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Die vielen Anti-Dubcek-Fronten der CSSFR

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Die Tschechoslowakei, vor allem die böhmischen Länder, werden wieder unruhig. Trotz dreier legaler Regierungen hat das Volk das Gefühl, von einem unsichtbaren Schattenkabinett regiert zu werden, das der Handlanger eines Kolosses ist, der bedächtig, aber um so sicherer, ein Stück nach dem anderen des eigenen Lebens und der ohnedies kargen Freiheit abwürgt. Wie eine Fackel die Dunkelheit erhellt, so sollte der Flammentod des jungen Studenten Jan Palach auf dem Wenzelsplatz in Prag die Situation erhellen, in der sich das tschechische Volk befindet, und ein Fanal für die Begierenden und auch für das Volk sein, um sich der Situation bewußt zu werden. Palach soll ein Plakat in der Hand gehalten haben mit der Aufschrift: Gegen den kommunistischen Despotismus. In seinem Abschiedsbrief richtete der Verstorbene seinen Protest nicht nur gegen die sowjetische Unterdrückungsmacht, sondern forderte die eigenen Führer auf, zur Rettung dessen, was den Tschechen und Slowaken an Freiheit noch geblieben ist, energischer aufzutreten. Sowohl die jugendlichen Kommilitonen wie auch die Träger des Regimes nahmen den Flammentod sehr ernst und taten ihn nicht als die Tat eines Geistesgestörten ab. Doch wie sollten die, die nicht, aus dem düsteren Drama ausgetreten sind, weiter handeln? Die Jugend, der es am 21. August verwehrt war, gegen den Landesfeind zu kämpfen, neigt zu großem Heroismus. Die reformkommunistischen Oberen, die auf des Messers Schneide zwischen Vertrauensschwund und zusätzlicher sowjetischer Intervention lavieren müssen, ersuchen in ebenso flammenden Aufrufen die Jugend, für das Land zu leben und nicht zu sterben.

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Die Tschechoslowakei, vor allem die böhmischen Länder, werden wieder unruhig. Trotz dreier legaler Regierungen hat das Volk das Gefühl, von einem unsichtbaren Schattenkabinett regiert zu werden, das der Handlanger eines Kolosses ist, der bedächtig, aber um so sicherer, ein Stück nach dem anderen des eigenen Lebens und der ohnedies kargen Freiheit abwürgt. Wie eine Fackel die Dunkelheit erhellt, so sollte der Flammentod des jungen Studenten Jan Palach auf dem Wenzelsplatz in Prag die Situation erhellen, in der sich das tschechische Volk befindet, und ein Fanal für die Begierenden und auch für das Volk sein, um sich der Situation bewußt zu werden. Palach soll ein Plakat in der Hand gehalten haben mit der Aufschrift: Gegen den kommunistischen Despotismus. In seinem Abschiedsbrief richtete der Verstorbene seinen Protest nicht nur gegen die sowjetische Unterdrückungsmacht, sondern forderte die eigenen Führer auf, zur Rettung dessen, was den Tschechen und Slowaken an Freiheit noch geblieben ist, energischer aufzutreten. Sowohl die jugendlichen Kommilitonen wie auch die Träger des Regimes nahmen den Flammentod sehr ernst und taten ihn nicht als die Tat eines Geistesgestörten ab. Doch wie sollten die, die nicht, aus dem düsteren Drama ausgetreten sind, weiter handeln? Die Jugend, der es am 21. August verwehrt war, gegen den Landesfeind zu kämpfen, neigt zu großem Heroismus. Die reformkommunistischen Oberen, die auf des Messers Schneide zwischen Vertrauensschwund und zusätzlicher sowjetischer Intervention lavieren müssen, ersuchen in ebenso flammenden Aufrufen die Jugend, für das Land zu leben und nicht zu sterben.

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Das Niederdrückende an der Situation der Tschechoslowakei äst, daß die Einheit, die es im Volk seit dem Prager Frühling um Svoboda und Duböek gab, scheinbar langsam zu zerbröckeln beginnt, durch kluge Sehaehzüge des Kolosses, der doch immer wieder Kollaborateure gewännen kann. Viele bekämpfen jetzt viele. Wo dieser Weg enden wird, ist ungewiß, denn es ist eine Wanderung auf einem schmalen Grat, die das Land gehen muß. Russen sind keine Engländer, die sich durch das Fasten eines Gandhi beeindrucken lassen, und sind keine Amerikaner, die durch Selbstverbrennen buddhistischer Mönche irritiert werden. Insofern hat der Präsident der Republik recht, der sich vor dem Opfer dies jungen Studenten beugte, aber dennoch die anderen Studenten zum Leben aufforderte. Um so wichtiger wäre die Einheit im Innern, die durch Diadochenikämpfe erschüttert wird.

Der Dubeek-Mythos des Jahres 1968 war nicht zu durchbrechen und au erschüttern, vor allem nicht von Novotny, einen Altersgenossen und einem noch immer effektiven Klan. Zwischen Novotny (64) und Duböek (47) liegt nun einmal eine Generation, und sogar Moskau, das oft genug die Interne Situation der Tschechoslowakei im Verlauf des letzten Jahres falsch eingeschätzt hat, hat mach dem „Prager Frühling“ nie mehr auf die Karte Novotnys gesetzt.

Auch in Prag sind die „Söhne der Revolution“ farblos und uninteressant geworden. Nach den zwei prominenten und kontrastreichen Figuren der ersten Stunde — die dann auch die prominentesten Gegner wurden —, dem Parteivorsitzenden Gattwald und dem KPTsch-General-sekretär Slänsky, ging es über Zäpo-tocky und Siroky (als Regierungschef) sowie Zäpotocky (als Staatspräsident) zu Novotny (als Erster Sekretär des ZK und Staatspräsident), dessen Farblosigkeit und Unprofi-liertheit gleichermaßen leichte Licht -wie Schattenseiten zeigte: Er wollte zwar nicht mehr morden, hatte aber auch ebensowenig Lust, zu rehabilitieren, nur gelegentlich zu begnadigen.

Novotnys frühere und heutige Anhänger — und das ist ihre entscheidende Schwäche — finden sich vor allem uniter jenen, die ebenso farblos sind wie er, die sich nur zu halben Beschlüssen aufraffen können, die nie ganze Schritte machen, die wicht grausam, aber auch nicht menschlich sind; sie finden sich vor allem auch bei den kleineren und mittleren Funktionären, denen es zwar nie allzu glänzend ging, aber doch auch nie schlecht, eben jener Schicht der kleinen Bevorzugten der kleinen Orte und Betriebe.

Die ungefährlichsten Duböek-Geg-ner uniter ihnen sind die Altersgenossen des niiclht mehr wiedergewählten Parteisekretärs und zurückgetretenen Staatspräsidenten, die also, die im Alter zwischen 60 und 70 Jahren stehen, auch wenn sie vielfach Kommunisten der ersten Stunde, also Parteimitglieder seit 1921 sind. So betrachtet, war etwa das „Treffen alter Kommunisten aus Prag-Liben“ im Februar 1968 anläßlich des 20. Jahrestages der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei und dann nochmals im Oktober 1968 nicht allzu bedeutungsvoll, auch wenn hier der sowjetische Oberstleutnant Koro-ienko jenes Wort prägte, das inzwischen die Runde machte, als er dite Versammelten mit „Genoasen Kollaborateure“ ansprach. Zwar erklärte der Hauptredner,. tag. Anton Kapek, der sich selbst als „früherer Direktor der Prager Maschinenfabrik Kolben-Danek“ bezeichnete, daß man sich nicht als Konservative abstempeln lassen dürfe („denn möglicherweise habt ihr um vieles fortschrittlichere Gedanken als sonst jemand!“), gleichzeitig aber auch, daß niemand eine Rückkehr in die VorJanuar-Zeit wünsche. Immerhin sprach man aber auch völlig ungeschminkt von einer „fünften Kolonne“, von einer „Clique“, von der Gruppe „einiger Schriftsteller, Redakteure und Professoren“, aber auch ebenso brutal vom jüdischen Einfluß in der KPTsch. Initiatoren und Wortführer dieser Gruppe waren zwar durchwegs alte Parteigenossen und uniter ihnen viele Gründungsmitglieder der KP, aber doch keineswegs Männer der ersten oder zweiten Garnitur: Josef Jodas, Vaclav Svoboda, ein maßgeblicher Gewerkschaftsfunktionär, Ladislav Moravek, Karel Smidrkal und Karel Pospisil. Weiters gehören zu diesen älteren Männern einer Pro-Novotny-Gruppierung der Parteifunktionär und mehrfache Stellvertretende Minister Karel Mestek, der Vorsitzende das Verbandes für tschechoslowakisch-sowjetische Freundschaft in Mittelböhmen; Emanuel Famira (58), Maler, Bildhauer, Tänzer und Regisseur, der Direktor der Kunstschule Prag; Kvetoslav Innemann (58), der viele Panteifuriktionen innehatte und zuletzt Direktor des Staaitsverlages für politische Literatur war.

Der Hauptsprecher der seinerzeitigen Anti-Duböek-Kundgebung, Ingenieur Kapek, illustriert gleich zwei Gruppen von Duiböek-Gegnern, die naturgemäß das Haiuptkontingent darstellen: Die Duböek-Geschädig-ten, die allerdings vielfach nicht von Duböek, sondern von den eigenen Untergebenen im ersten Ansturm beiseite geschoben und entfernt wurden, und die Gruppe jener Funktionäre, die durch ihre Partteifunktion maßgebliche Pasten im staatlichen und wirtschaftlichen Biereich erhiel und innehatte, die für diese Posten aber weder die Vorbildung noch die Qualifikation und Befähigung mitbrachte.

Komplikationen ergeben sich natürlich aus der Tatsache, daß viele Männer im Jahre 1968 gewichtige Posten verloren, aber immerhin andere, teilweise einflußreichere, noch behielten. So ergibt sich auch die Frage, wer etwa von der letzten Novotny-Regierung, der von Josef Lenart geführten Regierung, die weithin zertrümmert wurde, für eine Anti-Duböek-Gruppe bedeutsam bzw. gefährlich ist. Da die am 20. September 1963 gebildete Regierung vorwiegend aus jüngeren Fachleuten zusammengestellt wurde, muß ein Großteil von ihnen als potentielle und nicht 'Ungefährliche Dubcek-Gegner gewertet werden. Auch hier können die älteren Regierungsmät-glieder eher beiseite gelassen werden, auch wenn der bei der Bevölkerung als Jasager Moskaus verhaßte 58j ähnige ehemalige Außenminiiister Väsclav David bei einer Kundgebung von „Altkommunisten“ noch als Hauptredner aufgetreten ißt. Er wurde inzwischen zum Botschafter der CSSR in Bulgarien, also einem angenehmen Abstellgeleise, ernannt. Der erst 45jährige Lenart, immerhin fünf Jahre Regierungschef unter Novotny, war ursprünglich so viel oder wenig Novotny-Mann wie alle anderen. Bei der entscheidenden Abstimmung vom 4. Januar 1968 stimmte er immerhin für Novotny, versuchte dann vor allem im August zu vermiitteln und Duböek zu einer nachgiebigeren Haltung gegenüber Moskau zu bewegen. In der Partei hat Lenart noch eine feste Position. Daß bei der Bevölkerung sein Ansehen doclh stark ramponiert ist, zeigt eine im Dezember durchgeführte Meinungsforschung. Auf die Frage, wer als künftiger,..slewaMik scher Ministerpräsident :,,Iiij ,:.Krage; käme, rangierte Lenart mit 1,1 Prozent dar Stimmen an letzter Stelle nach Husäk, Duböek, Pavlenda, Klo-koc, Novomesky, Koctuoh und Sa-dovsky, wobei der allerdings von der Bevölkerung an vorletzter Stelle nominierte Sadovsky das Rennen machte. Mit vielfachen Fragezeichen versehen muß der ehemalige Minister ohne Geschäftsbereich, Frantisek Barbirek (41) werden; eindeutige Anti-Duböek-Richtung repräsentiert der frühere Innenminister Lubomir Strouigal, der frühere Minister ohne Geschäftsbereich, Vasil Bilak und Verkehrsmliniiister Alois Indra und der frühere Stellvertretende Ministerpräsident Frantisek Knejcir, der inzwischen Botschafter der CSSR in der DDR wurde.

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