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Prags holpernde Troika

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Die Großveränderungen in Prag sind mit der Regierungsumbildung ijn wesentlichen abgeschlossen. Die sicher folgenden Austausche in der mittleren und unteren Ebene werden für den Alltag der Bevölkerung oft noch wichtiger sein, sie werden aber im Ausland keine Wellen mehr schlagen.

Immerhin hat Prag innerhalb von rund drei Monaten alle drei Spitzenpositionen umbesetzt: Erster ZK- Sekretär und damit Parteichef wurde am 8. Jänner nach Novotny Alexander Dubček (47); am Abend des 4. April wurde nach der Umgestaltung des ZK der Partei Oldfich Cernik (45) als neuer Ministerpräsident nominiert; fünf Tage vorher, am 30. März, war General a. D. Svoboda (73) zum neuen Staatspräsidenten gewählt worden. Eine Überraschung gab es nur bei Svoboda, Cernik war schon vor längerer Zeit als neuer Regierungschef erwartet worden. Es erhebt sich also jetzt nach diesem Revirement vor allem die Frage nach der Schlagkraft dieses neuen Teams.

Traditionelle Rangordnung kommunistischer Länder

Hier muß vorerst klargestellt werden, daß trotz aller sichtbaren Liberalisierung eigentlich die traditionelle Rangordnung in Partei und Staat in Prag erst jetzt hergestellt wurde. Bisher hat man — vor allem bei Gottwald und Novotny — aui die Kombination KP-Obmann beziehungsweise KP-Sekretär und Staatspräsident großen Wert gelegt. Gründe dafür gibt es natürlich zahlreiche. Einmal hat dieser Posten seit Masaryks Zeiten bei den Tschechen Gewicht und Ansehen, dessen man sich gern bediente; die Repräsentationsräume auf der Prager Bürg waren ebenfalls nicht zu verachten. In der Klarstellung dieser neuen Rangordnung, in der der Staatspräsident nur noch Mann Nr. 3 ist, wird es noch mancherlei Schwierigkeiten geben. Aber schon die letzte CTK-Meldung, daß Dubček, Cernik und Lenart den Präsidenten über die letzten Umgruppierungsbeschlüsse „unterrichtet” haben, macht die neue Situation deutlich.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß innerhalb dieser nach sowjetischem Vorbild durchgeführten Umgruppierung der besondere Vertrauensmann Moskaus der dritte Mann im Staate, Präsident Svoboda, ist, der gleichzeitig auch der mit Abstand älteste in dieser neuen Tro.’ka mit sehr unterschiedlicher Gewichtsverteilung ist.

Das Verhältnis zu Moskau

Daß Svoboda diese Vertrauensstellung innehat, ist übrigens merkwürdig genug: der einstige österreichische Offizier hat, wie manche andere, den Sprung zu den tschechischen Legionen gemacht; sein Geschick, Kehrtwendungen durchzuführen, sollte sich später allerdings deutlicher erweisen: wenn auch einstige Legionäre in der Ersten Republik eine entscheidende Rolle spielten, was sich bei Svoboda in der Ernennung zum Oberstleutnant manifestierte, so gelang es den allerwenigsten, gut Freund mit den Kommunisten zu werden; dafür waren die Fronten in Rußland in den Jahren 1918, 1919 und 1920 zu konträr. Svoboda war auch dies gelungen, worüber allerdings ein starker Akt über die mißachtete Subordination des Kommandeurs der tschechoslowakischen Truppen in Rußland im zweiten Weltkrieg gegenüber dem Exilpräsidenten Benesch Aufschluß gibt. Aber die Weisung von Benesch schien ihm damals unwichtiger als der Wunsch Stalins zum Einsatz seiner Truppen. Svoboda zeigte — inzwischen Verteidigungsminister — Benesch im Jahre 1948 ein zweites Mal die kalte Schulter, was vermutlich zum raschen Sieg der KP im Februar 1948 beitrug. Den Sitz im ZK der Partei, den er wenig später erhalten hatte, konnte er wohl nicht mehr behaupten, aber die Zeit war vorbei, da man auch in Prag tief und gefährlich stürzte.

Nun müßte man meinen, daß der neue ZK-Sekretär Dubček weit bessere Beziehungen zu Moskau hat: er verbrachte seine Jugend dort, besuchte die russischen Schulen und absolvierte schließlich mit gutem Erfolg Moskaus höchste Parteischule. Aber seine Jahrgangskollegen haben noch nicht die Spitzenpositionen in der Sowjetunion erklommen und so ist Präsident Svoboda gegenwärtig noch persona gratissima für Moskau, Dubčeks Chancen in Moskau werden allerdings von Jahr zu Jahr eher besser werden, je nachdem, welche seiner Jahrgangskollegen und Studienfreunde Spitzenpositionen in Moskau — nach Breschnew und der Moskauer Troika — erringen.

Der „reine” Parteimann

Liest man die für westliche Augen nicht eben attraktive Biographie dieses Dubček, so zeigt sich eines doch in aller Deutlichkeit: er war bisher reiner Parteimann, war daneben nur wenige Jahre Abgeordneter, nie slowakischer „Beauftragter” (also Landesminister), nie Minister in Prag. Er hat sich nie in staatliche Funktion gedrängt und wird es vermutlich auch künftig nicht tun.

Diese scheinbare Einseitigkeit und Dürftigkeit seines bisherigen Lebenslaufes war aber gleichzeitig für ihn die große Chance, so rasch an die Spitze zu kommen. Damals im Jänner 1968 war seine Wahl tatsächlich überraschend. Man hatte sich einen der jungen Kommunisten aus dem Bereich der Wirtschaft erwartet, statt dessen war es der Nurpolitiker, der bisher nur provinzielle Aufgaben zu erledigen hatte. Jetzt sieht man die konsequente Ari dieses ersten Entschlusses klar: der erste Mann hat aus der Partei zu kommen und ausschließlich für die Partei da zu sein. Die drängenden Wirtschaftsfragen hat die Regierung zu erledigen und zu verantworten, dort gehören die Wirtschaftsfachleute hin!

Dies ist nun mit der Ernennung von Oldfich Cernik tatsächlich so praktiziert worden. Dieser Sohn eines Bergmannes mit ursprünglich einfacher Schulausbildung hat sich in den letzten Jahren tatsächlich zu einem anerkannten und erfolgreichen Wirtschaftsfachmann emporgearbeitet. Er ist seit 1960 Minister (für Brennstoffe und Energie) und seit 1963 stellvertretender Ministerpräsident. Wollte man nach der primitiven Klassifizierung der Ereignisse in der Tschechoslowakei in den letzten Wochen Vorgehen, müßte man ihn eigentlich ebenfalls als Novotny-Mann einstufen, wie dies gelegentlich auch — sicher nicht ganz zu Recht — bei dem eben abtretenden Regierungschef Lenart der Fall war.

Mit schematischen Einschätzungen, wie Stalinist, Novotny-Anhänger, konservativer Kommunist, Modernist, kommt man — wie anderswo — auch in Prag nicht weiter. Die Einschätzung der neuen Leute, wie die Goldstückers oder Smerkovsky, (der als Präsident des Nationalrates vorgeschlagen wurde) — um nur zwei der wieder Hochgeschwemmten zu nennen — wird auch im Westen bald wieder realistischer als bisher werden.

Die allerletzte Umgruppierung in der Regierungsspitze hat aber auch den bisher gestörten Proporz zwischen Tschechen und Slowaken wiederhergestellt, wenn auch gegenüber früher die Stellung der Slowaken verstärkt ist.

Standen also seit Anfang Jänner zwei Slowaken an der Spitze der Tschechoslowakei, der erste ZK- Sekretär Dubček und der Regierungschef Lenart, neben denen als Tscheche nur noch Novotny ein Schattendasein führte, so sind jetzt wieder unter den ersten drei Männern zwei Tschechen — Regierungschef Cernik und Staatspräsident Svoboda — und ein Slowake, nämlich Dubček, der allerdings an führender Stelle. Konnte man noch bis vor kurzem den Dualismus Staat und Partei mit den Tschechen und Slowaken koppeln und sagen, die (von einem Tschechen geführte) Partei hat immer Recht, lediglich die Regierung ist oft nicht in der Lage, die Parteilinie zu realisieren (und für die Regierung ist als Regierungschef ein Slowake verantwortlich), so ist diese Gleichsetzung heute nicht mehr möglich.

Läßt man also Präsident Svoboda als Randfigur beiseite, bleiben zwei Männer an der Macht, Dubček und Cernik, beide fast gleich alt, noch nicht Fünfzig, die sich gut ergänzen, deren Fachkönnen klar abgegrenzt erscheint, die zweifellos fähig und bis zu einem gewissen Grade liberal sind, die aber auch hart einen anderen Weg einschlagen werden, wenn der Kommunismus in der Tschechoslowakei auch nur im Geringsten gefährdet sein sollte. Die Liberalität und die sichtbar geöffneten Ventile werden bestenfalls geeignet sein, eine innerkommunistische Kritik stärker als bisher zu ermöglichen.

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