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Die, Vereinigten Staaten‘ von Großösterreich

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Das Programm des Belvedere, das mindestens dreimal, vermutlich sogar noch öfter, umgearbeitet worden ist, können wir in folgende Kernpunkte zusammenfassen: Wiederherstellung eines einheitlichen Gesamtstaates Kaisertum Österreich auf föderativer — und nur im äußersten Notfall, befristet, auf dualistischer — Grundlage. Starke Zentralgewalt, die vom Monarchen maßgebend geleitet wird. Föderalistische Gliederung, mit den Varianten: Trialismus — Österreich, Ungarn, katholisches Südslawien der Kroaten, Slowenen und Bosnier —, Vierteilung, zu den vorgenannten noch ein die Länder der Wenzelskrone, Böhmen, Mähren, Schlesien, einbeziehender Staat Oder auch ein Nebenstaat Österreichs, Böhmen-Mähren-Schlesien,

während dann, nach Ausscheiden Kroatiens, Ungarn einen polnisch- ruthenischen Nebenstaat, Galizien, bekommen hätte; Zerschlagen der bisherigen Einteilung und völlige Neugliederung in 16 Vereinigte Staaten Großösterreichs laut Popovici. Autonomie aller Föderativstaaten, jedoch zur Sicherung der Reichseinheit: eine einzige Armee, mit deutscher Kommandosprache, das Deutsche als verbindende Reichssprache, womit aber kein nationaler Chauvinismus verknüpft war. Als Hauptstützen des Regimes alle, die zu einem föderalistischen Kaisertum halten. Damit vertrug sich, daß etwa in Böhmen der Hochadel obenauf schwimmen sollte und man sich in Ungarn mit den kleinen Landwirten, den Arbeitern, ja, der Sozialdemo kratie und selbstverständlich mit den von Intellektuellen geführten kleineren Nationalitäten verbünden wollte. Ausbau der Wehrmacht, Schaffung einer starken Kriegsmarine. Wirtschaftseinheit innerhalb der Monarchie. Nach außen: Rückkehr zum Drei-Kaiser-Bündnis, gute, womöglich herzliche Beziehungen zu England, zurückhaltende Balkanpolitik. Fernziele, die im Belvederekreis offen einbekannt worden sind: Österreichs Oberhoheit über einen Balkanbund der befriedeten Völker Rumäniens, Serbiens, Bulgariens und Montenegros, Abrechnung mit Italien. Doch das gehörte schon eher ins Gebiet der Zukunftsträume.

Bleiben wir beim realen Kern der Projekte des Belvedere. Sie genügten, um die alten Herren und alle, die ihre Ruhe haben wollten, aufzuschrecken und um sie abzuschrecken. So ziemlich alles, außer einem Großteil der Christlichsozialen, dem böhmisch-mährischen Hochadel, den ungarischen Nationalitäten, den Slowenen und Kroaten, wandte sich gegen die Nebenregierung. Dem gesellten sich die Kreise um den Obersthofmeister Fürst Montenuovo bei. Begeistert war nur die Armee; der Thronfolger wußte, warum er sie hegte und pflegte. In ihrem Lager war eben, wie eh und je, Österreich. Die Pläne Franz Ferdinands, so vollständig ausgearbeitet, daß jede Einzelheit für den Thronwechsel vorbereitet war, samt dem Manifest Franz’ II. an seine Völker und der Regelung der Stellung der „Kaiserin-Gemahlin“, sind tragisch gescheitert, ohne daß sie ihre Bewährung dartun durften.

Im wesentlichen waren sie, vom damaligen Standpunkt aus gesehen, die einzigen, welche die Habsburger monarchie und damit die Ordnung in Mitteleuropa und auf dem Balkan dauernd zu regeln vermocht hätten. Ein anderes ist es mit der Durchführbarkeit dieses in sich geschlossenen Systems. Wir glauben nicht, daß es nach innen auf unüberwindbare Schwierigkeiten gestoßen wäre. Die ernstesten, nämlich in Ungarn, wären vom ersten ungarischen Ratgeber Franz Ferdinands, von Kri- stöffy, durch Oktroi des allgemeinen Wahlrechts, Appell an die Nationalitäten, an die Kleinbauern und an die Arbeiter, im Notfall durch eine diktierte Grundreform mit Enteignung der Magnaten-Latifundien, zu beseitigen gewesen. Einen schwachen Punkt stellte die beabsichtigte unhaltbare Lösung für Galizien dar. Alles war aber in Frage gestellt, solange nicht die Basis jeder gründlichen Reform in Österreich, nämlich eine Verständigung mit Rußland, ja, ein Bündnis mit diesem Reich, zu erzielen war. Und das ist sowohl von Frankreich her wie aus Deutschland verhindert worden; es wäre ohnedies am Unverstand der Petersburger Staatslenker zerschellt. Erst infolge dieser Unmöglichkeit, mit Franz Ferdinands wiederholten dringenden Freundschaftsanerbieten am Zarenhof durchzudringen, ist ein anderes außenpolitisches, und nicht von den österreichischen Südslawen ausgehendes, Hindernis zur tödlichen Gefahr geworden: der Trialismiifi-

Um dessen Verwirklichung, 'die von allen Projekten des Belvederes zeitlich als erste betrieben wurde, zu verhüten, zogen sich die Netze einer Verschwörung eng und schließlich unzerreißbar um den Thronfolger zusammen. Nicht ohne die Mitwisserschaft höchster serbischer Staatslenker, doch kaum zu einem ihnen genehmen Zeitpunkt, sind am 28. Juni 1914 in Sarajewo gegen Franz Ferdinand und die Herzogin von Hohenberg erst eine Bombe geschleudert, dann die mordenden Kugeln abgeschossen worden. Im unmittelbaren Auftrag eines Geheimbundes, an dessen Spitze der Chef der serbischen amtlichen Spionage stand.

Kein Hamlet, sondern Fortimbras

Was aber vom Opfer der „Schwarzen Hand“, von seinem Wirken und Wollen, in die Geschichte übergehen soll und was in unserem Herzen, in unserem Hirn, in unserem Gemüt sich auf immer wachruft, so oft wir des Toten von Sarajewo gedenken, es sind, gehaltvoller und inhaltsreicher als die vielen schlechten, die zahlreichen mittelmäßigen und die wenigen guten Biographien des Blutzeugen seines erhabenen Strebens, diese Sätze von Karl Kraus:

„Franz Ferdinand scheint in der Epoche des allgemeinen Menschenjammers, der in der österreichischen Versuchsstation des Weltunterganges die Fratze des gemütlichen Siechtums annimmt, das Maß eines Mannes besessen zu haben. Was sein Leben verschwieg, davon spricht sein Tod, und die Halbtrauer der Schwäche ruft es durch alle Gassen. Franz Ferdinand war die Hoffnung dieses Staates für alle, die noch glaubten, daß im Vorland des großen Chaos ein geordnetes Staatsleben durchzusetzen ist. Kein Hamlet, der, wär’ er hinaufgelangt, unfehlbar sich höchst königlich bewährt hätte, sondern Fortinbras selbst. Aber wenn selbst Fortinbras fällt, muß etwas faul auch außerhalb des Staates sein."

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