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Die Etappen der Prager Reaktion

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Als Alexander Dubček am 18. April 1969 als Erster Sekretär der KPTsch und damit als „Mann Nr. 1” der Tschechoslowakei zurücktrat, existierte tatsächlich kein Dubček-Team mehr. Was den Sowjets unmittelbar nach dem 21. August 1968 auf den ersten Anhieb nicht gelungen war, nämlich offen deklarierende prominente Kollaborateure zu finden, das Dubček-Team zu zerschlagen und die vorübergehend staunenswerte Einheit des tschechischen und des slowakischen Volkes aufzuspalten, das ist innerhalb eines halben Jahres zur Hälfte und nach einem Jahr zur Gänze geglückt.

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Als Alexander Dubček am 18. April 1969 als Erster Sekretär der KPTsch und damit als „Mann Nr. 1” der Tschechoslowakei zurücktrat, existierte tatsächlich kein Dubček-Team mehr. Was den Sowjets unmittelbar nach dem 21. August 1968 auf den ersten Anhieb nicht gelungen war, nämlich offen deklarierende prominente Kollaborateure zu finden, das Dubček-Team zu zerschlagen und die vorübergehend staunenswerte Einheit des tschechischen und des slowakischen Volkes aufzuspalten, das ist innerhalb eines halben Jahres zur Hälfte und nach einem Jahr zur Gänze geglückt.

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Die Etappen der Säuberungen zeigen — nach Meinung der Bevölkerung — eindeutig sowjetische Handschrift. Zu gehen hat, wer den Sowjets nicht paßt, und je verhaßter einer in Moskau ist, um so radikaler ist sein Sturz. Das zeigte sich wieder in den allerletzten Tagen, als im Schoß der Partei, die Verdammung in drei Phasen erfolgte: Entfernung aus dem Parteipräsidium (im April Smrkovsky, im September Dubček); Entfernung aus dem ZK (jetzt neun Männer, unter ihnen Häjek und Smrkovsky) und schließlich Parteiausschluß (jetzt General Prchlik).

Mit Prchlik fing es an

Die Abschüsse begannen mit Generäl Prchliks Sturz, dem prominentesten General unter den Reformern, Chef der Sicherheitsabteilung im ZK der KPTsch, der aus der Sicht Moskaus gleich zwei Todsünden begangen hat: Einmal seine Rolle im Jänner 1968 bei der ominösen und bis zum heutigen Tag ungeklärten Aktion, bei der die Prager Garnison zugunsten von Novotny eingreifen sollte. Nachdem Novotny dementiert hatte, selbst etwas unternommen zu haben, verstärkten sich die Stimmen, die als Urheber dieser Aktion die Sowjetbotschaft bezeich- neten. Prchlik stand auf der Gegenseite und soll entscheidend zur Verhinderung dieser Aktion beigetragen haben. Als er dann Mitte Juni 1968 scharfe Angriffe gegen die Organisationen des Warschauer Paktes startete („Vom Marschall an der Spitze bis zum untersten Leutnant sind alles Russen”, erklärte er) und im Zusammenhang mit den damaligen Sowjetmanövert. in der ČSSR feststellte, kein Mensch in der Tschechoslowakei wisse wirklich, wieviel sowjetische Soldaten auf tschechischem Boden seien, war der Druck Moskaus- gegen ihn so stark, daß er bereits in die Wüste geschickt wurde, noch bevor die Sowjets in der Tschechoslowakei einmarschiert waren. Das war auch der Grund, weshalb es nach dem 21. August um Prchlik verhältnismäßig still geblieben war. Er war ja längst eine gestürzte Größe. Ein Jahr später aber zeigte es sich, daß man auf ihn nicht vergessen hatte und schloß ihn aus der Partei aus.

Hinter dem spektakulären Sturz der Minister

Nach dem 21. August sah der Westen mehrmals hintereinander das dramatische Bild einer unfreiwilligen und freiwilligen Ministerablöse, hinter der, weniger spektakulär und doch viel gewichtiger, eine völlige Umgruppierung im Parteipräsidium und bei den ZK-Sekretären erfolgte. Während die westliche Presse vor allem über die Entfernung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Sik, von Außenminister Häjek und Innenminister Pavel, dem Abschieben von Clsaf und Smrkovsky auf immer bedeutungslosere Posten berichtete, war, weit weniger im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, die viel bedeutungsvollere Umgruppierung in der Spitze der KP erfolgt. Als Husäk Im April 1969 an die Spitze der KP trat (und Dubček noch Mitglied der Parteipräsidiums war), schieden im Zusammenhang mit einer Reform des obersten KP-Gre- miums nicht weniger als elf Mitglieder, unter ihnen Smrkovsky, aus dem Präsidium aus, in dem die Anti-Dubček-Gruppe bereits eine erdrückende Mehrheit hatte, ebenso wie in der Gruppe der ZK-Sekretäre, also der hauptberuflichen Abteilungsleiter des ZK. An Stelle von Dubček trat jetzt der Karrierepolitiker Josef Kempny, der die Gruppe der Orthodoxen und Realisten nunmehr komplettiert und in der sich vor allem kein Reformer mehr befindet (von dem Reformer-Freund Svoboda abgesehen). Fast noch interessanter als das Parteipräsidium aber ist das Team der Parteisekretäre zusammengesetzt. Hier arbeiten unter Husäk die beiden von der Bevölkerung gehaßten Indra und Bilak, daneben der einstige Ministerpräsident Lenart, der ehrgeizige Strou- gal und Kempny (neben Štrougal der aufgehende Stern).

Auch jetzt: eigentlicher Wandel im Hintergrund

Auch jetzt, bei der ZK-Tagung vom 26. und 27. September, erscheint fast der radikale Umbau der Bundesregierung und der tschechischen Landesregierung, die Beibehaltung Černiks als Chef der Bundesregierung und die Entfernung Räzls als Chef der tschechischen Landesregierung sensationeller als die letzten Entfernungen im Parteipräsidium und im ZK der Partei und die geringfügige aber bezeichnende Komplettierung durch „junge Novotny-Leute” und durch reine Karrieremänner. Gerade diesen gegenüber hat die Bevölkerung ein zunehmendes Mißtrauen, hat man doch in der Vergangenheit durch kalte Jasager, durch rücksichtslose Opportunisten oft Schlimmeres erfahren als durch exponierte Orthodoxe. So ist vor allem das Mißtrauen gegen die beiden Innenminister (Bundesinnenminister Pelnai, der bisher drei Regierungsumbildungen übertauchte) und gegen den tschechischen Innenminister Groes- ser, der trotz schwerster ‘ Angriffe von seiten einiger Abgeordneter nun die zweite Regierungsbildung gut überstand, aber auch gegen zwei farblose Slowaken, den Außenminister Marko und den Verteidigungsminister Dzür, groß. Bei General Dzür, von Anbeginn an eine Kompromißlösung, scheint gerade seine Farblosigkeit die stärkste Durch- haltewaffe zu sein.

Antislowakischer Affekt der Tschechen nimmt zu

Längst ist die Zeit vorbei, da eintschechisch-slowakischer Proporz genau unter die Lupe genommen wurde. Zuletzt hat diesen der damalige slowakische Parteichef Husäk benützt, um Smrkovsky als Parlamentspräsidenten zu Fall zu bringen. Jetzt rührte sich niemand, als im Parteipräsidium der Tscheche Kempny an Stelle des Slowaken Dubček Einzug hielt Die Antipathie der Tschechen gegen den nunmehrigen Ersten Parteisekretär Husäk trägt mit dazu bei, den aufgekommenen antislowakischen Affekt zu stärken. Das ist natürlich nicht ganz gerecht, denn für den „Präger Frühling” war ein Slowake (Dubček) primär verantwortlich und ist es nun für die Zementierung der Reaktion wieder ein Slowake, nämlich Husäk. Aber das Volk reagiert ja nicht immer logisch, sondern auch emotionell, und die Tschechen stellen sich — nach einem gewissen Abstand vom „Prager Frühling” — die Frage, ob es nicht ohne Dubček und ohne Husäk besser geworden wäre, ob nicht die späte Novotny-Zeit, die zwar nur halbe und viertel Schritte in Richtung einer Liberalisierung machte, alles in allem genommen, doch zu einem besseren Ergebnis geführt hätte als die Dubček- Husäk-Zeit.

In der Slowakei: weniger spektakulär

In der Slowakei ist die Einschätzung der Verhältnisse verständlich erweise eine andere (weniger die Einschätzung Husäks). Immerhin hält der neue KPTsch-Chef seine Hand schützend über die Slowakei, hier kam es in letzter Zeit auch längst nicht zu so spektakulären Säuberungen.

Während es also in der RPS, der Kommunistischen Partei der Slowakei, und der slowakischen Landesregierung zu keinen Änderungen kam, wurde nicht nur die Bundesregierung und die tschechische Landesregierung radikal umgebildet, sondern auch das „Büro für die tschechischen Länder”. Den Tschechen ist es bisher nicht gelungen, im Rahmen der Föderalisierunig eine eigene tschechische Kommunistische Partei zu gründen oder aus der KPTsch herauszulösen, was den Slowaken mit ihrer KPS schon 1944 gelang. Die Sowjets konnten dieser dualistischen Lösung auf Parteiebene nie eine Sympathie entgegenbringen. Es blieb bei einem „Ansatz”, dem „Büro für die tschechischen Länder” im Generalsekretariat der KPTsch. Aus diesem tschechischen Parteibüro mußten jetzt sechs Leute ausschei- den, unter ihnen zwei sehr prominente Namen, Cestmir Cisar und der Ministerpräsident der Bundesregierung, Oldrich Öernik. Chef dieser tschechischen Parteispitze bleibt der ehrgeizige Lubomir Štrougal, der sich inzwischen weitere bedeutsame Aufgaben arrondert hatte. So ist er Stellvertreter Husäks im neu- geschaffenen Verteidigungsausschuß. Da er außerdem noch Mitglied des Sekretariats und Sekretär im ZK, schließlich auch Mitglied des Parteipräsidiums ist, zählt er heute wohl zu den prominentesten Kronprinzen Husäks. Oder zählte vielleicht auch nur bis zum 28. September als solcher, denn neben grundsätzlichen Erwägungen Husäks bei dem General-Revirement der letzten Woche scheint auch noch die taktische Erwägung hinzugekommen zu sein, neben den De-facto-Kronprinz Štrougal noch einen zweiten zu setzen: Josef Kempny, dessen Karriere innerhalb zweier Tage einfach als gigantisch zu bezeichnen ist. Er, der vorher nur Mitglied des Sekretariats des ZK gewesen ist, wurde über Nacht (in -der Rangfolge der Wichtigkeit) Mitglied des Parteipräsidiums, tschechischer Ministerpräsident und stellvertretender Ministerpräsident der Bundesregierung. Damit überrundete er zweifellos Štrougal. Hier bahnt sich ein Diado-’ chenkampf zwischen Štrougal und Kempny an, der sicherlich Husäks Position zu zementieren vermag.

Schlußstein der Husäk-Restauration

Die ZK-Sitzung vom 27. und 28. September setzte nur den Schlußstein unter eine Entwicklung, für die die Marksteine der 21. August 1968 und der 17. April 1969 (Ersetzung Dubčeks durch Husäk) sind. Immerhin zeigte Husäk innerhalb dieses knappen halben Jahres, daß er mehr getan hat, als Optimisten und Pessimisten von ihm erwarteten. Husäk hat nie Sympathien für eine Demokratisierung und eine Pressefreiheit gezeigt (auch nicht während des „Prager Frühlings”), er hat konsequent und folgerichtig beides blitzschnell liquidiert. Von Opposition, gar von „formierter Opposition”, ja nicht einmal von stärkerer innerparteilicher Demokratie kann jetzt gesprochen werden, was bei Novotny noch möglich war. Vor allem darf die Tatsache nicht vergessen werden, daß die letzten Wahlen in der Tschechoslowakei vor sechs Jahren stattfanden (es waren fast die am wenigst liberalen des ganzen Ostblocks!), und daß Neuwahlen noch unter Novotny, Ende 1967. fällig gewesen wären. Das Bundesparlament ist somit eigentlich noch ein „Novotny-Parlament”, in dem noch alle die „Überleber”, wie etwa ein Exminister Plojhar, sitzen. Lediglich eine Reihe profilierter Männer wurden ausgeschlossen, dagegen nicht die Farblosen und die Jasager, Auch alle die neuen, nach der Föde- ralisierung geschaffenen Gremien bestehen aus ernannten Mitgliedern, besitzen also kaum irgendwelche politische Vollmachten — vom slowakischen Landesparlament abgesehen, bei dem die Neuwahl allerdings ebenfalls überfällig ist.

Was wollte man also?

Zunächst ging es um die Entfernung der letzten Reformer aus der Partei- spitze und aus den parlamentarischen Gremien, denen damit ebenfalls klargemacht wurde, daß sie kein Eigenleben zu führen haben. Es ging in zweiter Linie darum, daß die Männer, deren Namen mit dem „Prager Frühling” verbunden sind, in erster Reihe Dubček, Svoboda und Smrkovsky, in zweiter Linie Cisar, Goldstücker, Šik endgültig aus jenen Funktionen ausscheiden, durch die sie noch in der Öffentlichkeit aufschienen, Reden halten durften und wenigstens am Rande — wenn auch oft kritisch oder stürmisch applaudiert — zur Kenntnis genommen wurden. Wenn der bislang unbedeutende Funktionär und Pressesprecher Havlik erklären konnte, Dubček sei „kein verlorener Mann”, er könne „trotz seiner Irr- tümer der Partei noch große Dienste leisten”, so zeigt daß nur eines: daß man in der neustalinistisfchen Zeit die unbequem gewordenen Männer zwar ebenso brutal beiseite schiebt wie in der stalinistischen Gottwald- Zeit, nur mit dem einen Unterschied, daß man sie nicht liquidiert und hinrichtet. Nach allen bisherigen Erfahrungen, nach Beseitigung auch bescheidener demokratischer Ansätze, der Pressefreiheit und der — unerwarteten — radikalen Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit wird Husäk und sein neues Team den letzten Rest seines (und des Moskauer) Planes eiskalt durchziehen: daß die Namen von Dubček und Smrkovsky endgültig aus den öffentlichen Diskussionen verschwinden. Bleibt somit nur Staatspräsident Svoboda. Aber der ist ein alter Mann.

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