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Grauer spanischer Frühling

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„Unsere Stützpunkte in Spanien und unsere freundschaftlichen Beziehungen sind wichtig.“ Diese anläßlich seiner ersten Pressekonferenz vom neuen amerikanischen Außenminister, William Rogers, geäußerten Worte sind die bisher positivste Erklärung, die Madrid von seinem amerikanischen Bündnispartner in der leidigen Stützpunktgeschichte zu hören bekam. Sie sind wenig mehr als ein Trostpflästerchen auf den gekränkten spanischen Stolz und kaum geeignet, die graue politische Stimmung in Spanien aufzuhellen.

Bekanntlich sollte das 1953 zwischen USA und Spanien geschlossene Stützpunktabkommen bereits am 26. September des Vorjahres verlängert werden. Die Unterhandlungen scheiterten damals an dem geringen amerikanischen Interesse und den zu hoch geschraubten spanischen Forderungen, die sich auf eine Milliarde Dollar für fünf Jahre, die Verlegung des Luftstützpunktes Torrejon bei Madrid in eine weniger bevölkerte Gegend und ein echtes Verteidigungsbündnis auf Basis der Ebenbürtigkeit beliefen. Nach der vertraglich vorgesehenen sechsmonatigen Beratungszeit war man Ende März keinen Schritt weitergekommen. Die Spanier bestanden auf ihrem Preis, und die USA wollten ihr Höchstgebot von 250 Millionen Dollar nicht ändern. Man tritt also diesseits und jenseits des Atlantiks weiterhin auf der Stelle und will sich Ende Mai zu einer letzten, entscheidenden Besprechung zusammenfinden. Das Ergebnis dieser Besprechungen will man jetzt schon wissen: Die Spanier, so heißt es in Madrider amerikanischen Kreisen, würden sich mit den 250 Millionen Dollar für eine fünfjährige Verlängerung des Stützpunktvertrags zufriedengeben. Anders die spanische öffentliche Meinung, die sich nie mit der Gegenwart der amerikanischen Streitkräfte aussöhnen konnte, und anders auch Spaniens Presse. Der Madrider „Arriba“, das Organ der staatlichen Einheitsbewegung, bezeichnet „das Bestehen ausländischer Militärstützpunkte ... (als) eine Ohrfeige für die Nationalehre“ ... und „ein Risiko für Spanien“. Das Land brauche keinen ausländischen Schutz, argumentiert das Blatt weiter, denn dieser würde nur das Angriffsrisiko erhöhen.

Obzwar das spanische Innenministerium nach der vorzeitigen Aufhebung des Ausnahmezustands in Spanien eine Bilanz veröffentlichen ließ, in der von der Auflösung der „minoritären subversiven Kerne“ gesprochen wurde, ist die innenpolitische Unrast heute fast genauso groß wie vor der Ausrufung des Ausnahmezustands. Die separatistische revolutionäre Jugendorganisation ETA, die nach castristischem Muster die Schaffung eines unabhängigen Baskenlands betreibt und die offiziell totgesagt wurde, feiert wieder lärmende Urstände. Sie legt Plat-stikbomben bei San Sebastian, die allerdings nur geringen Sachschaden verursachten, will man die beiden jungen ETA-Mitglieder ausklammern, die beim Transport von zwei Zeitbomben zerrissen wurden, sowie den Taxichauffeur, der von einem flüchtenden ETA-Führer erschossen wurde. In Bilbao wurden soeben sechs ETA-Angehörige festgenommen, und die Eisenbahnlinie Madrid—Irun sollte in die Luft gesprengt werden.

Selbst in Madrid und Valencia sind Terrorakte zu verzeichnen, die allerdings auf das Konto radikaler Studenten zu buchen sind. In Blitzaktionen werfen kleine Kommandogruppen Molotowcocktails und versuchen Straßensperren zu errichten. Wirkliche Ruhe herrscht nur in den Universitäten, in .denen die Polizei innerhalb der Fakultäten patrouilliert. „Freie“ (unerlaubte) Studentenversammlungen oder gar Manifestationen sind derzeit undenkbar.

Selbst die spanische Kirche, jahrzehntelang Stützpfeiler des Regimes, zeigt eine neuerdings immer stärker hervortretende liberalisierende Entwicklung, die auf Regimekreise enttäuschend wirken muß. War die erst kürzlich erfolgte Ernennung von dem als fortschrittlich geltenden Mgr. Enrique y Tarancon zum Primas von Spanien eine keineswegs willkommene Überraschung für Integristen, Konservative und andere Unwandelbare, so muß es noch mehr seine und Mgr. Tuberös Erhebung in den Kardinalsstand gewesen sein. Denn nicht nur sahen faJangistische Kreise diese Ehre für den regimetreuen Madrider Erz-bischof Morcillo als sicher an, sondern Mgr. Tabera, Erzbischof von Pamplona, gehört zu denjenigen spanischen Kirchenfürsten, die in Hirtenbriefen kritisch Stellung zum Ausnahmezustand bezogen hatten. Der neueste Hinweis auf die schnell fortschreitende Lösung der spanischen Kirche vom Regime ist die Nachricht, daß der Kardinal-Primas, der durch einen etwas eigenartigen Wahlvorgang aller Voraussicht entgegen nur zum Vizepräsidenten der spanischen Bischofskonferenz gewählt wurde, von diesem Amt zurücktreten wird. Denn die Präsidentschaft nimmt Madrids Erzbischof ein... Doch selbst Mrg. Mor-cülo kann sich dem neuen Wind in der spanischen Kirche nicht entgegenstemmen. Auf Empfehlung des Vatikans verzichtete er auf seine politischen Ämter.

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