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Der Kaiser als Verkörperung der Staatsidee

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uie verKorpemng dieser i'aee, lue Klammer, die den Staat, der nun bis tief in den Balkan hineinreicht, der dem Heiligen Reich Deutscher Nation zugehört und gleichzeitig eine Vielzahl fremder Nationen umschließt, ist der Kaiser, der absolute Monarch. Für seine Völker war er der Staat, und zwar nicht nur in jener Ära des Absolutismus, sondern auch noch 1916, als man allgemein im Tod des alten Kaisers auch schon den Untergang der Monarchie betrauerte. Sie hatte 1713 durch die Pragmatische Sanktion wenigstens für ihre Spitze ein Grundgeisetz erhalten, für das Karl VI. von allen Erbländern An-erkenniungserklärungen einholte.

Im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus Maria Theresias und Josephs II. wurde neben dem Adel auch der Armee und der Beamten-

schaft die Funktion der Verkörperung der Staatsidee zugewiesen. Sie haben sie bis zum Zusammenbruch der Monarchie erfüllt. Außerdem gelang es dem Josephinismus, eine Art von Gesamtpatriotismus durch seine zielbewußte Gesetzgebung zi erwecken, die durch die Richter unc Beamten im ganzen großen Reich wirksam wurde. Die Ansätze zi einer gezielten staaitsburgerlichear Erziehung auf historischer Basi: scheiterten jedoch am Mangel einei alle Nationen umfassenden und befriedigenden Geschichtsschreibung Auch konnte die josephinischi Devise „Alles für das Volk, abe: nichts durch das Volk!“ bei diesen kaum Freuide an der eigenen Staat lachen Existenz und nationale, Selbstgefühl erwecken. .

Die Befreiungskriege gegen Napo leon ließen dann neben den Herr

scher als Symbol der Staatsgewalt das „Vaterland“ treten. Die führenden Staatsmänner befürchteten aber bald, daß der von der Romantik entzündete nationale Patriotismus mit demokratischen Tendenzen dem übernationalen Kaisertum Österreich — wie der Titel des Habsburgerstaates, der das Heilige Römische Reich überlebt hatte, seit 1804 lautete — auch sehr gefährlich werden könne. Sie schalteten daher rasch und nicht ohne Härte wieder auf die ausschließliche Orientierung auf den Monarchen um. Diese gewaltsame Dämpfung nationaler und freiheitlicher Ideen im Vormärz bewirkte jene gegen das System Metternichs gerichtete antiösterreichische Propaganda aus dem Ausland, der gerade die intellektuellen Schichten in Österreich selbst nur allzu willig zum Opfer fielen.

Die Revolution des Jahres 1848 brachte die Monarchie bis an den Rand des Zusammenbruches. Er wurde durch das „Wunder des Hauses Österreich“, in diesem Fall die Armee, verhindert. In der anschließenden Ära des Neoafosolutis-mius bis 1859 versuchten dessen leitende Politiker den Neubau eines starken, auf Armee, Beamtentum und Kirche gestützten zentra-listischen Einheitsstaates Da sie aber die 1848 gewonnenen Errungenschaften (Pressefreiheit, Parlament und Verfassung) wieder beseitigt hatten, gelang es ihnen nicht, das Ressentiment des liberalen Bürgertums zu überwinden. Ihre Bemühungen scheiterten oder kamen zuletzt ihren Gegnern zugute. Das gilt auch von der Gründung des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1854. Es sollte eine Schule zur geschichtlichen Selbsterkenntnis des Großösterreichs jener Tage werden und geriet infolge des Versagens seines ersten Direktors in eine ganz andere wissenschaftliche Bahn.

Die militärischen Niederlagen Österreichs von 1859 und 1866 bewirkten den Zusammenibruch des Neoabsolutismus und den Beginn der konstitutionellen Ära. Sie wurden daher von den österreichischen Liberalen mit Genugtuung begrüßt. Ein Jahr nach dem Sieg Preußens bei Königgrätz, der das Ausscheiden 1 Österreichs aus dem Deutschen 1 Bund zur Folge hatte, brachte der Ausgleich mit Ungarn das Aus-' einanderf allen der Monarchie in ■ zwei ReichshäQften und damit das ! Ende der Gesamtstaatsidee. Die zis-leithanische Reichshälfte erhielt 1 keinen dem Königreich Ungarn ' gleichwertigen und zügigen Namen. ä Ihr amtlicher Titel lautete: „Die im Reichsrat vereinigten Königreiche • und Länder“. Erst im Weltkrieg, im - Oktober 1915, wurde der Name

„Kaisertum Österreich“ offiziell eingeführt.

Sturz ins Bodenlose

In den letzten Jahrzehnten der Doppelmonarchie haben sich zwar deren beste Kräfte angesichts des immer greller aufflammenden Nationalismus Gedanken über die Zukunft des Staates, über eine tragende Staatsidee gemacht. Ihre Vor-

schläge fielen jedoch nicht auf fruchtbaren Boden. Schließlich stand die intellektuelle Führungsschicht dem schwierigen „Staats- und Reichsproblem“ teils ratlos oder besorgt, teils ablehnend gegenüber, waren bei der Mehrheit der Österreicher Staatsbewußtsein, parlamentarische und staatsbürgerliche Bildung gering. Der Zusammenbruch der Monarchie, der jähe Abschied vom Kaiser, bedeutete daher für viele Österreicher, besonders aber für die Katholiken wegen der traditionell engen Verbundenheit zwischen Dynastie und Kirche, einen Sturz ins Bodenlose. Sie alle waren nach den Worten Karl Renners „über Nacht ein Volk ohne Staat geworden“.

Am 12. November 1918 beschloß die Provisorische Nationalversammlung einstimmig das Gesetz über die Ausrufung der Republik. Seine ersten Artikel lauteten: Deutschösterreich ist eine Republik ... Deutschösterreich ist ein Bestandteil des Deutschen Reiches. Die Konstituierende Nationalversammlung bestätigte im März 1919 das Anschlußvotum, dessen Verwirklichung damals nur am Veto der Alliierten, in den Friedensverträgen von Versailles und Saint Germain scheiterte. Die Mehrheit der Bürger des klein gewordenen Staates hielt in der Not der Nachkriegszeit Österreich nicht für lebensfähig. Einzelne Bundesländer haben diese Meinung sogar in Abstimmungen zum Ausdruck gebracht. Die Demokratie war 1918 von vielen als Allheilmittel begrüßt worden.

Per Prügelknabe hieß „Demokratie“

In den Jahren der Wirtschaftskrise und des Parteikampfes wurde die Demokratie infolge mangelnder Erfahrung mit ihrer Praxis für alle Mißstände verantwortlich gemacht. Besonders die in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum Schutz der Heimat oder einer Ideologie entstandenen bewaffneten Verbände verstärkten mit ihrem Ende der zwanziger Jahre immer bedrohlichere Ausmaße annehmendem Wettrüsten die allgemeine Unruhe und Unsicherheit. Man wollte sich vor ihnen mit der Waffe in der Hand sichern und erwachte schließlich in einem blutigen, von Mussolini geforderten Bürgerkrieg, obwohl die Machtübernahme Hitlers in Deutschland noch 1933 bei den Ohristlichsozialen und den Sozialdemokraten ein Abrücken von der Anschlußidee bewirkt hatte. Der 12. Februar 1934 beendete die Versuche der Regierung Dollfuß, die den Rücktritt der drei Präsidenten des Nationalrates am 4. März 1933 zur Ausschaltung des Parlamentes benützt hatte, in dem bewußten Bekenntnis zu Österreich als einem Bollwerk gegen Nationalsozialismus und Bolschewismus den Grund für ein neues Staatsbewußtsein zu legen. Trotz christlichem Ständestaat und Vaterländischer Front blieb ein großer Teil der Österreicher abseits, war das System für sie mit Gewalt und Unrecht behaftet.

Die Wende begann 1938

Die entscheidende Wende begann sich erst im Frühjahr 1938 unter dem Eindruck der unmittelbar bevorstehenden Überwältigung Österreichs durch Hitler anzubahnen. Der Einzug Hitlers und seiner Truppen wurde zwar noch von Hundert-tausenden von Österreichern bejubelt. Zur gleichen Zeit wurden aber schon mehr als 70.000 Österreicher aus allen früheren österreichischen Parteien verhaftet. Die rüde Installierung der „deutschen Herrschaft“ ernüchterte bereits im Sommer und Herbst 1938 die Mehrheit der Bevölkerung. In den sieben Jahren des nationalsozialistischen Regimes das nicht nur den Namen

Österreich verbot, sondern schließlich auch die „Ostmark“ zerschlu? und nur noch „Donau- und Alpengaue“ kannte, erwachte jene Gesinnung, die mit dem Tod von mehr als 35.000 Österreichern (einem halben Prozent der Gesamtbevölkerung) unter dem Schaffott, in Gefängnissen und KZs für Österreich zeugte und schließlich das Wiedererstehen und den Aufbau unseres Staates nach 1945 ermöglichte.

1945 stand das Zusammengehörigkeitsgefühl der Österreicher in allen Bundesländern, die Bejahung der Eigenstaatlichkeit — im Gegensatz zu 1918 — außer Frage. Die Politiker hatten zu einem guten Teil im KZ die Notwendigkeit einträchtiger Zusammenarbeit gelernt und bis zum Staatsvertrag von 1955 bot die Anwesenheit der Besatzungsmächte die Gewähr für ihre unbedingte Aufrechterhaltung. Aber auch das österreichische Volk als ganzes hat Entscheidungen gefällt und Handlungen gesetzt, die staatspolitische Reife bewiesen und wesentlich dazu beigetragen haben, daß Österreich das Schicksal der anderen Nachfolgestaaten erspart geblieben ist: Die vernichtende Niederlage der Kommunisten in den ersten Wahlen im Herbst 1945 trotz der russischen Besetzung Ostösterreichs und die Unterdrückung der kommunistischen Unruhen und Streikversuche im Oktober 1950, deren Gefährlichkeit vielen Österreichern damals gar nicht so recht bewußt war.

Wenn auch in den zwölf Jahren seit dem Staatsvertrag Einigkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl zeitweilig wieder durch Parteienhader und Interessenstreit beeinträchtigt worden sind, so steht doch außer Zweifel, daß die Zweite Republik auf wesentlich mehr Staatsbewußtsein und Patriotismus bauen kann, als es der Ersten je möglich war. Daß sie noch nicht so tief verwurzelt' sind wie sie sein sollten, liegt am Werdegang unseres Staates und an uns selbst. Für die Sicherung der Zukunft Österreichs ist ihre Pflege und Stärkung unerläßlich. Sie sind eine nationale Aufgabe, die nicht nur mit einem Nationalfeiertag gelöst werden kana.

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