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Von Benesdi zu Gottwald

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Es ist heute vielleicht nützlich, darüber ein wenig nachzudenken. Wieso kam es vor zehn Jahren dazu, daß das westlichste slawische Volk mit einer starken bürgerlichen und demokratischen Tradition, praktisch über Nacht und fast ohne einen Schuß Pulver, unter die ausschließliche Macht des Kommunismus geriet?

Neben machtpolitischen Faktoren wirkten vor allem psychologische Umstände auf die Lähmung des Widerstandswillens der tschechischen Bevölkerung gegen den Kommunismus. Das Jahr 193 8 brachte mit dem Münchner Abkommen, in dem Frankreich und Großbritannien ihre Zustimmung zur Liquidierung der Tschechoslowakei gaben, wie sie 20 Jahre zuvor Thomas G. Masaryk trotz starker deutscher und madjarischer Minderheit in der Form eines Nationalstaates der einheitlichen, von ihm erfundenen tschechoslowakischen Nation konstruiert hatte, eine bittere Enttäuschung: man wurde vom Westen abgeschrieben und wegen einer nur kurzfristig möglichen Befriedung Mitteleuropas geopfert.

Das Prestige des Westens konnte auch nicht durch den Enderfolg im zweiten Weltkrieg wiederhergestellt werden, zumal in den ersten Maitagen 1945, während 1 des unnützen Aufstandes der Prager Bevölkerung gegen die deutsche Besatzung, die .„goldene Stadt“ von der nur eine Autostunde entfernt in Pilsen haltenden 3. amerikanischen Armee im Stich gelassen wurde. Trotz zahlreicher Hilferufe kam keine Hilfe vom Westen her. Erst am 9. Mai rückten sowjetische Panzer, von Berlin kommend, nach Prag ein, nachdem es bereits zu einem Waffenstillstand zwischen dem deutschen Kommando und der Führung der Aufständischen gekommen war.

TRÜGERISCHE FREIHEIT

Vom Osten kam zusammen mit der Roten Armee die tschechoslowakische Emigrantenregierung ins Land. Den ganzen Krieg hatte sie mit dem 1938 abgedankten Präsidenten Eduard Benesch in London verbracht; über Moskau be-, gab sie s\oh im Frühfahr .04V in U Von der' Roten Armee inzwischen besetzte Gbiet der Ostslowakei. Aber noch im Zug — auf sowjetischem Gebiet — mußte sie zurücktreten und wurde dann in Kaschau — durch Moskauer kommunistische Emigranten ergänzt — neu etabliert.

Die Agrarier, die vor 193 8 die stärkste Partei der Tschechoslowakei waren und fast immer den Ministerpräsidenten stellten, und andere kleine Rechtsparteien wurden wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen von der Regierung bereits in London ausgeschlossen. Der Agrarpartei warf man vor, daß sie 1938 das Landvolk demagogisch vor die Frage gestellt hatte: Was geschieht eurer Brieftasche und eurem Hof, wenn Hitler kommt — und was geschieht, wenn Stalin kommt?

1945 geschah den tschechischen und slowakischen Bauern zunächst gar nichts. Lediglich der Boden der Gutsbesitzer wurde größtenteils enteignet, aber nur zu einem kleinen Teil den Bauern zugeteilt. Ein großer Teil des Gesindes und der Kleinhäusler wanderte ins deutsche Grenzland ab, um als „Nationalverwalter“ die Höfe der deutschen Bauern zu übernehmen. Der Grundsatz „Mein und Dein“ geriet damals ins Wanken. Die bäuerliche tschechische Bevölkerung spürte es am deutlichsten, daß es nicht mit rechten Dingen zugeht, wenn man hunderttausende Bauern von ihren Höfen vertrieb, nur weil sie eine andere Sprache sprechen.

Radikaler als während der Ersten Republik gebärdeten sich die sozialdemokratischen Parteiführer schon aus Sorge, die Kommunisten könnten ihnen ihre Mitglieder abspenstig machen; was tatsächlich in nicht unbeträchtlichem Ausmaß geschah. Erst im Herbst 1947, auf dem Parteikongreß in Brünn, gelang es dem demokratisch gesinnten Flügel, den prokommunistischen Parteivorsitzenden, Zdenek Fierlinger, den in Kaschau zum Ministerpräsidenten eingesetzten früheren Botschafter in Moskau, der nach den Wahlen 1946 dem Parteichef der KP, Klement Gottwald, weichen mußte, zu stürzen, aber sein Nachfolger, Bohumil Lauschmann, war nicht stark genug, um einen von der KP-Politik unbeeinflußten Kurs einzuschlagen. Die Volkssozialisten, die vierte tschechische Partei, die engste Anhänger von Benesch vere'nte, versuchten das Privateigentum einigermaßen vor den Uebergriffen der Kommunisten zu schützen, denen das Innenministerium die stärkste Macht verlieh, die sie wohl zu nützen wußten. Den größten Zustrom erhielt die KP, die schon in

der Ersten Republik die zweitgrößte Partei war, aus den Reihen der zahlreichen kleinen Kollaboranten und der Nutznießer der Enteignung der deutschen und madjarischen Bevölkerungsgruppe. Dennoch beklagte sich Gottwald im Herbst 1945, daß es in den meisten Industriebetrieben noch nicht gelungen sei, kommunistische Betriebsgruppen zu errichten. Mit mehr Erfolg schürte die KP chauvinistische Instinkte gegen Deutsche. In seiner ersten Rede in Brünn lobte er die Brünner dafür, daß sie bereits damit begonnen hätten, Hitlers Hausmeister zu hänge, und versprach, Hitlers Minister in Prag an den Galgen zu bringen. Aber es blieb nicht nur bei Volksgerichtsurteilen gegen Schuldige: Aber erst am 14. Oktober 1945 verurteilte Benesch „Exzesse untergeordneter Organe, die eines Landes von Masaryk unwürdig seien“, worauf alle diese Exzesse, wie er später in seinen „Erinnerungen“ behauptete, definitiv aufhörten. Es ist nicht leicht, objektiv festzustellen, inwieweit die Verantwortung dafür zwangsläufig zu einer Anlehnung an die Sowjetunion führen mußte. Auf jeden Fall argumentiert die Prager Propaganda noch heute, daß nur die Sowjetunion die Tschechoslowakei vor der „Rache und Vergeltung der deutschen Revanchisten“ zu schützen vermöge.

Das Jahr 1947 brachte mit seiner Trockenheit eine katastrophale Mißernte. Die tschechoslowakische Regierung, die bis dahin amerikanische UNRRA-Hilfslieferungen im Werte von mehr als einer Viertelmilliarde Dollar empfangen hatte, beschloß bereitwillig, am Marshall-Plan teilzunehmen. Sie wurde jedoch bald darauf von Stalin nach Moskau zitiert und mußte ihre Zusage widerrufen. Der Außenminister Jan Masa-

ryk, der Sohn des Staatsgründers, soll damals im Freundeskreis erklärt haben, er sei als Außenminister nach Moskau gefahren und als Stalins Knecht zurückgekehrt. Die Wahlen, die für Frühjahr 1948 angesetzt waren, standen vor der Tür. Die Regierungsarbeit war seit Jänner blockiert. Schon vorher machte die KP eine Probe für eine endgültige Machtübernahme: in der slowakischen Landesregierung, in der sie nur schwach vertreten war, konnte sie durchsetzen, daß weitere Kommunisten als Vertreter der „Massenorganisationen“ Regierungsposten erhielten, nachdem die kommunistische Polizei die Führer der Demokratischen Partei, die als Erbin der slowakischen Hlinka-Partei die Mehrheit der slowakischen Bevölkerung repräsentierte, mürbe gemacht hatte.

Die Tschechoslowakei war zwar seit Herbst 1945 frei von sowjetischen Truppen, doch besaßen die Besatzungsarmeen in der Sowjetzone Oesterreichs und Deutschlands ein Durchfahrts-

recht durch die Tschechoslowakei. Die tschechoslowakische Armee wurde von den Kommunisten absichtlich schwach gehalten. Das Verteidigungsministerium hatte General Ludvik Svoboda inne — der Befehlshaber der tschechoslowakischen Truppe, die im Verband der Roten Armee gekämpft hatte. Es besteht kein Zweifel, daß er und seine Offiziere, darunter auch diejenigen, die im zweiten Weltkrieg in britischer Armee gestanden waren, die damalige militärische Situation in Europa genau kannten und sich keine Illusionen darüber machen konnten, was im Falle heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen passieren würde: die Sowjetarmee hätte in jedem Augenblick unter dem Vorwand von Truppenverschiebungen zwischen Ostdeutschland und Ostösterreich in die Tschechoslowakei einmarschieren können, während die bereits stark demobilisierte amerikanische Armee sich mit ihrem Beobachtungsposten hinter dem Böhmerwald hätte begnügen müssen.

In dieser Machtkonstellation konnte ein kommunistischer Versuch, die totale Macht im Staate zu ergreifen, gar nicht schiefgehen. Es ist wichtig, festzuhalten, daß die nichtkommunistischen Politiker den Kommunisten ahnungslos ihre Stichworte hierzu lieferten. Sie waren so naiv, zu glauben, die Kommunisten würden sich unter allen Umständen an parlamentarische Spielregeln halten, und sie demissionierten am 13. Februar, ohne ihre sozialdemokratischen Kollegen zu verständigen, als Innenminister Vaclav Nosek — entgegen einem Regierungsbeschluß, bei dem die Nichtkommunisten die Kommunisten überstimmt hatten — nicht aufhörte, den Sicherheitsdienst zu bolschewisieren.

Nun verlangte Gottwald von Staatspräsident Benesch, an Stelle der demissionierten Minister — dieser Verräter der „Nationalen' Front“ — andere, den Kommunisten genehmere Männer zu ernennen, die inzwischen mit Hilfe der Aktionskomitees an die Spitze der nichtkommunistischen Parteien gebracht wurden. Die Aktionskomitees, die über Nacht in allen politischen Organisationen, Aemtern, Schulen und Betrieben ihre Tätigkeit aufnahmen, säuberten alle nicht bequemen Personen. Zugleich marschierten mit Maschinenpistolen und Karabinern bewaffnete Volksmilizen in den Straßen Prags auf. Es kam jedoch zu keiner bewaffneten Auseinandersetzung; schon deshalb, weil die bürgerliche Seite über keine bewaffneten Kräfte verfügte. Verteidigungsminister Svoboda ließ Präsidenten Benesch auf seine Frag:, wie sich die Armee bei einem Konflikt mit den Kommunisten verhalten würde, mitteilen, die Armee könne auf keinen Fall eingreifen. Lediglich die

Präger Studenten deklarierten sich offen. Sie marschierten zur Prager Burg, um den Staatspräsidenten ihrer Treue zu versichern. Doch wurden sie von der Polizei unterhalb der Prager Burg blutig auseinandergetrieben.

Diese Tat der Prager Studenten ist bis heute unvergessen: Als 1956 nach dem XX. Moskauer Parteitag ein Völkerfrühling' zu kommen schien, benutzten die Prager Studenten — freilich schon eine andere Generation — die erstmals wieder bewilligten Studentenfestlichkeiten, „Maiales“, zu Demonstrationen gegen die Machthaber, indem sie der Bevölkerung dieselbe Parole zuriefen, wie ihre heldenhaften Kollegen vom Jahre 1948: „Habt keine Angst, ihr Prager, es sind noch die Studenten da.“

DIE ENTSCHEIDUNG

Nach langem Zögern und Verhandeln gab am 25. Februar Präsident Benesch nach, nachdem er keine andere Lösung gefunden hatte. Er nahm die Demission der elf Minister an und billigte die von Gottwald vorgelegte Liste, die bis auf einige Mitläufer nur kommunistische Minister enthielt. Eine Ausnahme waren Jan Masaryk, der nicht demissioniert war, und Bohumil Lausch-man, der während des Putsches von Fierlinger vom Posten des Vorsitzenden der Sozialdemokratie abgesetzt worden war und nunmehr, vielleicht zur eigenen Diffamierung oder Irreführung der kleinen Sozialdemokraten, mit dem Posten eines Vizeministerpräsidenten belohnt wurde.

Warum Jan Masaryk dennoch auf seinem Posten blieb, obwohl das Werk seines Vaters zertrümmert war, blieb bis heute unklar. Offensichtlich hoffte er, durch die Autorität seines Namens manches Uebel verhindern zu können. Vielleicht war es Benesch, der ihn dazu trieb, um wenigstens einen Vertrauten in der Regierung zu haben. Masaryk sagte selbst zu einem französischen Korrespondenten zweideutig: „Ich ging immer mit meinem Volk und gehe daher auch heute mit ihm.“ Am 7. März — dem 98. Geburtstag seines Vaters — besuchte er

dessen schlichtes Grab auf dem Dorffriedhof von Lany, das eine versunkene Epoche symbolisiert. Tief betrübt kehrte er in seine Dienstwohnung im modernen Trakt des monumentalbarocken Czernin-Palais zurück. Drei Tage später fand man ihn auf dem Pflaster des Palaishofes vor seinen Fenstern tot auf. (Auch der von den Kommunisten gestürzte Justizminister Dr. Prokop Drtina — der frühere Privatsekretär von Benesch — wurde zwei Tage nach dem Putsch schwer verletzt vor seinem Haus aufgefunden.) Als einige Tage später das tschechoslowakische Parlament, das durch Säuberung ein Drittel seiner Abgeordneten verloren hatte, zusammentrat, um die Regierungserklärung Gottwalds anzuhören, lag auf Masaryks Platz ein Lorbeerkranz, auf den gesenkten Hauptes Verteidigungsminister General Svoboda hinblickte,

der zwei Jahre später Gottwalds Schwiegersohn Alexej Cepicka weichen mußte.

Zwei Tage später wurde die Regierung vereidigt. Benesch antwortete an die anmaßende Programmrede des von ihm ernannten Diktators Gottwald: y

„Sie haben' richtig gesagt, Herr Ministerpräsident, daß mir die Entscheidung nicht leicht fiel, im Gegenteil, sie war — wie Sie selbst sagten — für mich persönlich sehr schwer. Lange und.ernst habe ich über die Krise nachgedacht. Ich kam zu dem Schluß, daß es notwendig ist, Ihren Vorschlag

anzunehmen. Sie wissen, daß wir lange Diskussionen über die ganze Sache und über ihre Lösung hatten. Aber ich habe gesehen, daß sich die Krise noch weiter vertiefen und schließlich zu einer solchen Spaltung des Volkes führen könnte, die unter Umständen ein allgemeines Chaos hätte bewirken können. Der Staat muß aber geführt und verwaltet werden. Sie wollen die Staatsangelegenheiten auf neuen Wegen und in einer neuen Form der Demokratie führen. Ich möchte Ihnen, dem Volke und dem Staat wünschen, daß dieser Weg für alle ein glücklicher sein möge.“

Nur einmal fand Benesch Mut, den Kommu-

nisten offen zu opponieren, als er sich weigerte, die wenige Wochen später fertiggestellte volksdemokratische Verfassung zu unterzeichnen. Er dankte demonstrativ ab und begab sich auf seinen Privatsitz in Sezimovo Usti bei Tabor, wo er im September des ereignisreichen Jahres 1948 als gläubiger Katholik gebrochenen Herzens gestorben ist. Inzwischen haben die Kommunisten sein Land, das in seiner tausendjährigen Geschichte immer mit dem Westen und Süden eng verbunden war, zur westlichsten Provinz des Sowjetreiches gemacht.

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