6777839-1969_29_06.jpg
Digital In Arbeit

Nur noch Partei Journalismus

19451960198020002020

Vor tschechischen Journalisten erklärte erst vor wenigen Tagen der für ideologische Fragen zuständige ZK-Sekretär Josef Kempny, der Tschechoslowakische Journalistenverband solle sein Versteckenspiel beenden und Farbe bekennen... Die Journalisten müßten sich mit der Parteilinie identifizieren oder von der politischen Bühne abtreten.

19451960198020002020

Vor tschechischen Journalisten erklärte erst vor wenigen Tagen der für ideologische Fragen zuständige ZK-Sekretär Josef Kempny, der Tschechoslowakische Journalistenverband solle sein Versteckenspiel beenden und Farbe bekennen... Die Journalisten müßten sich mit der Parteilinie identifizieren oder von der politischen Bühne abtreten.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Gros der tschechischen Journalisten ist tatsächlich längst abgetreten beziehungsweise veranlaßt worden, abzutreten. Die Bilanz dieses Schlachtfeldes ist tatsächlich erschütternd — ebensosehr die Tatsache, daß diese Maßnahmen im Frühjahr 1969 mit dem Abgang Dufoeeks als Parteisekretär einen neuen Höhepunkt erlebten. Insgesamt sollen nach einer Erklärung des Vorsitzenden des Journalistenverbandes, Vlado Kaspar, 80 Journalisten entfernt worden sein. Hier allein die Bilanz des letzten Vierteljahres: neuerlich umbesetzt wurde die Spitze des KPTsch-Zentralorgans „Rüde Prä-vo“, wo seit 17. April 1969 Miroslav Moc den Posten des Quefredakteuirs einnimmt. Radikal ging man auch bei den kommunistischen Kreislblättern vor; fast die gesamte Redaktion des nordmährischen Parteiorgans „Nova Svoboda“ (Neue Freiheit) wurde entfernt — und zwar auf Grund eines Beschlusses des tschechischen Parteibüros in Prag. Neben Chefredakteur Ladislav Bublik wurde Ghefredak-teurstellvertreter Miroslav Samole-vic und Redalktionssekretär Ladislav Vymazal entfernt und durch ein Re-daktionskomitee von eil völlig neuen Leuten, „verdienten und erfahrenen Parteifunktionären“, ersetzt, an deren Spitze ein NichtJournalist, der bisherige Vorsitzenide der Ostrauer VolkskontroMkommission, Eduard Hrabac, steht. Mit der Begründung, „in der Kontrolle der politischen Lenkung der Redaktion versagt zu haben“, wurde auch der Chefredakteur des südböhmischen Parteiorgans, der „Jihocesky Pravda“ (Südböhmische Wahrheit), Jaroslav Sestafc, entlassen. Am 20. Mai wurde schließlich der Chefredakteur der nordlböhmischen Parteizeitung „Pruboj“, Egon Fries, entfernt und durch Miroslav Kindl ersetzit.

Die Radikalkur erstreckt sich aber keinesfalls nur auf die kommunistischen Parteilblätter. Im Verlauf des Mais entfernte die Gewerkschaft den Chefredakteur der gewerkschaftlichen Tageszeitung „Präce“, Ladislav Velensky, der durch Jifi Van-öura ersetzt wurde; schon vorher war nicht nur die Tageszeitung „Präce“ (Arbeit), sondern auch das Wochenblatt der Gewerkschaft, „Svet präce“ (Welt der Arbeit) wegen ihrer Haltung durch das Gewerkschaftspräsi-diuim gerügt worden. Auch der Rat der Jugendorganisationen wurde veranlaßt, bei ihrer Tageszeitung „MJadä fronta“ (Junge Front) den Rücktritt ihres Chefredakteurs, Miroslav Jelinek, entgegenzunehmen. Die Rücktrittswelle zog sich übrigen bis in den Juli hinein, als das Laindwiirtschaftsminiisiterium den Chefredakteur der Tageszeitung „Zemedelske Noviny“. (Landwirtschaftszeitung), Zdehek Fort — diesmal allerdings mit relativ freundlichen Formulierungen —, abberief.

Die Rückzugsünie

Wenn man auch bei den Tageszeitungen meist mächt mehr jene Journalisten in führende Stellungen einzusetzen wagte, die im Verlauf des Prager Frühlings spontan entfernt worden waren, sich aber auch vielfach mit ni<htjournalistischen Funktionären beheifen mußte, so wurde doch bald die Rückzugslinie der konservativen, auch extrem-konservativen Journalisten in die starke Position der Fiihrunigsblätter der KPTsch sichtbar. Während schon Ende 1968 der konservative und unbeliebt gewordene Chefredakteur des KPTsch-Zentralorgans „Rüde Prävo“, Oldrich Svestka, die Leitung des ideologischen Organs „Zivot

strany“ (Parteileben) übernahm, das damals gerade in „Tribuna“ umbenannt worden war und gegen den erst die journalistischen Kollegen und dann die Setzer opponierten und streikten, wurde nunmehr ein gleichermaßen extrem-konservativer Journalist, Jan Fojtik, Ohefredakteur der theoretischen Monatsschrift des ZK der KPTsch, „Nova Mysl“ (Neue Meinung). Fojtik war stellvertretender (Chefredakteur des „Rüde Prävo“, wo er im Frühjahr 1968 untragbar geworden war und bei der „Tribuna“ und seinem früheren Ohefredakteur Svestka Zuflucht fand. Chefredakteur des illustrierten KP-Wochenblattes „Kvety“ wurde schließlich Jan Zelenka. Zelemfca, mit der Nichte des früheren Staatspräsidenten Novotny verheiratet, ist in Prager Joumali-stenkreisen ähnlich verhaßt wie Novotn, war schon einmal Chefredakteur der „Kvety“, die er am 6. Mali 1968 auf Druck der Redakteure verlassen mußte. Bekannt wurde Zelenka vor allem dadurch, daß er dn den letzten Monaten der Novotny-Zeit bereitwillig die Leitung der „Litararni Noviny“ (Litera-turzeitung) übernahm, die damals gerade dem Schriftstellerverband entzogen worden war.

Umbesetzungen und Verbote

Nun kam es nicht allein zu redaktionellen Umbeseitzungen — von denen ja nur die wichtigsten skizziert wurden; das Presse- und Infor-mationisaimt der Regierung schreckte auch nicht davor zurück, Zeitungsverbote auszusprechen. So wurden die beiden interessantesten Wochenblätter der Tschechoslowakei „Listy“ (Blätter) und „Reporter“ (Reporter) verbaten. Für drei Monate wurde schließlich die Monatsschrift des Schrdftstellerverbanides „Plannen“ (Flamme), die Wochenschrift des tschechoslowakischen Journalisten-Verbandes „Svet vo obrazech“ (Die Welt in Bildern) und die Monatsschrift der Jugendorganisationen JVTy 69“ (Wir 69) verboten.

Neues Präsidium des Journalistenverbandes

Die Umgruppierung nach der Föde-ralisierung der Tschechoslowakei machte Neuwahlen auch beim Journalistenverband nötig. Neben einem tschechoslowakischen Journalisten-verband gibt ea nun auch einen tschechischen, dessen Vorsitzender Vlado Kaspar ist und dessen Exekutivkomitee stark ausgeweitet wurde. Die erste Indtiaitive dies am 9. Juni 1969 neugewählten Exekutivkomitees dieses tschechischen Journalistenverbandes war, das neue Präsidium zu beauftragen, die Haltung der Ver-banidsmitiglieder zu untersuchen, die im Ausland verblieben sind. Kurz vorher hatte in einem etwas theatralischen Schreiben an die Londoner „Times“ der in England verbliebene ehemalige Chefredakteur des ünformations- und Nachrichtendienstes des tschechoslowakischen Fernsehens, Kami! Winter, seinen Austritt aus der KPTsch verkündet. Ein anderer, der frühere Kommentator von Radio Prag, Karel Kynal, war von Washington nach Prag zurückgekehrt und hatte vor den Arbeitern von Kolben-Dauck In Prag KP-Sekretär Husak kritisiert, Husaks Behauptung, niemand habe in der Tschechoslowakei aus politischen Gründen seinen Posten verloren, werde allein auf dem Sektor der Journalisten Lügen gestraft. Immerhin haben mancherlei Änderungen im Journalistenverband eine weitere Kritik der Parteiführung nicht verhindern können. Schon am

S. April hatte es in einer Erklärung der KPC (KP der tschechischen Gebiete) geheißen, daß der Journalistenverband trotz des wiederholten Ersuchens der KPC dieser nicht geholfen habe, die immer wiederkehrenden Krisen der vergangenen Monate zu bewältigen, sondern sich in eine entgegengesetzte Richtung begeben habe. Zwar hätte der Jour-nalistenverband sein Vertrauen gegenüber den Genossen Dubcek, Cernik, Smrkovsky, Svoboda und Husak, keinesfalls jedoch gegenüber der gesamten Parteiführung geäußert.

Bei der Vergatteru'ng der JournaM-sten in den ersten JuMtagen 1969, an der nicht nur KPTsch-Chef Husak, sondern auch die tschechischen und slowakischen Parteichefs Strougal und Sadovsky, der für ideologische Fragen zuständige ZK-Sekretär Kempny und der Leiter des Presse-und Informationsamtes der Regierung, Havelka, teilgenommen hatten, sind nunmehr kaum weniger freundliche Worte gefallen. Husak verwies darauf, daß „eine sehr große Zahl unserer Parteimitglieder und Bürger unseres Landes noch immer desorientiert sei und auch den Glauben an den Sozialismus verloren habe“ — nicht ohne gleichzeitig die Mitschuld der Journalisten herauszustellen. In den Gesprächen wurden vor allem die „Ursachen der Fehler und der negativen Beeinflussung“ erörtert, die sich die Journalisten in den letzten eineinhalb Jahren zuschulden kommen ließen. Vor allem aber besprach man, wie der Grundsatz „der Verpflichtung der Journalisten gegenüber der Partei“ wieder zur Geltung kommen könne.

Charaktere und Opportunisten

In dieser Zeit des Umbruches waren nun charaktervolle Persönlichkeiten ebenso sichtbar wie Opportunisten; nachdem eine radikale Umbesetzung bei den maßgeblichen Massenmedien, also beim Fernsehen, Rundfunk und

bei der Nachrichtenagentur CTK, längst 1968 erfolgt waren, kam es allerdings auch noch 1969 zu wichtigen Umbesetzungen. So wurde am 5. Juni Bohumil Chnoupek neuer Generaldirektor des Tschechoslowakischen Rundfunks. Er war in der späten Novotny-Zeit Stellvertreter des Informationsministers Karel Hoffmann, dessen anrüchige Pressepolitik durch einen Witz in aller Munde war; man nannte sie in Anlehnung an die bekannte Oper „Hoffmanns Erzählungen“. Am 4. April schließlich enthob die Prager Regierung den Vorsätzenden des tschechischen Presse- und Informationsbüros Josef Vonouth „auf sein eigenes wiederholtes Ansuchen“ hin. Nachfolger wurde Josef Havlin, der im April 1968 als Leiter der Abtei-Jung Kunst im ZK der KPTsch abgesetzt worden war. Dessen erste Amtshandlung war das, was der zurück-

getretene liberale Vorgänger vermutlich nicht mit seiner Unterschrift decken wollte: das Verbot einer Reihe wichtiger Blätter.

Der Pessimismus und die allgemeine Apathie ist unter den Journalisten noch größer als unter der übrigen Bevölkerung. Das hängt nicht allein damit zusammen, daß der Aderlaß dieser Berufsgruppe im letzten Jahr vermutlich größer war als der irgendeines anderen Berufsstandes. Es hängt auch mit der Einstellung des Parteichefs Husak zur Presse zusammen. Auf Grund seiner eigenen schmerzlichen Erfahrungen hält man es für möglich, daß Husak vielleicht noch an den Resten einer Rechtsstaatlichkeit interessiert sei; in der Presse sah er immer nur ein ausführendes, weisungsgebundenes Organ, und in dein Journalisten Funktionäre besonderer Art — nicht mehr.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung