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Die Eskalation der Säuberung

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Die Säuberungen in der Tschechoslowakei rollen planmäßig weiter: Nach den Journalisten und ihrer Organisation waren es die Schriftsteller, dann die Parteispitze und — weniger sensationell und weniger beachtet, aber kaum wirkungsloser — die der mittleren Funktionärsschicht. Nun bleibt nach der Gewerkschafts- und Parlamentssäuberung als letztes Kapitel nur noch das, wofür die Gerichte zuständig wären, und der Verlust der Immunität zahlreicher einst prominenter Männer gibt jetzt auch diese Bahn frei.

Die Säuberung in den parlamentarischen Körperschaften und im Gewerkschaftspräsidium erfassen tatsächlich sichtbare Zentren des Widerstandes gegen das jetzige Regime des KP-Sekretärs, wobei der geschickte Schachzug Husaks, Gewerkschaftspräsident Poläcek ins Parteipräsidium, also die höchste KP-Spitze, zu holen, nur beschränkte Auswirkungen hatte. Neuerdings bemühte man sich, den Minimantel der Legalität nicht ganz abzustreifen, doch das erst kürzlich beschlossene Gesetz, wonach Abgeordnetenmandate aberkannt Werden können, verdeckt kaum die Tatsache, daß von einer Legitimation der Vertreter des Bundesparlaments und der beiden Landesparlamente längst keine Rede mehr ist — soweit eine solche je durch sogenannte „Wahlen“ vorhanden war.

An der Spitze der Gestürzten stand General Prchlik, der als Abteilungsleiter für Sicherheitsfragen im ZK-Sekretariat noch vor dem sowjetischen Einmarsch entfernt wurde, Er gehört auch zu den ersten, die schon am 16. Oktober 1969 durch den Verlust ihres Abgeordnetenmandates ihre Immunität verloren.

Nach dem „Sturz ins Bodenlose“, also dem Verlust sämtlicher Ämter, den etwa der frühere Parlamentspräsident Smrkovsky erlebte (Entfernung aus dem KP-Präsidium, aus dem ZK, Ausschluß aus der Partei, Entfernung als Parlamentspräsident, als Vizepräsident der neuen Bundesversammlung und schließlich als Abgeordneter), der weitgehenden, aber nicht völligen Entmachtung Dubčeks (er blieb immerhin Parteimitglied, Mitglied des ZK und Abgeordneter.), stürzte nun der dritte der „Reformer der ersten Stunden“, Cestmir Cisar, der allerdings schon längere Zeit im Schatten und auf einem drittrangigen Posten als Präsident des tschechischen Nationalrates gestanden war. Jetzt verlor er diese Funktion. Im Gegensatz zu Smrkovsk gehört er allerdings auch jetzt zu denen, die eher „weich“ fallen. So wie ihn seinerzeit Novotny als Unterrichtsminister entfernt und zum Botschafter in Bukarest (straf-) versetzt hatte, soll Cisar nunmehr Botschafter in Brüssel werden. Als Vorschußdank übte er an sich und seinen Freunden eine maßvolle Selbstkritik gegenüber den kompromißlosen Schlußerklärungen eines Smrkovsk oder Kriegl.

In der dritten größeren Säuberungswelle seit der Machtübernahme Husäks im April 1969 verloren auch die restlichen anderen Reformer ihre letzten Funktionen, so der einstige Vizepremier Ota Sik, der im Mai dieses Jahres aus dem ZK der KPTsch entfernt worden war und im

Oktober aus der Partei ausgeschlossen wurde. Ähnlich erging es dem jetzt im Ausland lebenden früheren Rundfunkchef Hejzlar, dem einstigen Parteiideologen Spaček, gegen den auch ein Parteiverfahren läuft, und vor allem Prof. Eduard Goldstücker, der ähnlich wie Smrkovsky nun schon ein zweitesmal auf der Konskriptionsliste steht. Unter Gottwald war er seinerzeit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden, jetzt wurde er vor allem als letzter Chef des rebellierenden Schriftstellerverbandes mißliebig. Bei der Mandatsaberkennung fehlte natürlich auch Milan Hübl nicht, der sich noch bis zum Sommer dieses Jahres als Rektor der Parteihochschule gehalten hatte. Hübl hat sich durch vielerlei unbeliebt gemacht, vor allem aber dadurch, daß man ihn beim XIV. außerordentlichen Parteitag, den ja die Sowjets nie anerkannt hatten, zum Mitglied des Parteipräsidiums gewählt hatte.

Nicht allein die Tatsache, daß ein Großteil der Ausgeschlossenen zu dieser Sitzung angesichts der für sie ja schon feststehenden Entwicklung gar nicht mehr erschienen war, hinterließ einen merkwürdigen Eindruck, sondern vor allem auch der Umstand, daß 62 von 150 Mitgliedern des tschechischen Nationalrates, also mehr als ein Drittel, ausschieden. Auch die sofortige Auffüllung dieses Rumpfparlaments konnte den Eindruck nicht verbessern, ebenso nicht die Tatsache, daß nur neun Abgeordnete aus dem Parlament entfernt wurden, während 53 aus eigenen Stücken „zurückgetreten“ sind. Schon am Vortag waren 15 Spitzenfunktionäre des Gewerkschaftszentralrates der Säuberung zum Opfer gefallen. Damit wurde auch das Gewerkschaftspräsidium als eine der letzten Zellen des Widerstandes nach der Ausschaltung der Journalisten und der Schriftsteller mundtot gemacht.

Natürlich wird auch der Fundus jener Männer, auf die man zurückgreifen muß, immer dürftiger. Neuer Präsident des tschechischen Nationalrates wurde Evžen Erban (56), ein früherer sozialdemokratischer Funktionär, der allerdings das volle Vertrauen der KPTsch genießt. Erban beerbte schon politisch Dr. Kriegl, einen der von den Sowjets am meisten gehaßten Männer, als Vorsitzenden der Nationalen Front, einer Vereinigung aller politischen Parteien, unter denen natürlich fast ausschließlich die KP etwas zu sagen hat. Sollte Husäk tatsächlich noch den Posten eines Vorsitzenden der Nationalen Front übernehmen, was für den KP-Chef an sich nicht unlogisch wäre, würde dies natürlich eine völlige Gleichschaltung der Nationalen Front bedeuten, wie dies schon unter Novotny sichtbar war, während später zur Zeit des Prager Frühlings ein deutliches Neubesinnen über die völlig gewandelte Funktion der Nationalen Front, über die Möglichkeiten einer Opposition, sogar einer „formierten Opposition“, zu erkennen war.

Was bleibt, sind liquidierte und funktionsunfähige Organisationen der Journalisten und Schriftsteller, sind eine gleichgeschaltete Nationale Front und Gewerkschaft, dazu parlamentarische Körperschaften ohne die geringste Legitimation.

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