6565923-1949_46_02.jpg
Digital In Arbeit

Österreichische Verwaltungsreform, historisch gesehen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Verwaltungsreform steht in scharfer Debatte. Es häufen sich die Angriffe auf die Desamtorganisation des Behördenapparats der auf einzelne, zum Typus verallgemeinerte Mißstände. Der Umstand, daß sie ich oft stützen auf Klagen, die auch zu anderer Zeit die österreichische Öffentlichkeit beschäftigten, gibt Anlaß dazu, in knappen Zügen die Entwicklung der österreichischen Administration darzustellen. Die Schaffung eines staatlichen Verwaltungsapparats in neuzeitlichem Sinn ist die Leistung Maximilians L, beziehungsweise Ferdinands I. Was jener an Entwürfen und Plänen projektierte, hat dieser in staatsmännischer Nüchternheit zu einem Bau gefügt, der bis heute in ungebrochener Linie fortgeführt werden konnte. Gerade diese jahrhundertealte Tradition hat der Kritik immer wieder Anlaß dazu gegeben, von reaktionärer Gesinnung und Rückschrittlichkeit im österreichischen Beamtenapparat zu reden, während sie ebenso häufig auf die bedeutende Rolle hinweist, die die konservative englische Bürokratie für die Stabilität und damit Prosperität des britischen Reiches zu spielen berufen war und ist. Es soll hier nicht versucht werden, wirklichkeitsfremde Beharrungstendenzen zu glorifizieren, aber es verdient die kontinuierliche Entwicklung österreichischer Verwaltung an diesem so empfindlichen Punkt des europäischen Organismus keinesfalls weniger eine positive Wertung als die konforme Erscheinung im meerumspülten Britannien.

Das Herrscherhaus hat die Behörden aus den Institutionen der einzelnen österreichischen Länder im Mittelalter entwickelt, unter Heranziehung der Erfahrungen im fortschrittlichen burgundischen Beamtenwesen. So haben wurzelhafte, bodenständige Formen und weltoffener, dem gesamten Abendland verpflichteter Geist eine anderen Bereichen ebenbürtige österreichische Kulturleistung hervorgebracht. Auch für unsere Existenz als europäische Kultur? nation liegt in dieser Tatsache eine unabdingbare Verpflichtung, die für die Verantwortlichen an dem Umbau und der Reinigung des österreichischen Behördenwesens neben nur praktischen Erwägungen gleichberechtigt bestehenbleibt.

Der historische Ablauf erscheint durch drei große Reformwerke gegliedert, die eine Anpassung an die veränderten äußeren Bedingungen, mit sich brachten, das Reformzeitalter unter Maria Theresia und Joseph II., die Reform nach den Ereignissen von 1848 und die Reduktion des Behördenapparats auf die Erfordernisse der Republik nach 1918.

Die Zentralbehörden Ferdinands I. umfaßten den Geheimen Rat, den Hofrat, die Hofkanzlei, die Hofkammer und den Hofkriegsrat, sie waren als Berater und Stellvertreter des absoluten Herrschers kompetent für das Reich und die österreichischen Länder, mit Einschränkungen auch für das neuerworbene Böhmen und Ungarn- Die fürstlichen Landesbehörden waren das wirksamste Instrument zur Zurückdrängung des ständischen Mitregierungsrechtes, damit zur Überwindung des landesfürstlich-ständischen. Dualismus, die Zentralbehörden jedoch Aus- . gangspunkt des Gesamtstaatsbewußtseins und der Überwindung des Partikularimus zugunsten eines gesunden Föderalismus. Die Rolle, die Behördenorganisation und Beamtentum in diesen Kernproblemen der sozialen und staatlichen Struktur Österreichs gespielt haben, ist eine so fruchtbare und in die Grundlagen der Entwicklung reichende wie in keinem anderen Staat.

Die charakteristischen Tendenzen der Epoche bis Maria Theresia sind: die schrittweise Trennung der für das Reich und Österreich zuständigen Behörden — besonders markant in der Errichtung der österreichischen Hofkanzlei neben der Reichshofkanzlei durch Ferdinand II. 1620 — und die Einrichtung neuer Behörden für Wirtschaft, Handel und Industrie wie Bankalität, Ministerialbancodeputation und verschiedener Merkantilkollegs unter Karl VI., schließlich 1746 des Universalkommerzien- direktoriums. In diesem Zeitraum von über 200 Jahren, in dem trotz schwerster Belastungen, wie Dreißigjähriger Krieg, Türkenkriege und spanischer Erbfolgekrieg, an dem Grundgefüge nichts geändert werden mußte, treten nun typische Entartungserscheinungen auf, ausgelöst einerseits durch die Versuche einzelner Fürsten, autokratisch zu regieren, andererseits durch die in jedem Behördensystem latent vorhandene Gefahr einer Bürokratisierung durch Abzweigung zahlreicher über- und untergeordneter Stellen, geschaffen ursprünglich für zeitlich begrenzte Aufgaben, die ihre Existenz dann weiter behaupten können und übertraditionelles Festhalten an Ämtern, die ihren Aufgabenbereich an andere längst verloren haben. So stieg zum Beispiel die Zahl der Geheimen Räte von vier bis sechs unter Ferdinand I. auf 150 im Jahre 1705, aus diesem regierungsunfähigen Massenaufgebot bildete Leopold I. schon 1669 die Geheime Konferenz. Verschiedene Zwischenbehörden, die ihr Dasein nur den habsburgischen Erbteilungen verdankten, behaupteten ein zähes Leben, wie die Grazer und Innsbrucker Regierung. Ebenso war eine außerordentliche Vielfalt in der sachlichen Zuständigkeit verschiedener Behörden eingetreten, die auswärtige Korrespondenz zum Beispiel war aufgeteilt auf die österreichische Hofkanzlei, die lateinische Expedition der Reichskanzlei, die Kanzlei des Hofkriegsrates und den schlesischen Referenten der böhmischen Hofkanzlei. Diese Ordnung war — trotz ihrer Reformbedürftigkeit — doch organisch gewachsen in steter Wechselwirkung von staatspolitischem Erfordernis und darauf erfolgender Reaktion des Verwaltungsmechanismus. Spiegelt sich in ihr nicht ebenso wie in den Kunstwerken des Barocks die Freude an Raffinement und überreichem Detail, an Bühnenwirksamkeit repräsentativer Schaustellungen, aber auch an beziehungsreicher, gedankentiefer Symbolik —?

Der aufgeklärte Absolutismus nahm tiefgreifende Veränderungen an dieser Behördenwelt vor, in wenigen Jahrzehnten folgten einander 1749 die Reform des Grafen Haugwitz, 1760 bis 1765 die des Fürsten Kaunitz, die Maßnahmen Josephs II. und ihre Aufhebung und Abänderung unter Leopold II. und Franz II. Die treibenden Motive dazu lagen in erster Linie in der gebieterischen Notwendigkeit eines sparsamen und ökonomischen Funktionierens des Staatsapparats, in zweiter in der Einbeziehung immer weiterer Bereiche des öffentlichen Lebens in die staatliche Obhut durch Schaffung der Gubernial-, beziehungsweise Kreisbehörden, durch die Betreuung von Wissenschaft, Kunst und religiösem Leben, von Volksbildung und sozialer Fürsorge durch.den Staat, durch die Einrichtung der Polizei. Ein bleibendes Ergebnis von außerordentlichem Wert war die endgültige Konsolidierung der unabhängigen Justizbehörden. Die aufklärerischen und merkantilistischen Theorien entsprungenen Zentralisierungsversuche Haugwitz’ und Kaiser Josephs II. konnten sich nicht behaupten, das „Direktorium in publicis et camerali- bus , beziehungsweise die Vereinigte Oberste Hofstelle wichen wieder den Hofkanzleien und der Hofkammer. Der österreichischem Wesen eingeborene Hang zu gesundem Individualismus und Föderalismus hat diese Gebilde doktrinär-theoretischer Maximen überwunden.

Nicht im Aufbau des Behördenapparats also, sondern in seinem Geist sind die Gründe dafür zu suchen, daß das Regierungssystem seit Joseph II., aber insbesondere der franziszäischen Epoche das flammende Anathema der demokratisch Gesinnten getroffen hat. Und fürwahr, die Konduite- listen, das Zurücktreten der leistungsmäßigen Qualifikation zugunsten anderer Erwägungen im Avancement, das Sicherheitssystem der gegenseitigen Überwachung der Ämter, der untergeordneten Stellen anerzogene Verzicht auf gesunde Initiative und verantwortungsbewußtes Entscheiden lähmten den Behördenorganismus so tiefgreifend, daß selbst das Österreich von 1948 noch manche Nachwirkung des Josephinismus zu überwinden hat, eine Aufgabe„ die niemals nur durch Ämterreduktion und Personalverringerung gelöst werden kann.

Das Jahr 1848 brachte die Konstitution, die Verantwortlichkeit der Beamten gegenüber der Volksvertretung, organisatorisch die Umwandlung der Hofstellen in Ministerien, das heißt eine nach rein sachlichen Gesichtspunkten durchgeführte Ressortie- rung, und die Aufhebung von Grundherrschaft und Patrimonialgerichtsbarkeit, ihren Ersatz durch Bezirks-, beziehungsweise autonome Gemeindebehörden und Bezirksgerichte, die gesetzlich verankerte Gleichheit aller Staatsbürger. Der Mechanismus der Ämter und Behörden wurde den in nationaler, staatsrechtlicher, sozialer und kultureller Beziehung so stark differenzierten Anforderungen des habsburgischen Vielvölkerstaates angepaßt, das Behördensystem war die stärkste Klammer Österreich- Ungarns. Menschenrechte und demokratische Grundsätze fanden eine klare und entschiedene Formulierung, das Beamtentum war schon in der Zeit der konstitutionellen Monarchie auch ein Organ des Staatsvolkes, anders als die Beamten des absoluten Fürstentums.

Das Österreich der demokratischen Republik hat dieses Fundament als einen der wenigen Aktivposten aus der Auflösung des Jahres 1918 übernehmen können. Die Schwierigkeiten resultierten wesentlich aus der Notwendigkeit des Zuschnittes des Behördenwesens auf die Bedürfnisse eines Mittelstaates in erster Linie in den Wiener Zentralstellen, während die Landesbehörden, nach der Umbenennung in republikanische, fast unverändert bestehenblieben. Es hat also auch dieses tiefstgehende und folgenschwerste Ereignis in der Geschichte Österreichs die lebendige Agilität und kraftvolle

Tradition österreichischer Verwaltungskunst eindeutig bewiesen.

Nun sei am Schlüsse die Frage aufgeworfen; Ist 1945 oder 1948 eine Epoche in der österreichischen ' Verwaltungsentwicklung, die tiefgreifende, radikale Veränderungen an dem Fundament des bestehenden Apparats erfordert? Ein Blick auf die Geschichte ergibt ein klares Nein. Es gehteinzig und alleindarum, das Kunstwerk des österreichischen B ehör d e n a ppar a t s von den Schlacken fremder, natio-

nalsozialistischerÜberflutung und bestimmter Nachkriegserscheinungen zu reinigen. Das möge schnell und gründlich geschehen.

Die Probleme sind alt, ihre Lösung wird von jeder Generaton neu gefordert, das versuchte die vorstehende Untersuchung zu zeigen. Ehrfurcht vor der großen Tradition und praktischer Gegenwartssinn verpflichten in gleicher Weise das österreichische Beamtentum. Freiheit und Ordnung ist das Idealziel österreichischer Verwaltungskunst durch fünf Jahrhunderte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung