6532857-1946_01_11.jpg
Digital In Arbeit

Joseph II. und der Josefinismus

Werbung
Werbung
Werbung

Joseph de Maistre hat von der französischen Revolution gemeint, sie sei kein Ereignis, sondern eine Epoche. Jedenfalls hat sie Frankreich und .mittelbar ganz Europa bis in die Grundfesten erschüttert und für viele Jahrzehnte in Bewegung geraten lassen. In Österreich, dem Lande der siegreichen Gegenbewegungen (Gegenreformation und Restauration), hat Joseph II. als Revolutionär von oben im Banne der rationalistischen Ideenwelt des 18. Jahrhunderts die große Staatsumwälzung durchgeführt und die revolutionäre Epoche eingeleitet, und darin liegt seine weltgeschichtliche Bedeutung. Sein Reformwerk war zwar' zum Scheitern verurteilt, Josefs maßlose Mißachtung der traditionellen Lebensformen in Staat und Kirche hat sein Leben und Werk in ein tragisches Zwielicht getaucht, die Geschichte hat ihm mit Recht den Namen des Großen vorenthalten. Trotzdem liegt über dem Dasein des Sohnes der großen mütterlichen Herrscherin Maria Theresia der Zauber einer monumentalen Gebrochenheit, die Josephs Wollen als überpersönlich bedingt, den Kaiser als ein Opfer des revolutionären Zeitalters erscheinen läßt. Joseph II. Rationalismus, Imperialismus und Zentralismus, sein Vernunft- und Zweckmäßigkeitsdenken waren vielfach nur der Ausdruck des Zeitgeistes, und deshalb fand der Kaiser bei der Durchführung seiner Reformideen so viele Helfer, auch im Klerus. Darüber hinaus aber mußte etwas in seinem Denken und Fühlen offenen und versteckten Neigungen seiner Völker, vor allem der österreichischen Deutschen, entsprechen, denn nach seinem Tode konnten sich einerseits entscheidende Tendenzen seines Regiments ls unerhört zäh und langlebig erweisen, anderseits konnte eine „Josefslegende“ entstehen, uie aus Joseph, dem konsequentesten Vertreter des Staatsabsolutismus in Österreich, einen Ahnherrn des Liberalismus werden ließ. Die Josifslegende aber, so objektiv unrichtig sie-auch sein mag, gewährt uns einen Blick in gewisse Voraussetzungen der Problematik der österreichischen Entwicklung, die bis in die unmittelbare Gegenwart spürbar sind. In der „josefinischen Epoche“ hat das antitraditio-nalistische Denken in Österreich, der klassischen Schöpfung des europäischen Barockzeitalters, seinen gewaltigsten und gewaltsamsten Ausdruck gefunden. Daß es sich dabei beim Josefinismus um die Verwirklichung einer Ideenwelt handelte, die über den engeren österreichischen Rahmen hinaus den ganzen Bereich des bajuvarisch-österrei-chischen Volkstums erfaßt hatte, zeigt nichts besser als die ähnliche Entwicklung, die Bayern unter Montgelas einschlug. Eine Darstellung des Lebens und des Werkes des ersten Habsburg-Lothringers in Österreich würde diesen geistesgeschichtlichen sowie s*.ammesmäßig und -geographisch bedingten Voraussetzungen nachzuspüren und den Kaiser als den gewaltigen Exponenten des revolutionären Zeitgeistes auf süddeutschkatholischem Boden zu zeichnen haben. Sie würde ihn aber auch als den Schöpfer einer Staatsidee zeigen müssen*, über deren Tiefe man verschiedener Meinung sein kann, die aber immerhin viele Generationen bewegt hat und zumindest als Komponente aus keiner der nachfolgenden Epochen der österreichischen Geschichte gestrichen werden kann.

Das Theresianische Österreich, dessen Wurzeln noch im Barockzeitalter lagen, war, bei iiler Wahrung der staatlichen Interessen gegenüber der Kirche durch die Herrscherin und bei aller Wucht der um die Existenz des Staates geführten jahrelangen Kriege, der Vergötzung des Staates nicht verfallen. In der Außenpolitik verfocht es die Idee des Reiches gegenüber einem schrankenlosen Imperialismus und in der inneren Verwaltung berücksichtigte und schonte es die historischen Gegebenheiten des vielgestaltigen Reiches.

Joseph II. fehlte der konservierende Instinkt seiner Mutter. Ein unoändiger Glaube an die schöpferische Kraft der vereinheitlichenden Vernunft führte ihn zur Mißachtung der Tradition. In der Außenpolitik wurde Josef hierin von Kaunitz unterstützt. Typisch ist in dieser Hinsicht seine Teilungspolitik gegenüber Polen und seine Orientpolitik. Josephs Imperialismus war wenig glücklich. Seine deutsche Politik, die in den Bestrebungen Bayern zu erwerben gipfelte, scheiterte am Widerstande Preußens. Die größten Leistungen der josefinischen Epoche liegen auf dem sozialen Gebiete. Seine Bauernbefreiung und seine Kolonisationspolitik sollten die Krisen der Monarchie überdauern. Nirgends wird übrigens die ethische Komponente von Josefs Reformbestrebungen so stark sichtbar wie gerade in diesem Sektor seines Wirkens. In Josephs Verwaltungs- und Kirchenpolitik aber siegten Zentralismus und Rationalismus über alle Hemmungen einer weisen Zurückhaltung, zeigte sich sein Verhängnis, keinen Sinn für die Notwendigkeit eines langsamen allmählichen Fortschreitens zu haben.

Trotz unbestrittener Verdienste des Kaisers auch auf kirchenpolitischem Gebiet -— es sei nur auf seine Vorsorge für die Seelsorge in den österreichisch-böhmischen Erbländern verwiesen — bedeutet sein Staatskirchentum für die Nachfolge ein erst spät in seiner Zwiespältigkeit erkennbares Erbe. Ist doch nicht zuletzt dem josefinischen Staatskirchentum die weitgehende Entfremdung breiter Schichten von der Kirche in späteren Zeiten zuzuschreiben. Joseph selbst war wohl gläubiger Katholik, aber er ist doch einer der Ahnherren des österreichischen Antiklerikalismus geworden, einer der bestimmenden Tendenzen in der inneren Geschichte Österreichs in den letzten hundertfünfzig Jahren.

Die franziszeische Epoche war die Reaktion gegen die josefinische Epoche, aber in vielem auch deren Fortsetzerin — Staatskirchentum und absolutistisches Regime zum Beispiel werden beibehalten; die Regierung begeht zwar keine zentralistischen Exzesse, aber es kommt auch zu keiner Belebung der alten, formal geschonten Einrichtungen. Sie ist eine Epoche des Stillstehens. Erst die Erschütterungen des napoleonischen Zeitalters führten im Habsburgerreich zur großen kon' servativen Restauration. Aber auch im Zeitalter Metternichs lebte der Josefinismus in dem entschiedenen Festhalten am Staatskirchentum und in zentralistischen Neigungen der österreichischen Bürokratie fort.

Der österreichische Neuabsolutismus 1848 bis 1860 wendet sich zwar vom Staatskirchentum durch den Abschluß des Konkordates von 1855 ab, aber in der Ungarnpolitik Bachs zum Beispiel triumphieren geradezu josefinische Tendenzen. Im österreichischen Liberalismus hingegen, der vorerst mundtot ist und die Katastrophe des Jahres 1859 abwarten muß, bevor er in Österreich zur Herrschaft kommen kann, wird Joseph II. zum legendären Bannerträger der liberalen Ideenwelt. Daß Joseph II. ein Despot war, wird über seinen kirchenpolitischen Reformen vergessen, ebenso daß dem Kaiser nichts ferner lag, als eine Zerstörung der Welt des katholischen Glaubens. Der antirömische Affekt des Liberalismus ist so stark, der Bund von Thron und Altar der neuabsolutistischen Ära erscheint den Liberalen so sehr als die Hemmung staatlicher Fortentwicklung, daß sie ihre Kulturkampfstimmung in den Kaiser hineinsehen. Daneben ist ein latenter Josefinismus im Beamtentum lebendig geblieben, für das der deutschsprachige Zentralismus des Kaisers eine traditionelle Rechtfertigung der deutschliberalen Sprachenpolitik wird. Schließlich wird der Kaiser zu Josef dem Deutschen, obwohl er zwar in der deutschen Sprache ein Bindemittel für das Reich, nicht aber in seinem Staat eine Domäne des Deutschtums sah. Bis zum Zusammenbruch des Jahres 1918 aber schwingt in allen Kämpfen und Bemühungen um die Erhaltung des Vielvölkergebildes Österreich als eines deutschen Staates ein Stück Josefinismus mit, so wie die Idee der französischen Revolution von der einen und unteilbaren Nation bis in die Existenzkrise der letzten Zeit immer wieder das politische Denken der Franzosen beherrscht hat. Die revolutionäre, antitraditionellem Denken entsprungene josefinische Idee eines österreichischen Einheitsstaates hat sich indessen bei alier Bedeutung, die ihr Generationen hindurch für die Erhaltung des staatlichen Organismus Österreichs zukommen mag, letzten Endes als ein Hemmnis für eine durch die Geschichte gebotene föderalistische Entwicklung Österreichs erwiesen,die Hand in Hand mit einer Wiedererweckung traditionalistisch - konservativen Denkens allein das Reich hätte retten können. Damit aber ist Joseph II. auch über seinen Tod hinaus, auch als der Mittelpunkt einer Legende und als das Symbol einer Staatsdoktrin ein Kraftzentrum der österreichischen Geschichte geblieben, ohne dessen Berücksichtigung man die Dauerkrise des österreichertums in dem letzten Jahrhundert seit 1848 nicht verstehen kann. Und auch heute noch gibt es einen latenten Josefinismus. Er wird in allen Persönlichkeiten und Strömungen sichtbar, die an die Stelle langsamen, organischen Werdens und der Schonung wohlerworbener Rechte und Interessen ein willkürliches Machen setzen wollen, nicht bedenkend, daß alle Planungen und Reformen, mögen sie noch so wichtig und notwendig erscheinen, Österreich zu dienen haben, daß aber nicht Österreich dazu da ist, das Feld rationalistischer Experimente abzugeben. Daß alle Versuche solcher Art schließlich scheitern müssen, dafür gibt die oft tragische Geschichte Joseph II. und des Josefinismus die besten Beweise.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung