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„Carissime in Christo Fili“

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DIE POLITISCHE KORRESPONDENZ DER PÄPSTE MIT DEN ÖSTERREICHISCHEN KAISERN 1804—1918. Von Friedrich Engel -Janosi, in Zusammenarbeit mit Richard Biaas und Erika Weinzierl. Verlag Herold, Wien-München, 1964. XXVII. 434 Seiten. Preis 280 S.

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DIE POLITISCHE KORRESPONDENZ DER PÄPSTE MIT DEN ÖSTERREICHISCHEN KAISERN 1804—1918. Von Friedrich Engel -Janosi, in Zusammenarbeit mit Richard Biaas und Erika Weinzierl. Verlag Herold, Wien-München, 1964. XXVII. 434 Seiten. Preis 280 S.

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Es lag im Wesen der Monarchie, der konstitutionellen und noch mehr der absoluten, daß die Souveräne aus bestimmten Anlässen unter Umgehung des üblichen diplomatischen Verkehrs zwischen den Staatskanzleien einander unmittelbar ansprachen. Daß sie sich dabei trotzdem der Ministerien oder der Kabinettskanzleien als Hilfsorgane bedienten, versteht sich von selbst. Eine besondere Note erhielt der Briefwechsel der Kaiser mit den Päpsten, da diese nicht nur souveräne Herrscher im Sinne des Völkerrechts, sondern als Inhaber des höchsten Hirtenamtes der katholischen Kirche auch die geistlichen Vorgesetzten der katholischen Monarchen waren. Der Heilige Vater redete den Kaiser von Österreich und König von Ungarn als seinen „vielgeliebten Sohn in Christo“ an, der Monarch zeichnete mit Devotionsformeln, die im weltlichen Bereich seiner Würde nicht angemessen gewesen wären, etwa mit „l'umile e devoto figlio“. Die Ambivalenz des Verhältnisses zwischen Papst und Kaiser, die seit Konstantin bestand und durch die Jahrhunderte fortdauerte, bis sie mit dem Ende der Herrschaft des österreichischen Kaiserhauses zwar im Sinne der unangefochtenen Majestät des ^geistlichen Schwertes“ entschieden wurde, den Papst aber auch jenes Schildes beraubte, der ihm das Kaiseramt in den Händen der Habsburger gewesen war, verleiht dem Briefwechsel der beiden höchsten Würdenträger der Christenheit einen besonderen Reiz und stellte die Kanzleien vor heikle, auch sprachlich interessante Aufgaben.

Professor Friedrich Engel-Janosi, der wohl beste Sachkenner auf dem Gebiet der austro-vatikanischen Beziehungen der letzten zwei Jahrhunderte, hat in Zusammenarbeit mit Richard Biaas und Erika Weinzierl, deren wissenschaftliche Zuständigkeit für diese schwierige Arbeit ebenfalls keines weiteren Beweises bedarf, die ihm aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv zugänglichen Briefe, ferner sechs Briefe aus den Vatikanischen Archiv und vier be reits . früher in einem Werk de Jesuiten P. Pirri veröffentlicht' Briefe im Original ediert und sie mit einer kurzen, regestenartigen deutschen Einleitung versehen. Selbstverständlich sind auch alle für eine Urkundenpublikation nötigen Vermerke hinzugefügt. Das Verzeichnis der Dokumente nennt neben dem Datum der Ausfertigung den Schreiber und den Adressaten — der nicht in jedem Fall auch der „Empfänger“ ist, weil einzelne Schreiben nicht abgesandt wurden — und bringt eine kurze Inhaltsangabe. Auf das Vorwort, das die Art und die Umstände der Edition darlegt, folgt eine 82 Seiten 'umfassende Einleitung. Hinter dieser allzubescheidenen Bezeichnung verbirgt sich ein ausgedehnter Essay, der nicht nur eine Zusammenfassung des Inhalts der Dokumente, sondern auch eine historisch-kritische Kommentierung bietet. Es braucht also niemand vor der fremden Sprache der Publikation zurückzuschrecken. Der Herausgeber hat in seiner Einleitung, jedem historisch interessierten Leser verständlich, den Duktus der politischen Beziehungen zwischen Hofburg und Vatikan in vollendeter Klarheit herausgearbeitet.

Dem Berichterstatter bleibt nur übrig, auf einige der bereits vom Editor gezogenen Schlußfolgerungen hinzuweisen. Der Briefwechsel beginnt mit der Notifikation der Annahme des Kaisertitels durch Franz I. (II.) im Jahre 1804. Aus dem Schreiben des Kaisers wie aus der Antwort Pius' VII. ist deutlich zu ersehen, daß es sich bei der Einführung des Kaisertitels um eine Rangerhöhung der Domus Austriaca, nicht um die Schaffung eines territorial begrenzten Kaisertums gehandelt hat. Das dürfte der entscheidende Grund sein, daß man beiderseits der staatsrechtlichen Zugehörigkeit der Erbländer zum Gebiet des noch bestehenden Deutschen Reiches keine Erwähnung tat. Es folgt die Notifikation der Abdankung Franz I. als Römischer Kaiser, wobei es der Papst ist, der auf die vom Kaiser nicht erwähnten politischen Verhältnisse hinweist, die den Schritt erzwungen haben. Diese Umstände werden noch deutlicher sichtbar in der Weigerung des Papstes, Österreich einen Auditor in der Rota Romana zuzugestehen, da Napoleon als Protektor des Rheinbundes die Rechtsnachfolge des Römischen Kaisers beansprucht.

Mit dem Wiener Kongreß und der Restauration Europas beginnt eine Phase reger Korrespondenz, in der die meisten Schreiben die jüngeren

Thesen über die Fortsetzung der josephinischen Kirchenpolitik durch Franz I. und Metternich beweisen und die ältere Auffassung widerlegen, der Josephinismus sei mit der Thronbesteigung Franz I. ein für allemal begraben worden. Erst unter Franz Joseph wird dem Drängen des Heiligen Stuhles nach einer die Kirche befriedigenden Regelung stattgegeben, aber schon wenige Jahre später beginnt Pius IX. den Kaiser vor den nach Revision des Konkordats strebenden Feinden der Kirche zu warnen und ihn beschwörend zur Erhaltung des Vertrages zu ermahnen. Die Antwortschreiben Franz Josephs spiegeln die veränderte Stellung der Monarchie im europäischen Kräftespiel und des Monarchen gegenüber den politischen Strömungen der Zeit. Die Korrespondenz mit Pius IX., bereits unter Ferdinand I. begonnen, zeigt aber auch eine andere, geradezu tragische Verstrickung der beiden korrespondierenden — dies nicht nur im Sinne des Briefwechsels gemeint! — konservativen Mächte Europas. Im Mai 1848 hatte der „nationale“ Papst den Kaiser aufgefordert, den Krieg gegen die Träger der nationalen Bestrebungen Italiens einzustellen und Italien in seinen „natürlichen Grenzen“ sich entwickeln zu lassen. Franz Joseph, wahrscheinlich also Fürst Felix Schwarzenberg, kann nicht umhin, den Papst, da er ihn zu der geglückten Flucht nach Gaeta beglückwünscht, in einer allerdings sehr zarten Andeutung an seine politischen Irrtümer zu erinnern. Nach fast zwei Jahrzehnten ist der Groll in Pius IX. noch so lebendig, daß er an einem Schreiben des Kaisers, der nunmehr (1868) seine eigenen innenpolitischen Schwierigkeiten darlegt, eine längere persönliche Randbemerkung anbringt, in der er auf jene Kränkung hinweist, die er dem noch sehr jungen Kaiser (giovanetto monarco) damals verziehen habe. Obwohl die Aufhebung des Konkordats und die ungarische Gesetzgebung dem Past ein Ärgernis sind, können weder Pio Nono noch Leo XIII. aus den Meinungsverschiedenheiten, die sich zwischen ihnen und dem konstitutionell gebundenen Kaiser ergeben, eine Streitsache machen. Die Bedrängnis des Gefangenen im Vatikan durch das freisinnige Regno, die Lage während des Kulturkampfes und die allgemein kirchenfeindliche Tendenz der Epoche zeigen dem Papst nur zu deutlich, daß seine letzte politische Stütze in Europa der Kaiser in Wien ist. Wie ang es damals um die Freiheit und Sicherheit des Statthalters Christi bestellt war, beweist das wiederholte Angebot Franz Josephs, der Heilige Vater möge, wenn er in Rom nicht

änger bleiben könnte, in Österreich Asyl nehmen (das erste Angebot war bereits 1865 ergangen).

Das in der biographischen Literatur so oft erwähnte Telegramm von 1000 Worten, das der Kaiser nach lern Selbstmord des Kronprinzen an Leo XIII. gerichtet haben soll, connte auch Engel-Janosi nicht auf- inden. Er kann aber durch kritischen Vergleich der Daten der Doku- nente und der Ereignisse nach dem 10. Jänner 1889 die gerade in diesem Punkte nicht ganz präzisen Angaben Gskar von Mitis ergänzen und die Vermutung verdichten, daß zwischen len beiden formell gehaltenen Schreiben, die in den Dokumenten enthalten sind, ein intimer Gedankenaustausch stattgefunden haben nuß, daß es also das Telegramm oder eine andere Mitteilung mit folgender Antwort) gegeben haben nuß. Hoffentlich taucht es nicht fines Tages in einer Ilustrierten als Aufhänger für eine neue Mayerling- egende auf!

Unter Pius X. wird der Briefwechsel geradezu dürftig, was mit dem rohen Alter Franz Josephs zusam- nenhängen mag. Wir wissen ja aus finem Briefe Franz Ferdinands an Ludwig Pastor, daß der Thronfolger ier Ansicht war, der Papst sei über nnerösterreichische Fragen nur un- lulänglich unterrichtet. Unter Bene-

dikt XV. und insbesondere nach der Thronbesteigung Kaiser Karls erhalt im Zusammenhang mit den Friedensbemühungen des Papstes der Briefwechsel wieder hochaktuellen politischen Charakter. Kaiser Karl unterstützte nach Kräften die Aktion des Papstes. Es ging aber nicht ohne Meinungsverschiedenheiten ab. Benedikt XV. war der Ansicht, Österreich müsse unbedingt die Abtretung des Trentino anbieten, während der Kaiser gerade dieses Zugeständnis als unzumutbar für seine Völker bezeichnet. Mit der Mitteilung des Päpstlichen Botschafters an Kaiser Karl, daß der Papst sich außerstande sehe, bei Italien auf Unterlassung der Offensive hinzuwirken, klingt die Korrespondenz nicht nur tragisch, sondern beinahe als Tragi- groteske aus, da es die verzweifelte Lage der Monarchie, aber auch die Hilflosigkeit des Heiligen Stuhls und schließlich die andauernde Befangenheit des Kaisers in Illusionen zeigt, die ihn im Grunde bis zu seinem bitteren Sterben nicht verlassen sollten.

Mit der Edition des Briefwechsels der vier Kaiser mit den acht Päpsten wird der historischen Forschung eine wichtige Quelle auf bequeme Weise und in zuverlässiger Edition zugänglich gemacht. Der Kommentar des Verfassers bietet aber auch dem Laien einen spannend geschriebenen Abriß des letzten Jahrhunderts der alten Monarchie.

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