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Bilbaos roter Putsch

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„Mein Fluch trifft nicht den Separatismus, der die Wirkung ist, sondern dem. Zentralismus, der die Ursache ist."

Karl VII. von Spanien

Auch in der österreichischen Presse ist in den letzten Wochen von der baskischen Frage die Rede gewesen. Man berichtete von dem Anwachsen der separatistischen Richtung, von ihren gewalttätigen Aktionen, vom Ausnahmezustand, den die Madrider Regierung verhängt hat. Man sprach von der Baskischen Exilregierung; diese vertritt die Anno 1936 von der linksstehenden Madrider Regierung autorisierte autonome Republik. Und zugleich besprach man, vor allem in der „Furche“ selbst, den Zusammen

hang der Achterjahreszahlen in Mitteleuropa. Wie hängt 1968, 1948, 1938 mit 1918 zusammen? Diese zwei Fragen scheinen voneinander durchaus entfernt zu sein; und doch bestehen zwischen ihnen genaue Entsprechungen. Wie das? Die baskischen Provinzen sind nahe daran, denselben Weg zu gehen, den Böhmen gegangen ist; ihr Schicksal bis 1936 entsprach dem von Böhmen vor 1918. Wenn man aus der Geschichte lernen könnte — hier ist die Lehre besonders deutlich.

Die zwei Habsburgerreiche

Die zwei ehemals von den Habsburgern beherrschten Monarchien, die spanische und die österreichische, hatten bis zum Ende des Ancien regime beiläufig dieselbe Entwicklung durchgemacht. Es waren Staatenkörper aus ehemals unabhängigen Königreichen und Länderstaaten; die absolute Monarchie hatte die Ständestaaten verwandelt, aber die angestammten Formen belassen. Erst die Aufklärung (nach dem Aussterben der Habsburger!) hatte das Streben nach Vereinheitlichung gebracht; doch die alten Namen galten noch immer. Dieses Fortbestehen der altgewohnten Ordnung ließ auch die Nationalitätenfragen nicht brennend werden — trotz aller Privilegien des Deutschen hier, des Kastilischen dort. (Nur der Fremde spricht von einer spanischen Sprache: Die spanischen Sprachen sind Kastilisch, Katalanisch und Baskisch.) Die staatsrechtlichen Fragen und der Sprachenstreit entbrannten, als das Ancien regime zerbrach. Das geschah in Österreich durch die Märzrevolution von 1848, in Spanien durch den Ausbruch des siebenjährigen Bürgerkrieges von 1832.

In .Spanien schuf die Jn,_ Madrid herrschende liberale Regentschaft fünKönigin IsabeHar.il.; eine zentralistische Verfassung, die (unter anderem) das Staatsrecht, die Landesfreiheiten des Königreiches Navarra und der baskischen Provinzen Alava, Guipüzcoa und Vizcaya abschaffte. Die in diesen Landen kriegführende Regierung des rechtmäßigen (von Metternich zögernd, aber doch unterstützten) Königs Karl V. bestritt vor allem diese Abschaffung; ihre Freiwilligen stritten für die Landesfreiheiten. Von diesem Zeitpunkt an vertrat jeder Zweig der Dynastie ein Prinzip. Die konstitutionellen Könige in Madrid vertraten den liberalen Zentralismus; die karlistischen Könige, im Exil oder in späteren Bürgerkriegen, vertraten das historische föderale Staatsrecht, die Dezentralisation also u. a. die baskische Sache.

In Österreich war es insofern anders, als der legitime und regierende Monarch, Franz Joseph, selbst im Mittelpunkt beider Prinzipien stand. Da er und kein anderer die Legitimität darstellte, konnte nur er das alte Staatsrecht restaurieren. Das tat er in Ungarn im Jahre 1867; das versprach er 1870 in Böhmen zu tun. In Böhmen tat er es nicht. Er vertrat nunmehr bis an sein Ende die Verfassung des neugeschaffenen zisleithanischen Staates, dessen liberaler Zentralismus dem böhmischen Staatsrecht entgegenstand. Durch lange Jahrzehnte verlangten die böhmischen Staatsrechtler die Restauration ihrer Staatlichkeit durch die angestammte Monarchie — also im Rahmen dieser Monarchie. Es geschah nicht. Es geschah auch unter Kaiser Karl nicht, obwohl Karl (in Böhmen III.) es gerne getan hätte. Infolgedessen kam endlich die Majorität im Lande zu der Überzeugung, daß es nie geschehen werde; und so nahm Böhmen die Restitution seiner Staatlichkeit in republikanischer Form aus den Händen der Entente entgegen, und dazu weite Gebiete der Krone Ungarn. Dies wurde als ungeahntes Glück gefeiert; indes wurde die Tschechoslowakei heute sowjetisches Okkupationsgebiet.

Die Katholiken und die rote Republik

Auch in Navarra und den baskischen Provinzen blieb die liberalzentralistische Konstitution in Kraft. Weder die kleineren Erhebungen

unter Karl VI. noch der mehrjährige Krieg unter Karl VII. führten zum Ziel. Auch als im Jahre 1898 das Regime der nordamerikanischen Aggression rühmlos unterlegen war und daher in der öffentlichen Meinung so dastand wie Beneš nach München, gelang die geplante Restauration nicht. Karl VII. starb im Exil; wobei es denkwürdig ist, daß die Mutter dieses großen Autonomisten eine Erzherzogin war (bour- bonisch wäre eher der Zentralismus). Weit entfernt, den zentralistischen Druck zu erleichtern, steigerte ihn vielmehr die Quasidiktatur der Generäle unter Alfons XIII.

Was sollten die Basken tun? Noch immer sind viele Karlisten geblieben; doch andere verzweifelten nun an einer Wiederherstellung der Landesrechte durch die Legitimität. Sie wurden Separatisten. Und siehe da! Die Republik verlieh ihrem Land bundesstaatliche Rechte. Und zwar tat sie das gerade in dem Augenblick, da sie nach ganz links abglitt. Nun war die Republik, und gar eine rote, eine antiklerikale und gottlose Republik, gar nicht das Ideal der Basken. Sie sind und bleiben Katholiken; sie haben eine vaterländisch gesinnte Geistlichkeit. Ihr Verhältnis zur Geistlichkeit erinnert manchmal an das der katholischen Majorität der Slowaken (und woher empfingen sie den separaten Staat?). Die Führer des baskischen Staates von 1936 waren so verschieden wie möglich von den roten Kloster- und Priesterverbrennern. Aber — die Republik hatte endlich die Freiheit gewährt; für die Republik also mußte man kämpfen.

Die Republik wurde aber geschlagen; es siegte die Koalition von Heer, Falange und Karlisten. Staatschef wurde der Generalissimus; durch ein Vereinigungs- oder, wenn man will, Gleichschaltungsdekret schuf er die Einheitsbewegung, die „Spanische Traditionalistische Phalanx“. Hätte man diese Vereinigung ernst genommen, dann mußte die Einheitsbewegung die karlistischen Grundsätze annehmen: das alte föderale Staats

recht und die karlisttische Thronfolge, die jenes schützt. Nichts dergleichen geschah. Freilich bekam Navarra seine Freiheiten zurück — ohne Navarra gab es keinen Sieg. Aber für die Landesteile, die an der Seite der Roten gekämpft hatten, gab es jene unselige Verwirkungstheorie, welche 1620 in Böhmen, 1849 in Ungarn angewandt worden war.

Separatismus blüht

Resultat: Der Separatismus gedeiht und wird gewalttätig. Sollte es wirklich dazu kommen, daß der Generalissimus die Monarchie im Mannesstamm des Königs Alfons XIII., also die kapitalistisch-zentralistische Monarchie, herstellt, dann ist es durchaus wahrscheinlich, daß die Entwicklung wie in Böhmen verlaufen wird. Außer im unbeugsamen Navarra werden die Königstreuen aussterben, die Separatisten zunehmen; die Hoffnungen des benachteiligten Volkes werden sich an die Sache der revolutionären Demokratie wenden. Früher oder später wird irgendeine Revolution den Basken die Eigenstaatlichkeit geben. Und könnte es ein lockenderes, ein ruhmreicheres Ziel für die sowjetische Flotte geben, als in Bilbao als Befreier einzulaufen? Daß aus den Befreiern dann Okkupanten werden, erweist sich erst später, nämlich zu spät.

Muß das so sein? Überhaupt nicht. Noch wird die karlistische Monarchie in allen baskischen Provinzen akkla- miert; noch ist das Volksbewußtsein nicht in den Händen der Separatisten, noch gibt es Hoffnung für die gute alte Sache. Noch ist es nicht 1918, noch muß 1968 nicht kommen. Da sei Gott davor!

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