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Zwischen sämtlichen Feuern

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Der „Fall Frenzel“, der durch das vorliegende Geständnis, den sofort erfolgten Parteiausschluß und den freiwilligen Mandatsverzicht des ehemaligen deutschen SPD-Mandatars juristisch eindeutig auf das ihm zukommende kriminalistische Geleise geschoben wurde, hat dennoch verschiedene, über die nicht eben sehr bedeutungsvolle Einzelperson hinausweisende Aspekte. Einen der ernstesten hat der deutsche Verteidigungsminister Strauß aufgezeigt, als er von der nationalen Bedeutung der Angelegenheit sprach und sich — in anerkennenswerter Selbstverleugnung seines eigenen CDU-Interesses — gegen eine primitive parteipolitische Ausschrotung der Sache wandte. Sie erfolgte natürlich trotzdem. Innerhalb und außerhalb der bundesdeutschen Grenzen wurde sofort die „rote Katze“ zum Leben erweckt. Die Emigranten, zu deren „lichtscheuem Gesindel“ ja, wie ganz nebenbei bemerkt wurde, auch ein gewisser Willy Brandt gehört, bekamen einen wohlgezielten Nasenstüber. Und die in Österreich erscheinende „Neue Front“ schoß in Nr. 45, Seite 3, den propagandistischen Vogel ab, als sie unter den hervorragenden Schandtaten des p. p. Frenzel die Tatsache vermerkte, daß er als „lautester Sprecher“ der von der Redaktion in Gänsefüßchen gesetzten sogenannten Widerstandskämpfer und Vorsitzender des Wiedergutmachungsausschusses „Millionen von Mark an Juden in aller Welt“ bezahlen ließ, eine Tat übrigens, für die ihm wenige Minuten vor seiner Verhaftung Adenauer öffentlich Dank und Anerkennung aussprach. Noch ist die Untersuchung nicht abgeschlossen, die festzustellen haben wird, inwieweit der kommunistische Agent und Spion Frenzel, den zu Recht die ganze Härte des Gesetzes treffen mag, als. rein krimineller Täter anzusehen ist und inwieweit in diesem Falle die Gesinnungsmomente mitspielen. Für alle Fälle wird die deutsche Öffentlichkeit den Blick auf ein historisch-politisches Panorama freibekommen, das in den letzten Jahren durch viele Versatzstücke verstellt worden war: auf die Welt des sudetendeutschen Atrtifssehjsrmis, besendere auf die Sozialdemokratie dieses Gebietes, deren Schickal eines der tragischsten dieses an Tragik überreichen Halbjahrhunderts gewesen ist.

„DAS TRAGISCHE ELEMENT DER VERLASSENEN“ So nannte der „Daily Herald“ im September 1938 die sudetendeutschen Hitler-Gegner. Zur damaligen Stunde waren diese organisiert nur noch in den Kadern der Sozialdemokratie vorhanden. Wohl gab es im Herbst 1938 noch christlichsoziale, liberale, ja auch großdeutsch-nationale (Lodgman) und konservative Gegner de mit dem „Anschluß“ heranbrandenden Nationalsozialismus. Aber sie hatten keine politischen Instrumente mehr. Die führenden Gremien der deutschen demokratischen Parteien hatten unter dem Eindruck des„ soeben erfolgten österreichischen Anschlusses und einer dezimierenden Wahlniederlage in wilder Panik ihre freiwillige Gleichschaltung an die Henlein-Partei vollzogen, innerhalb dieser nicht von allem Anfang an nationalsozialistisch beherrschten Sammelgruppe waren alle Einflüsse nichtnazistischer Art zum Teil mit Gewalt ausgeschaltet worden. Die Kommunisten spielten ein völlig undurchsichtiges, auf „baisse“ spekulierendes stalinistisches Doppelspiel. Geschart um ihren damals jungen Führer Wenzel Jaksch, der sich mit ganzem Einsatz in die Bresche warf und - buchstäblich erst fünf Minuten nach zwölf - als Letzter das bereits gesunkene Schiff verließ, kämpften die sudetendeutschen Sozialdemokraten die letzte Schlacht ihres Mehrfrontenkampfes, der für sie in den ersten Tagen der CSR begonnen hatte und den sie genau 20 Jahre lang ohne Ermüdungs- und Zerfallserscheinungen durchgestanden hatten. Früher als für andere sozialistische Parteien stellte sich für die aus der altösterreichischen Sozialdemokratie hervorgegangene sudetendeutsche Organisation die Zerreißprobe einer sprengenden Alternativfrage. Bereits auf dem Karlsbader Kongreß vom Oktober 1920 stießen die Konzeptionen aufeinander: Josef Seliger, ein Mann aus der Schule Karl Renner, repräsentierte eine „Rechte“, die man mit viel mehr Fug bereits als Konzeption der freiheitlichen Demokratie denn als marxistische Sektion bezeichnen konnte. Auf der anderen Seite agitierte Karl Kreibich, dessen Auffassungen sich kaum von denen der Kommunisten unterschieden, bei denen er dann auch folgerichtig landete. Wenzel

Jaksch berichtet in seinem Memoirenwerk „Europas Weg nach Potsdam“ von jener drei Tage und drei Nächte währenden Redeschlacht im Karlsbader Schützenhaus. Er erzählt mit der fiebernden Anteilnahme des Dabeigewesenen von den Galerien und Tribünen, auf denen einander Väter und Söhne gegenüberstanden. Ein verschollenes Ereignis aus einer weit zurück liegenden, auch von den heutigen Sozialisten als legendär empfundenen Zeit: Und dennoch wurden bereits damals jene verhängnisvollen Weichen gestellt, auf denen heute, nach vierzig Jahren, der Zug des ehemaligen sudetendeutschen Sozialdemokraten Frenzel in den moralischen Abgrund fuhr. Schon damals zeigte es sich nämlich, daß die Sozialdemokratie der Deutschen in den böhmischen Ländern vor einem Vielfrontenkampf stand, in dem von allem Anfang an ein wirklicher politischer Sieg nicht zu erhoffen war. Die sudetendeutschen Sozialdemokraten wollten Deutsche sein. Deutschtum hatte für sie nichts mit dem Bierbanknationalismus oder der erwachenden Demagogie der Nationalsozialisten zu tun. Für sie war der nationale Existenzkampf gleichbedeutend mit dem sozialen Kampf der in ihren Reihen stehenden Arbeiter. Auf der anderen Seite stand die Republik, deren Führung nach dem Scheitern der ersten großen Koalitionsregierung Tusar (im gleichen Jahre 1920) in den Händen einer festen Mehrheits- und Interessengemeinschaft der dominierenden tschechischen Agrarpartei mit der tschechischen nationalliberalen Bourgeoisie lag. Zu den in klassenmäßiger Opposition gegen die bürgerlich-agrarischen Kabinette stehenden tschechischen Sozialdemokraten gab es, der nationalen Schranke wegen, keinen wirklich dauernden und vertrauensvollen Kontakt. Auch wechselten die Koalitionsfronten mit opportunistischer Häufigkeit. Scharf war, noch aus der altösterreichischen Renner-Tradition heraus, der unüberwindliche Trennungsstrich zum Kommunismus, dessen Partei in der alten CSR ja kaum als proletarische Linke, vielmehr als ein unglaublich elastisches und wandlungsfähiges Kampfinstrument der Komintern anzusehen war. Mit der KP gab es kein Gespräch, geschweige denn ein Bündnis. Chamäleonartig vertrat sie zunächst den radikal deutschnationalen Anschlußpunkt, wandelte sich dann in den dreißiger Jahren zu seriöser westlicher Demokratie, sabotierte in der Ära des Hitler-Stalin-Paktes den nationalen Widerstand gegen die deutsche Okkupationsmacht, um nach 1945 an antideutschem Chauvinismus und Haß die bewährtesten tschechischen Nationalisten zu übertreffen. Für die sudetendeutsche Sozialdemokratie konnte es also niemals eine „Volksfront“ geben, ebensowenig aber konnte die 1918 durch Seliger zusammen mit dem nationalliberalen Vorkämpfer Dr. Lodgman geschaffene Volkstumsplattform halten, als sich der Nationalsozialismus von Jahr zu Jahr mehr als Monopolsprecher des Deutschtums aufspielte. Hier bildete die humanistisch-demokratische Tradition der SP eine Schranke, die viel un-übersteiglicher war als in manchen anderen Ländern.

AUSBRUCH NACH RECHTS - AUSBRUCH NACH LINKS

Zusammen mit den anderen demokratischen deutschen Parteien der CSR setzten die Sozialdemokraten in den späten zwanziger Jahren ihre Hoffnung auf die Politik des sogenannten Aktivismus. Sie stellte Minister und übernahm die keinesfalls populäre Regierungsverantwortung bis zum Ende von 1938 mit. Die Erfolge waren spärlich. Der Mehrfrontenkrieg, der sich an der Front gegen die immer massivere Boykottdiktatur der Henlein-Leute in den Sudetengebieten selbst von Jahr zu Jahr verschärfte, dauerte an. Er überdauerte sogar das Ende der Republik. Im Londoner Exil mühte sich Wenzel Jaksch vergebens, mit Benesch wenigstens für die Zukunft zu einer vernünftigen Verständigung zu gelangen. Während er sich in der Emigration zusammen mit wenigen, als Deutsche mit Mißtrauen beobachteten Getreuen in zähem Kampf gegen die hinterhältigen Winkelzüge Beneschs und gegen die Intrigen der Kommunisten aufrieb, wanderten die Sozialdemokraten in der Heimat in die Konzentrationslager oder bildeten verborgene Oasen der Demokratie, die auch den nichtsozialistis:hen Hitler-Gegnern — Tschechen wie Deutschen, Juden wie enttäuschten Nationalsozialisten — offenstanden. Dann kam 1945. Das neue Regime, in dem sich die nationalistischen Hasser er Sozialdemokraten, die sie als Deutsche und damit als Nazi ansahen, mit den Kommunisten, die endlich ihre alten Feinde erledigen wollten, zusammenfanden, verfolgte die kaum dem Hitler-Terror Entronnenen mit gleicher Unbarmherzigkeit. Nicht nur der letzte Akt, sogar der Epilog der Tragödie stand im Zeichen dieses Kampfes zwischen allen nur denkbaren Feuern. Früher als in irgendeiner anderen Partei erhob sich in den Reihen der sudetendeutschen Sozialdemokratie unter solchen Umständen die radikale Frage nach dem Sinn der eigenen politischen Existenz. Nicht wenige und nicht einmal die Schlechtesten waren es, die diesem Druck der Sinnlosigkeit nicht standzuhalten vermochten und nach rechts ausbrachen. Sie vermeinten, daß das Erbe Josef Seligers, der nicht zuletzt ein Vorkämpfer des Deutschtums gewesen war, in den „linken“ Tendenzen des Nationalsozialismus am besten aufgehoben sei. Sie stießen zu Hitler, nicht als schwankende Konjunkturritter, sondern als Verzweifelte. Wieder andere gingen den Weg zu Renners Konzept einer Neugestaltung der Donaumonarchie zurück, wurden Großösterreicher und Anhänger einer Abendlandidee föderativer Art, die nichts mehr mit dem ursprünglichen Sozialismus zu tun haben wollte, ja dessen etatistische und zentralistische Züge bekämpfte. Ganz wenige waren es. die den Kopfsprung nach links versuchten. Sie verzweifelten an der Demokratie wie auch am Deutschtum. Sie wollten nicht nur Bürger der demokratischen CSR, sondern Tschechen im vollen Sinn sein. Und sie glaubten, daß der Weg Kreibichs, der zum Kommunismus geführt hatte, von allem Anfang an der richtige und sinngemäße gewesen wäre. Man muß diese Vorgeschichte kennen, um den Entwicklungsgang eines Frenzel zu verstehen. Die absurde Rolle eines sudetendeutschen Sozialdemokraten, der als Besatzungssoldat in der alten Heimat in gleicher Weise dem kapitalistischen Siegerstaat England, wie dem sich etablierenden kommunistischen Regime von Prag zu dienen unternahm, mußte zu einer Schizophrenie führen, die nur im Irrsinn oder im Verrat am laufenden Band enden kann. Es ist fast anzunehmen, daß die Mehrzahl der deutschen Sozialdemokraten in binnendeutscher Biederkeit und Einlinigkeit des Denkens ebenso fassungslos vor diesem Phänomen einer totalen politischen Zerspaltung steht, wie der konsternierte Wirtschaftswunderbürger. Noch sind nicht alle labyrinthischen Windungen dieses weit in die Vergangenheit zurückführenden Ganges bloßgelegt. Sicher aber ist, daß an seinem Ende mehr an Wirrnis und Verhängnis zu finden sein wird, als sich dies die auf schnell-schnelle Erledigung des peinlichen Falles bedachte und nach möglichst summarischen Radikalmaßnahmen rufende deutsche Ordnungsliebe träumen läßt.

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