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Spaniens schwierige Rückkehr zu den Ursprüngen

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Eines der schwierigsten Probleme, denen sich die neue Demokratie in Spanien gegenübersieht, ist die verfassungsmäßige Definition regionaler Autonomien innerhalb des einheitlichen Staatsverbandes.

Wie viele andere europäische Nationen, setzt sich auch die spanische aus mehreren Nationalitäten zusammen. Aus ihnen entstand das „Katholische Königreich von Kastilien und Aragön“ um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, wobei die einzelnen Regionen in sehr verschiedenem Maße ihre Eigenheiten, fallweise auch ihre Autonomie bewahrten. Spannungen zwischen den Nationalitäten und der Zentralgewalt blieben sowohl unter der habsburgerischen, als auch unter der bourbonischen Monarchie nicht aus, verstärkten sich zur Zeit der Zweiten Republik (von 1931 bis 1936) und verschwanden unter dem Franco-Regime (1939 bis 1975) dem Anschein nach aus dem öffentlichen Leben.

Drei Regionen im Norden der iberischen Halbinsel waren es vor allem, die in jüngster Zeit ihre Forderung nach Selbständigkeit mit besonderer Hartnäckigkeit angemeldet haben. Es sind dies: Galicien (bestehend aus den Provinzen Coruna, Lugo, Orenseund Pontevedra), das Baskenland (das Alava, Guipüzcoa, Vizcaya und Navarra umfaßt) und Katalonien (mit Barcelona, Tarragona, Lėrida und Ge- rona). Nicht zu übersehen sind aber in diesem Zusammenhang die Besonderheiten anderer Regionen, beispielsweise der Kanarischen Inseln, doch datieren dort die Autonomiebestrebungen aus alleijüngster Zeit.

Galicien im No rd westen der Halbinsel umfaßt 5,8 Prozent des spanischen Staatsgebiets und 7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Gallegos gelten als ein friedfertiger, konservativer Menschenschlag mit einer traditionellen Tendenz zur Emigration. Ihre Sprache, dem Portugiesischen nicht unähnlich, sank im 15. Jahrhundert zu einem Dialekt ab, erneuerte sich aber im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder als Schriftsprache. Galicien ist überwiegend Agrarland und nur in geringem Maße industrialisiert, sieht man vom Bergbau ab. Seiner geographischen Randlage wegen war die Geschichte Galiciens stets auf das engste mit dem Schicksal der zentralen Regionen Spaniens verknüpft. Die auto- nomistischen Bestrebungen waren, soweit vorhanden, während des 19. und auch während des 20. Jahrhunderts eher romantischen Charakters und im Bürgerkrieg stand Galicien auf Seiten der Nationalen. Den Vätern der neuen Verfassung stellt Galicien keine besonderen Probleme.

Im totalen Gegensatz dazu steht des Baskenland mit seiner viel geringeren Ausdehnung (1,3 Prozent des spanischen Territoriums) und seiner viel größeren Bevölkerungsdichte (10 Prozent der Gesamtbevölkerung), vor allem aber mit seiner sehr profilierten Eigenart. Ethnisch ebenso wie sprachlich bilden die baskischen Provinzen Spaniens mit den baskischen Dėpar- tements Frankreich eine Einheit, die sich selbst als „Euzkadi“ bezeichnet. „Euzkeri“, eine Sprache, deren Ursprünge bis heute nicht aufgeklärt werden konnten, hat, im Gegensatz zu den jüngsten Behauptungen, nie eine Literatur hervorgebracht. Dagegen machten die strebsamen und begabten Basken ihr hochindustrialisiertes und händelstüchtiges Land zu einer der reichsten Regionen Spaniens. Die verwaltungsrechtliche Autonomie, die sich das spanische Euzkadi bis zu einem gewissen Grade in Form der „Fueros“, der Sonderrechte für die drei Provinzen, zu erhalten wußte, wurde sowohl von der Krone wie von den Regierungen stets respektiert. Als Schauplatz der carlistischen Kriege des 19. Jahrhunderts war das Baskenland auf Seiten der legitimistischen Prätendenten und im Widerstand gegen den regierenden (liberalen) Zweig des Hauses Spanien. Dieser Widerstand schlug im 20. Jahrhundert um in einen autonomistischen baskischen Nationalismus und nahm mit der Gründung einer „Liga Forai“, nach dem Vorbild paralleler Bewegungen in Katalonien, Gestalt an. Die Militärdiktatur (1923 bis 1930) unter Alfons XIII. löste jedoch die baskische Nationalistenpartei als einen Sammelpunkt aller autonomistischen Bestrebungen auf.

Unter der Zweiten Republik (von 1931) konstituierte sich im Baskenland eine weitgehend selbständige, dem spanischen Staatsverband nur föderativ angegliederte Regionalregierung. Sie bestand bis zum Bürgerkrieg (1936 bis 1939), genauer gesagt: bis zur Eroberung zweier baskischer Provinzen (Guipüzcoa und Vizcaya) durch die Truppen Francos. Die Diktatur löste sowohl die Parteien, als auch die „Fue- ros“ auf und die bisherige baskische Regionalregierung emigrierte nach Frankreich. Die Folge war, daß nach kurzer Pause der baskische Nationalismus in den Untergrund ging und dort unter linksextreme Führung geriet. Der ursprünglich starke christdemokratische Flügel der baskischen Nationalistenbewegung wurde erstaunlich rasch von marxistischen Terrorgruppen an die Wand gespielt. Am bekanntesten unter diesen Grup-

pen wurde die ETA, die alsbald zur offenen Guerilla überging.

Unter König Juan Carlos gelang es der Regierung Suärez, Kontakte mit den beiden einflußreichsten Parteien des Baskenlandes herzustellen: mit dem konservativen PNV (Partido Na- cionalista Vasco) und mit dem linksradikalen PSOE (Partido Socialista Obrere Espanol), aber auch mit kleineren Splittergruppen, deren Ziel ein von Spanien getrennter baskischer Staat ist, im Gegensatz zu den genannten Großparteien, die lediglich eine baskische Autonomie innerhalb des spanischen Staatsverbandes anstreben. Die Schwierigkeiten, denen sich die Regierung Suärez bei den Basken gegenübersieht, sind nicht zu unterschätzen und erwachsen nicht nur aus den blutigen Ereignissen der Vergangenheit.

Dem Baskenland benachbart, von ihm jedoch deutlich unterschieden, ist Navarra mit einer Ausdehnung von 2,1 Prozent des spanischen Territoriums und 1,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Navarra gelangte 1515 an die Krone Kastiliens, der es von dieser Zeit an mit besonderer Treue anhing.

Dieser Treue wegen behielt es seine Cortes und Fueros, wurde aber im 19. Jahrhundert Schauplatz des carlistischen Widerstands und verlor seine eigenständigen Cortes, die auch während der Zweiten Republik nicht mehr auflebten. Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges schloß sich die Bevölkerung Navarras in Massen den Nationalen an. Ihr ging es dabei aus vorwiegend religiösen Motiven um einen „Kreuzzug gegen den Kommunismus“. Als Gegenleistung garantierte die Diktatur wenigstens den Fortbestand der Fueros. Heute ist Navarra eine hochentwickelte Region mit reicher Landwirtschaft, aufstrebender Industrie und blühendem Handel. Erst gegen Ende der Diktatur zeigten sich autonomische Bestrebungen,

Katalonien mit 7 Prozent des gesamtspanischen Territoriums und mit 14,3 Prozent der Gesamtbevölkerung ist zweifellos die kulturell und wirtschaftlich fortgeschrittenste Region, daher auch die politisch interessanteste. Dank dem praktischen Sinn der Katalanen und dank der weitverbreiteten Kenntnis der eigenen Geschichte, meldeten sich hier in den letzten Jahren die regionalen Probleme in sehr gemäßigter Form zu Wort, ganz im Gegensatz zu den blutigen Unruhen im Laufe des 17., aber auch noch des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert erlebte Katalonien einen wirtschaftlichen und industriellen Aufschwung ohnegleichen. Katalanisch ist schon längst wieder Schriftsprache. Dennoch gab es vereinzelte, regional beschränkte Aufstände, für die sich zwei verschiedenartige Motive .feststellen lassen: konservativ-föderalistisch das eine Motiv, separatistisch, auf volle Souveränität abzielend, das andere. Beide Strömungen finden sich im Streben nach Aufwertung der katalanischen „Generalidad“, jener Körperschaft, die seit dem Mittelalter Ausdruck der Eigenständigkeit war. Während der Zweiten Republik gab sich Katalonien ein Regionalstatut, doch brach sich bereits zwei Jahre später, 1934, eine revolutionäre Bewegung mit dem Ziel einer totalen staatlichen Souveränität Bahn. Das Land blieb denn auch bis zur Rückeroberung durch die Franco-Truppen de facto selbständig. Die von Franco aufgelöste Generalidad floh bald darauf ins französische Exil. Die Diktatur verbot jede regionalistische Regung und die Vernunft der Katalanen vermied jegliche Gewaltanwendung. Im Verlauf der Demokratisierung unter König Juan Carlos begann Katalonien als erste Region mit der Zentralregierung ein vorläufiges Autonomiestatut auszuarbeiten, dessen Verankerung in der neuen Verfassung zu erwarten steht. Die Generalidad wurde jedenfalls provisorisch anerkannt, ihr einstiger Präsident, Tarradellas, kehrte aus dem Exil zurück und hat seinen Sitz wieder in Barcelona.

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