zentralorgan als Mühle für Greuelmeldungen. Man habe, so die neueste Tatarennachricht, „schwarze Listen“ angelegt, in die Volksbegehrensgegner eingetragen werden. Ist es nicht umgekehrt? Werden nicht heute Ärzte in SPÖ-dominierten Spitälern scheel angesehen, weil sie nicht gegen das Volksbegehren Aufrufe unterzeichnen?

Fairneß? Nein, Ressentiments, wohin man schaut. Was auf der Strecke bleibt, ist die Gewissensfreiheit. Wer wagt in der SPÖ ein offenes, ehrliches Wort?

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