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Kämpfer und Prophet

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Heute, da ein unermeßlich trauriges Schicksal das Deutschtum der osteuropäischen Länder betroffen hat und fast nichts mehr übrig läßt von dem, was dieses Volkstum bedeutete, soll das Andenken eines Mannes unvergessen sein, der an der großen tragischen Wende als ein getreuer Ekkehard in der Mitte der Deutschen in Polen stand, ein Führer, ein Kämpfer und ein Prophet. Daß er das undankbare Schicksal der Wahrheitsager, Warner und Propheten teilte, macht seine Gestalt noch ehrwürdiger. Tiefe Trauer erfüllte die Schar seiner Getreuen, als in den Mittagstunden des 20. Oktober 1938 der Sender Kattowitz die Botschaft ausgab, daß Professor Doktor Eduard Pant, der unerschrockene Vertreter der Rechte der deutschen Minderheit im schlesischen Sejm und im polnischen Senat, der unerbittliche Kämpfer gegen den das christliche Abendland bedrohenden Nationalsozialismus, an den Folgen einer schweren Kriegsverletzung, die er 1917 als österreichischer Offizier an der Isonzo- front erlitten hatte, gestorben sei.

Wir sind heute gewohnt, unter einem Führer den Mann zu verstehen, hinter dem die jubelnden Massen sich scharen. Aber auch derjenige ist Führer, auf den die wenigen blicken, die der- Zukunft ihres Volkes einen Weg zu bereiten suchen ohne Macht, nur mit dem unerschütterlichen Glauben an das Gute in der Welt begabt, die einen Weg gehen, den sie aus tiefer Überzeugung als den rechten Weg erkennen und auf dem sie weiterschreiten, ohne sich durch Not "und Verfolgung schrecken zu lassen. Ein solches Führertum ist Martyrium, sein schmaler Weg ist ein Leidensweg, reich an Enttäuschungen und Entbehrungen, fernab vom Rausch des Augenblickserfolges. Das Neue, für das Eduard Pant stritt, waren die Ideale der Nationalitätenbewegung, die, aus den Erfahrungen des ersten Weltkrieges heraus, überall dort, wo in einem politischen Raume verschiedene Nationalitäten zusammenlebten, ein organisches Neben- und Miteinander erstrebte, das frei von Unsicherheit und Gewalt eine friedliche Gemeinschaft zu begründen strebte. Eine solche Politik mußte, über die Nationalstaatsgedanken des 19. Jahrhunderts hinausgehend, eine europäische Synthese erstreben, die den politischen Willen der Bürger bedingungslos auf den staatlichen Heimatraum beschränken und zugleich dem kulturellen Sein reibungslos sein naturgegebenes Gebiet freigab. Es kann keine kulturelle Freiheit geben ohne staatliche Gesinnung, und es kann keine staatliche Gesinnung geben ohne kulturelle Freiheit. Und es kann weder kulturelle Freiheit noch staatliche Gesinnung geben ohne Einordnung in ein europäisches Verantwortungsempfinden, das auf dem abendländischen Sittengesetz beruht, das sich im christlichen Bewußtsein des Individuums spiegelt. Für die d e u t- sehen Minderheiten, die einen reichen Anteil an der Schaffung dieser Gedankenwelt hatten, bedeutete das auf politischem Gebiet Treue zum Heimatstaate und staatliches Verantwortungsbewußtsein, auf kulturellem Gebiet aber Anteilnahme am deutschen Kulturgut und dessen Vermittlung an die Umwelt. Einer solchen konstruktiven Lösung des deutschen Minoritätenproblems begegnete mit Vehemenz seit seiner Machtergreifung in Deutschland der Nationalsozialismus.

Eduard Pants Wiege hatte im nordöstlichen Industrierevier der Habsburgermonarchie — in Witkowitz — gestanden, wo Deutsche, Tschechen und Polen zu’ fast gleichen Teilen beheimatet waren, wo die nationalen Spannungen dem Leben den Stempel aufdrückten. Sein Vater war Ar- ; beiter gewesen. Er selbst erkämpfte sich das Hochschulstudium. Der junge Philologe fand seine ersten Anstellungen an der staatlichen Realschule in Prag-Smichov und dann am Staatsgymnasium in Kufstein. In Tirol verdiente er sich die ersten politischen Sporen innerhalb der christlichsozialen Bewegung. Nach Bielitz kommend, sah er sich dort mitten in den Machtbereich eines noch ganz vom altliberalen Geiste erfüllten Unternehmertums versetzt. Ohne zu zögern, warf er sich an die Spitze der um ihre sozialen Rechte kämpfenden christlichen Arbeiterschaft. Unter seiner Führung wurde die altliberale Herrschaft im Bielitzer Gebiet gebrochen, unter seiner Leitung die erste christliche Gewerkschaft ins Leben gerufen. Der Weltkrieg brachte ihn zunächst an die russische, dann an die italienische Front, von der der Bataillonsadjutant Pant schwer verletzt in die Heimat zurückkehrte.

Als Bielitz nach dem Krieg an Polen fiel, konnte er seine Lehrtätigkeit an dem deutschen Staatsgymnasium wieder aufnehmen, aber gleichzeitig erwarteten ihn neue politische Aufgaben. Er wurde einer der ersten und bis zum Ende seiner Tage einer der wirkungsvollsten Sprecher für die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Rechte der Deutschen in Polen. Schon im ersten schlesischen Sejm, dem Parlament des autonomen polnisch gewordenen Teiles Oberschlesiens, das mit dem Teschener Gebiet die Wojwodschaft Schlesien bildete, erschien er als Vertreter der Bielitzer Sprachinsel. Er übernahm dann die redaktionelle Leitung des „Oberschlesischen Kuriers“, der größten deutschen Zeitung in Polen, die seine Übersiedlung nach dem oberschlesischen Industriegebiet notwendig machte. Seine Wirksamkeit dehnte sich rasch über Schlesien hinaus auf weitere große Gebiete Polens aus. Er begründet den Verband der deutschen Katholiken in Polen, die erste deutsche Organisation, die sich über das gesamte polnische Staatsgebiet ausdehnte. Eduard Pants Aktivität war es vor allem zuzuschreiben, daß diese große Kulturorganisation auch in Posen und Pommerellen, im Lodzer Gebiet und in den längst vergessenen deutschen Siedlungen Galiziens Fuß faßte und eine überaus fruchtbare Tätigkeit entfaltete. Zwölf Jahre war Eduard Pant als Abgeordneter im schlesischen Sejm tätig, davon einige Jahre als Vizemarschall, als der Deutsche Klub von den 42 Mitgliedern des Parlaments allein 15 Mandate zählte. Sieben Jahre lang gehörte er als Nachfolger Thomas Szczepo- niks, des ehemaligen oberschlesischen Zentrumsabgeordneten im Deutschen Reichstag, dem polnischen Senat an. Seine Mitgliedschaft zum polnischen Parlament erschöpfte sich nicht in der Stimmabgabe; er nahm aktiven Anteil an der parlamentarisehen Arbeit. Eine Persönlichkeit vom Format Eduard Pants, dessen ganzes Wesen Grundsatztreue war und für den Politik nichts anderes bedeutete wie die Anwendung christlicher Moral und Überzeugung auch im öffentlichen Leben, konnte sich nie und nimmer vor dem Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus über alle Deutschen beugen. Gegen den Nationalsozialismus kannte er nur kompromißlosen Kampf. Es wäre für Eduard Pant nicht Schwer ge- , wesen, sich die Gunst jenes Mannes zu sichern, vor dessen Namen einst die Welt erzitterte. Nichts lag diesem -selbstlosen Kämpfer mehr fern, als Familienbeziehungen, die lange vor der Errichtung des Dritten Reichs bestanden, für politische Zwecke auszunützen. Er sah in einem solchen Ansinnen Korruption. Noch im Februar 1933 gelang es Eduard Pant auf einer Konferenz des „Deutschen Rates in Polen“ in Warschau, der überwältigenden Mehrheit der Vertreter aller politischen Richtungen der deutschen Minderheit klarzumachen, weiche Gefahren der Nationalsozialismus gerade für die Deutschen im Ausland bringen müsse. Bald aber wurde es sichtbar, daß man im nationalsozialistischen Hauptquartier zum Schlage gegen den großen Gegenspieler unter den Deutschen Polens rüste. In solchen Fällen war man niemals wählerisch. Es mußte nicht jeder, der im Wege stand, ein solches Ende finden wie Dollfuß. Die kalte Methode des Rufmordes war die bequemere. Eine wilde Hetze setzte ein. Schon drohte ihm jenseits der Grenze, im Dritten Reich, Verhaftung, in Pölen regnete es Verleumdungen. Seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus wurde als „Verrat am Deutschtum“ Eingestellt, dem Deutschtum, dem kein anderer Politiker in Polen größere Dienste geleistet hatte. Hochbezahlte Propaganda, Lockung mit materiellen Vorteilen, List und Verrat, wirtschaftlicher Druck und gesellschaftlicher Boykott arbeiteten gegen Pant. Die Schwachherzigen beugten sich, die Kurzsichtigen ließen sich vom äußeren Erfolg der nationalsozialistischen Machthaber im Dritten Reich hinreißen. Der „Oberschlesische Kurier“ wurde den überzeugungstreuen Vertretern christlicher Politik durch plumpen Verrat entwunden. Eduard Pant wurde unter Aufwand beträchtlicher Reichsmittel aus der Führung des von ihm gegründeten Verbari-des deutscher Katholiken herausgewählt. Und als Eduard Pant trotz alledem seinen Kampf fortführte und sich mit einem neuen Wochenblatt, „Der Deutsche in Polen“, ein weithin hörbares politisches Sprachrohr verschaffte, versuchte man den Frontoffizier und Invaliden aus dem Weltkrieg-auch noch als Verräter an der Armee und dem Staat hinzustellen, für die er geblutet hatte.

An Eduard Pants Charakterstärke scheiterte alle Bosheit. Er wankte nicht bis zu seinem letzten Tage, War die Schar derer, die sich offen zu seiner Führung bekannten und ihm in Treue folgten, kleiner als früher, so wußten wir doch aus vielen vertraulichen Berichten und mittelbaren Anzeichen, daß Eduard Pant zugleich für Tausende und Abertausende von Stillen im Lande sprach, die sich nicht öffentlich bemerkbar machen konnten. Aber auch die Kräfte des Unermüdlichen, Standhaften erschöpften sich. Seine Kriegsverwundung hätte ihm Schonung auferlegt. Er dachte nie daran. Vielleicht ersparte ihm der Tod, der ihn am 20. Oktober 1938 in die Ewigkeit berief, ein schreckliches Schicksal. Bei der Beisetzungsfeier huldigten ihm noch einmal seine Getreuen und bezeigten die Blätter aller politischen Richtungen Polens ihre Ehrerbietung vor der Reinheit und sittlichen Größe seiner Persönlichkeit.

Elf Monate danach begann ein neues Kapitel deutscher Geschichte, Was Eduard Pant mahnend und warnend Jahre hindurch klar vorausgesehen und vorausgesagt hat, ist furchtbare Wirklichkeit geworden: dem totalen Staat und der totalen Führung folgte der totale Krieg und der — Untergang …

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