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Dreimal F. J. I.

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Ich traue mich eine Wette einzugehen und zu gewinnen. Auf die Frage „Wer war der letzte Kaiser?“ werden acht von zehn Österreichern - und nicht nur solche der jungen Generation - spontan antworten: Franz Joseph.

Armer Kaiser Karl! Die zwei Jahre seiner Regentschaft, in denen er nach dem Gesetz seines Hauses „auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln“ (Franz Grillparzer) bestrebt war, einen Krieg zu beenden, den er nicht erklärt hatte, sind im Gedächtnis der Nachgeborenen so gut wie gelöscht. Aber Franz Joseph ist für viele nicht nur der letzte Kaiser, er ist der Kaiser schlechthin. So als hätte es vor ihm keine lange Ahnenkette und nach ihm keinen bedauernswerten Nachfolger gegeben.

Was ist der Grund dafür, daß die Erinnerung an einen Monarchen, der vor bald 150 Jahren geboren wurde und der die Welt zur Zeit, als die heutigen Großväter noch sehr jung gewesen waren, verlassen hat, auch heute noch und immer wieder Autoren und Verlage ermutigt, dem Leben dieses österreichischen Monarchen, dessen Regierungszeit wahrscheinlich zu früh begonnen und zu lang gewährt hat, nachzuspüren? Dabei sind es nicht einmal oder vor allem heute nicht allein Österreicher, welche die Erinnerung an F. J. I. durch Publikationen wachhalten und weitergeben. Das zeigt ein Blick auf die Buchproduktion des vergangenen Jahres.

Franz Herre, ein deutscher Historiker durch Studium und Neigung, aber Journalist von Beruf, hat nicht nur viele Jahre in die Franz-Joseph-Forschung investiert, er hat auch einen bundesdeutschen Verlag für sein Buch gewonnen, dem man eine gewisse Nase für sehr unterschiedliche Literatur nachsagt, wenn diese nur „Auflage macht“.

Der Altösterreicher Anton Graf Bossi Fedrigotti hat für einen Franz Joseph und seiner Zeit gewidmeten, prachtvoll mit Zeitdokumenten und Photos ausgestatteten Bildband einen Schweizer Verlag interessieren .können, der dafür bekannt ist, daß er sich in Geschäfte nur dann einläßt, wenn die Kassa stimmt.

Aber auch Volkspolen erinnert sich des ehemaligen Königs von Galizien und Lodomerien. Der bereits mit einigen Arbeiten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Galiziens hervorgetretene Professor für Rechtsgeschichte der altehrwürdigen Jagellonenuniversität in Krakau, Stanislaw Grodziski, hat eine in mehr als einer Hinsicht bemerkenswerte Franz-Joseph-Monographie vorgelegt.

Gemeinsam ist allen drei Werken

die ruhige ausgewogene Art der Darstellung. Wer Hagiographien erwartet, wird genauso enttäuscht wie jene, die alles und jedes „hinterfragt“ gesehen haben wollen. Auch beweisen alle genannten Autoren, daß populärwissenschaftliche Biographien nicht an einem Mangel an Niveau leiden müssen. Die Frage der Fachhistoriker, ob neue Facetten im Bild des Monarchen entdeckt oder gar bisher unbekannte Quellen fündig gemacht wurden, muß freilich mit einem Nein beantwortet werden. Nostalgische, ja sentimentale Passagen sind - naturgemäß - am ehesten Bossi Fedrigotti in die Feder geflossen.

Schon vom Umfang her ist Herres Werk das umfassendste und gründlichste. Das gilt auch für die Ausleuchtung der Persönlichkeit Kaiser Franz Josephs und der Interpretation der Geschichte seiner Zeit. Das Buch zeugt von einem eingehenden Studium nicht nur der bisherigen Franz-Joseph-Literatur, sondern auch von einer profunden Kenntnis aller für die Geschichte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert einschlägigen Werke.

Bemerkenswert ist an dieser Franz Joseph-Biographie, die genau 50 Jahre nach den bekannten Werken von Josef Redlich und Karl Tschuppik und ein Vierteljahrhundert nach den drei Franz Joseph gewidmeten Bänden von Conte Corti erschienen ist, zunächst eine Aufhellung des Bildes der Kaiserin-Mutter Sophie. Ihre wahre Natur und historische Bedeutung wird unter dem Klischee der „Erzreaktionärin“, als welche sie die liberale Geschichtsschreibung des vergangenen Jahrhunderts gezeichnet hat, ebenso wie unter dem der „bösen Schwiegermutter“ der Sissy-Literaten freigelegt.

Herre erkennt auch die Schicksalsstunden der Monarchie und nennt die Fehlentscheidungen, die für den Historiker klar erkennbar mit dem Namen Franz Josephs verbunden sind:

• 1849: Die Auflösung des Reichstages von Kremsier und die damit vertane Chance eines Bündnisses der Krone mit den Vertretern der verschiedenen Völker der Monarchie.

• 1854: Die Undankbarkeit des Kaisers gegenüber Zar Nikolaus I., der ihm wenige Jahre zuvor durch seine Intervention in Ungarn den Thron gerettet hatte. Die prophetischen Worte des russischen Botschafters in Wien, Baron Mayendorff, über die österreichische Haltung während des Krimkrieges sollten ein Menschenalter später (1914) in Erfüllung gehen: „Seine Politik hat uns Russen so tief verletzt, daß er darauf zählen kann, keine ruhige Stunde mehr zu haben, solange er regiert.“

• 1859: Die „Ungeduld der Generäle, Unfähigkeit der Diplomaten und Un-erfahrenheit des 28jährigen Kaisers“ (S. 152), die zu Solferino führten.

• Last, not least 1867: Der zum Dualismus führende „Ausgleich“ mit Ungarn, welcher zwei „Herrenvölker“ konstituierte und dem Lebensgesetz der Monarchie entgegengesetzt war. Ministerpräsident Belcre-dis Plan für die „Vereinigten Königreiche“ unter habsburgischem Szepter verschwand in den Archiven und die Mahnung der Pariser „Revue des deux mondes“ („Österreich muß ein föderalistischer Staat werden oder es gibt bald kein Österreich mehr“) verhallte ohne Echo.

Wer sich nicht so sehr mit der Last der Historie befrachten will, wer einen für das Auge leichter faßlichen Uberblick über die Geschichte vorzieht, wer Interesse an bunten Bildern und seltenen Vignetten sowie an • historischem Photomaterial und alten Landkarten hat, der greife zu dem Werk, für das Graf Bossi Fedrigotti die Texte schrieb und das der Schweizer Ringier-Verlag repräsentativ ausstattete.

Den Charakter dieses Buches, welches in die Reihe der heute sehr beliebten historischen Bildbände einzureihen ist, hat der Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, Hofrat Christoph Allmayer-Beck, in seinem Vorwort treffend charakterisiert:

„... Was enthält dieses Buch an Besonderheiten, die es von anderen entscheidet? Vielleicht dies: Der Autor ist weniger forschender Historiker, der sein Material reproduziert, sondern er ist durch Familie, Tradition und eigenes Erleben im weitesten Sinne Zeuge, ja Augenzeuge des von ihm geschilderten Geschehens. Verständlich, daß er seine Anliegen mit jener Anteilnahme schildert, die nur das Miterleben letztlich hervorrufen kann. Damit wird aber nicht nur Geschichte erzählt, sondern die Erzählung selbst wird Geschichte.“

Ein Zeuge der späten Jahre Franz Josephs gibt zu Protokoll und dokumentiert seine Aussage. In unserem optischen Zeitalter eine beliebte Form der Aussage, die gewiß viele interessierte Leser und Betrachter findet und finden wird. Die ältere Generation wird dieses Buch in die Zeit ihrer frühen Jugend zurückführen. Jungen Menschen mag es die „Welt von gestern“ anschaulich vor Augen

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Ein Erratum sei festgehalten: Der Oberst, welcher die berühmte Attacke bei Custozza ritt und dessen Gemälde aus dem Heeresgeschichtlichen Museum hier reproduziert wird, hieß nicht Pulz. Es war Oberst Rodakowski an der Spitze seiner polnischen 10er- (Trani)Ulanen ...

Damit sind wir auch schon bei Polen und dem Bild, welches man sich in der heutigen Rzeczpospolita Lu-dowa (Volksrepublik) von Franz Joseph macht. Prof. Grodziskis Werk ist von grundsätzlicher Sympathie und Anerkennung für die Person des Herrschers getragen. Die geübte Kritik ist in äußerst gemäßigtem Ton gehalten und stellt die seit dem Ende

der Monarchie positivste polnische Charakterisierung sowohl der Herrscherpersönlichkeit als auch des österreichischen Regierungssystems der frahzisko-josephinischen Ära dar.

Die Beziehung der Polen zur Krone erfreut sich naturgemäß in diesem Buch einer besonderen Beachtung. Hier enthält das Buch die gängige Meinung der polnischen Freunde Österreichs und zeugt von einer auch in Polen (besonders in Krakau) bemerkbaren alt-österreichischen Nostalgiewelle, wenngleich verständlicherweise die Beteiligung der Habsburger an den Teilungen Polens als eklatanter Rechtsbruch empfunden wird. Stets wird jedoch unterstrichen, wie sehr die Regierungszeit Franz Josephs für das polnische Volk günstiger war als die Herrschaft Rußlands und Preußens über polnische Gebiete zur selben Zeit.

Insgesamt kann das Werk als ein positiver Beitrag zu den polnisch-österreichischen Beziehungen angesehen werden.

Allerdings besitzt der Autor, wie mir Dr. Jakob Forst-Battaglia, dem ich mangels genügender eigener polnischer Sprachkenntnis für eine genau Durchsicht dieses Buches dankbar bin, versicherte, mitunter eine zu leichte Feder. Deshalb treten über dem Anekdotenhaften die tieferen Zusammenhänge ein wenig in den Hintergrund.

Was bleibt, ist ein dankenswertes Proseminar „Franz Joseph I. und seine Zeit“ für polnische Leser. Und das ist gar nicht wenig.

Zurück zu der am Anfang gestellten Frage. Was mag also wohl der Grund dafür sein, daß die Person des in seinem Leben wenig glücklichen und in seiner Politik letztlich immer wieder scheiternden Monarchen noch immer- oder aufs neue - das Interesse der Nachgeborenen findet? .

Mögen auch Revolution und Krieg

den Anfang sowie Krieg und Revolution das Ende der Ära Franz Josephs charakterisieren, so liegt auf den Jahrzehnten dazwischen zumindest in der Rückschau der Schimmer eines Abglanzes vom „großen Frieden“, von dem die Menschheit seit Anbeginn immer träumte und immer träumen wird: Jahre, in denen man in Europa ohne Paß durch alle Länder reisen konnte, Literatur und Künste eine späte Blüte erlebten und neue Schichten und Klassen zum politischen Bewußtsein erwachten.

Gewiß: Manches erscheint dem Auge im Rückspiegel verklärter, als es wohl gewesen ist. Vieles wird jedoch heute klarer und gerechter beurteilt, als in den Jahren unmittelbar nach dem Untergang der Donaumonarchie. Wie wäre es sonst zu erklären, daß in Friaul junge Italiener in unseren Tagen plötzlich ihre Liebe zum Doppeladler entdeckt haben, Franz-Joseph-Leibchen „in“ sind und Jahr für Jahr am Geburtstag des Monarchen im August Volksfeste veranstaltet werden?!

Pop, Klamauk - oder die Sehnsucht nach jener „Civiltä Mitteleuro-pea“, nach, jener, parzellierten und verlorengegangenen übernationalen .mitteleufopäischeri Zivilisation, für die der Name Franz Joseph I. vielleicht nicht mehr als eben eine Chiffre ist.

KAISER FRANZ JOSEPH VON OSTERREICH, SEIN LEBEN UND SEINE ZEIT. Von Franz Herre. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 501 Seiten. öS 300,20.

KAISER FRANZ JOSEPH I. UND SEINE ZEIT. Von Anton Graf Bossi Fedrigotti. Verlag Ringier & Co. AG Zürich—München. öS 252,20.

FRANCISZEK JOZEF I. Von Stanislaw Grodziski. Verlag Zaklad Na-rodowy im. Ossolinskich, Wroclaw 1978, 199 Seiten.

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