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Als Verrter apostrophiert

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Von der ersten Stunde des sowjetischen Einmarsches an wurden vor allem drei Männer von der Bevölkerung als „Verräter“ apostrophiert und offiziell genannt: Vasil Biläk Alois Indra und Drahomir Kolder. Ausdrücklich mußte der Vorsitzende der KonitroMkommission der KPTsch, Milos Jakes, am 7. Oktober dm Prager Rundfunk erklären, man habe bei Indra, Kolder und Bilak, denen Ende August von allen Mauern Prags „Kollaboration“ vorgeworfen war, ähnlich wile in den fünfziger Jahren, ehrliche Kommunisten Taten beschuldigt, deren sie nicht schuldig waren. Es sei bei der Zentralkomitee-Sitzung vom 31. August 1968 bewiesen worden', erklärte Jakes weiter, daß diese Parteiführer das Volk nicht verraten hätten, sondern lediglich dln dem Bestreben gehandelt hätten, Blutvergießen zu vermeiden. Von Indra wurde vor allem behauptet, er habe am 21. August 1968 Staatspräsident Svoboda aufgefordert, ihn zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Der schon erwähnte frühere Leiter der ideologiischen Kommission, Pavel Auerisperg aber auch Indra und Lenart sollen an dem gegen die jetzige

Führung gerichteten Sender „Vitava Moldau“, der in der Nähe von Dresden steht und seine Sendungen in die Tschechoslowakei ausstrahlt, beteiligt sein.

Nun mögen entfernte Publizisten, Minister und Beamte keinesfalls bedeutungslos sein, entschieidend bleibt neben der Stimmung und Haltung der Bevölkerung die Situation in der Partei, innerhalb der KPTsch selbst und hier Wieder vor allem in dessen höchstem Gremium. Daß es sich hier um permanentes Tauziehen mit sich wandelnden Fronten und vielen Unbekannten handelt, steht außer Zweifel und erschwert jegliche Skizzie-rung. Diese vielen Unbekannten ergeben sich aber nicht nur für den beobachtenden Journalisten; sie ergeben sich ebenso, nur in einer noch weilt dramatischeren Art, für die Männer in den Spitzenpositionen. So waren im Parteipräsidium nach dem ZK-Plenum vom 5. Jänner noch immer Kolder und Lenart, Novotny, Hendrych und Chuidik vertreten, dazu uniter anderen auch noch Piller, Spaöek, Rigo. Nach dem 5. April fehlten zwar Lenart, Novotny, Hendrych und Ch'Udik, es blieben Piller, Spaöek und RJigo; 'hinzugekommen waren noch Barbirek, Biläk, Kriegel, Srnrkovsky und Svestka, eine Tatsache, die das ständige Kommen und Gehen von Fortschrittlichen wie Konservativen aufzeigt. Ähnlich ist es bei der Zusammensetzung des gewichtigen Sekretariats; im letzten, unter Novotny, wirkten Kolder, Hendrych, Koucky und ätrougdl (also praktisch eine perfekte reaktionäre druppTe), die sich übrigens nach dem Jänner-Plenum unter der Leitung von Duböek kaum, nach dem ZK-Plenum vom 5. April personell stark, richtungsmäßig nur geringfügig geändert hat. Es schieden zwar Hendrych, Koucky und ätrougal aus, neben Kolder rückten aber Lenart und Indra auf, zu denen dann noch Duböek-Freund Cisaf getreten war.

Die Vielfalt der Namen, die noch größere Zahl derer, deren Einstufung letztlich kaum vorgenommen werden kann oder auch wechselt, darf nicht überdecken, daß es letztlich nur sehr wenige, vier, drei oder zwei Schlüsselfiguren geben wird, vermutlich den gegenwärtigen Regierungschef Öemik auf tschechischer Seite und den derzeitigen Sekretär der KPS, Dr. Gustav Husäk, auf slowakischer Seite. Carnik ist seiner Herkunft nach zweifellos ein „junger Novotny-Mann“ und mit Novotny zumindest so verbunden, wie der im Frühjahr 1968 abservierte Mmisterpräsident Len'art. Seit 1960 Minister für Brennstoffe und seit 1963 Stellvertretender Ministerpräsident, war er also fast fünf Jahre unter Novotny Regierungsmitglied. Er gehört der jungen technokratischen Partei-Generation an, der als Hilfsarbeiter begonnen und sich durch Fachstudium und Parteiarbeit rasch hoehgedient hat, aber auch sichtbar in Gegensatz zur neuen Intelligenz wie Prof. äik gekommen war. Seine enge Verbundenheit mit dem Novotny-Regime ließ daher auch im Frühjahr 1968 die Ernennung zum Regierungschef vorerst etwas gewagt 'erscheinen. Oernik sdhwamm dann mit der Duböek-Gruppe brav mit, wurde am 21. August nicht weniger brutal behandelt und nach Moskau deportiert wie, Duböek, gewann anschließend immer mehr eigenes Profil neben Duböek, wobei bei informierten Beobachtern allerdings auch immer mehr das Unbehagen wuchs. Er war es, der, als Regierungschef dazu verpflichtet und zuständig, das tschechisch -sowjetische Besatzungs-abkammen unterzeichnete, er gehört auf tschechischer Saite heute zu den Haupbexponenten der „realistischen Richtung“.

Neben diesem 47jährigen Cernik, der also gleichaltrig mit Duböek ist, steht auf slowakischer Seite Dr. Hu-säk. Der einzige Nachteil, den Husäk vorerst aufweist, ist, daß er um zehn Jahrs älter ist als die meisten anderen Hauptexpomeniten; immerhin ist er mit 55 Jahren noch kein alter Mann. Husäk, der vor allem 1945 enorgiisch für eine eigene slowakische kommunistische Republik eingetreten wiar, gehörte dann zu den Verfolgtem der staliniistischen Gabtwald-Zäpötocky-Novatny-Zeit. Der Vorwurf eines „bourgoisen Nationalismus“ trifft wohl haarscharf auf Husäk zu, nur konnte diese Haltung nie seine kommunistische überdecken — ganz abgesehen davon, daß lebenslängliches Zuchthaus, zu dem man Husäk verurteilte, eine Lausanne, haute und ungerechtfertigte Strafe darstellte. Husäk grollt übrigens No-votay, der siich ihm gegenüber nie zu eimier echten Rehabilitierung durchringen konnte, mehr noch als GotMiwiafld. 1968 sprang Husäk sofort auf dien Posten des als „Verräter“ apostrophierten VasSl Biiläk und wurde als Sekretär der KPS erster Mann der Slowakei, gleichzeitig aber auch Stellvertretender Miniisterprä-sidiamt in Prag. Im Gegensatz etwa zu Duböek und Smrkovsky kehrte Husäk dm August völlig ungebrochen aus Moskau zurück, nachdem er sich schon vorher durch Anrufe aus Moskau über die Lage Informiert hatte. In die Heimat zurückgekehrt ließ er nacht nur durch ausgesprochen rußlandflreundliche Reden aufhorchen, sondern vor allem durch die Tatsache, daß er sofort den XIV. außerordentlichem Parteitag der KPTsch — ganz entsprechend dem sowjetischen Wunsch — als illegal bezeichnete, während er ja van dem parallelen Parteitag der slowakischen KP aufs Schild gehoben wurde, wogegen er keine Bedenken anzumelden hatte.

Dubcek-Gegner oder mögliche künftige Gegner der neuen Füh-rungsgrie“flridet man bei beiden Nationen; fast scheint es aber, als h'ätteri'tKe' Slowaken besonders ausgeprägte Köpfe, ja gelegentlich sogar Extremisten hervorgebracht. Hier waren es aus der Vor-Novotny- und Novotny-Zeit die noch lebenden Minister Siroky und Bacilek; vor allem gegen das „Manifest der 2000 Worte“ hat sich der slowakische General und Parteifunktionär Samuel Kodaj hervorgetan. Als maßgebliche Gegner einzukalkulieren sind Michal Chudik, der entfernte slowakische Parlamentspräsident, der gewesene gesamtstaatliche Ministerpräsident Jozef Lenart, das Prä-sidiumsmitp'ied der slowakischen KP, Frantisek B'arbirek (41) und als großer Unbekannter der jetzige Sekretär der KPS, Dr. Husäk. Ukrainischer Abstammung ist sein Vorsänger als Sekretär der slowakischen KP, Vasil Biläk (was an sich merkwürdig genug ist und auch die Heftigkeit begründet, mit der Biläk entfernt wurde). Man darf auch bei aller Aktivität dieser „Realisten“ ihre schwierigen psychologischen Hemmnisse nicht übersehen. Seit vollen 30 Jahren, seit 1938, trommelt man in Prag gegen Kollaboranten jeglicher Schattierung; mehr noch: die Zahl der wegen Kollaboration Verurteilten geht in die Hunderttausende. Diese Untergrund- und Volkspropaganda vieler Jahre kann man nicht von heute auf morgen wegwischen, und sie wird seit August 1968 in völlig neuer Blickrichtung angewandt. Jeder „Realist“ hat nur eine hauchdünne Grenze zu jener Gruppierung, die man bisher als „Kollaborant“ bezeichnet hat — auch hier wieder eine Parallele zu den Verhältnissen im alten Österreich und zu dem Kampf und den politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Alt- und Jungtschechen. Die verschiedenen Namensgebungen, die zwischen „kleinen Novotnys“ und „AltkommiMMsten“ bis zu „Spaltern“, „prosowjetischer Fraktion“, „Erfüllungsgehilfen Moskaus“ und „Genossen Kollaborateuren“ schwanken, sind natürlich gleichermaßen richtig wie unzutreffend; immerhin hat man bei der Bevölkerung ein feines Gefühl zwischen realistischen Patrioten und kalten Opportunisten.

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