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Novotny und Soldat Schwejk

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„Was ist der kürzeste Witz in der Tschechoslowakei?!“ wurde jahrelang im nördlichen Nachbarland gefragt. „???“ „Dr. Antonin Novotny“, war die Antwort. Diesen Witz versteht natürlich niemand außerhalb der CSSR. Der tschechoslowakische Staatspräsident besitzt kein Doktorat. Wer deshalb seinen Namen mit dieser Würde verzierte, wollte damit andeuten, daß sich Novotny für den gescheitesten Mann in der Republik hielt. Und das erschien allen als ein Witz. Novotny war nicht nur Staatspräsident, sondern auch erster Sekretär der tschechoslowakischen kommunistischen Partei und faktisch auch Ministerpräsident der Republik. Er herrschte souveräner wie ein echter Monarch. Vor allen Dingen bildete er sich auch ein, alles zu wissen und alles zu können. Tatsächlich verhinderte er viele Reformen. Als vor einiger Zeit auf Grund des Planes von Prof. Šik eine große Umwandlung der tschechoslowakischen Wirtschaft stattfinden sollte, bremste er diese Reform dermaßen, daß sie praktisch im Sand steckenblieb.

Alle Versuche, seine Macht auch nur zu beschneiden, erwiesen sich jahrelang als vergeblich. Ein Mann, der das böhmische Prinzip des „Überstehen ist alles“ geradezu klassisch beherrschte und es zuwege brachte als Stalinist alle antistali- nistischen Wellen zu überdauern, war scheinbar gefeit gegen alle Versuche des Sturzes.

Schließlich erinnerte sich der brave Soldat Schwejk eines Weges, auf den man ihn vielleicht doch seiner Allgewalt entkleiden konnte. Der brave Soldat Schwejk erinnerte sich des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 und kam darauf, daß auch die Tschechoslowakei aus zwei Reichshälften besteht, den böhmischen Ländern und der Slowakei. Diese Slowakei spielt heute in der Republik eine ähnliche Rolle wie die ungarische Reichshälfte in der alten Monarchie. Ähnlich wie die Magyaren immer über ihre Unterdrückung durch Wien klagten, schimpfen alle Slowaken, einschließlich der Kommunisten, über die Unterdrückung durch Prag. Um dieser Unterdrückung zu entgehen, verlangen sie, daß die Slowakei, obwohl der kleinere Teil, völlig gleichberechtigt behandelt werde wie die böhmischen Länder. Die Feinde

Novotnys holten diesen Dualismus hervor. Es gehe doch nicht an, hetzten sie die Slowaken auf, daß alle Macht zentralistisch in Prag — lies bei „Novotny“ — vereinigt sei. Die Slowaken hätten doch auch ein Recht, gleichberechtigt neben Prag zu regieren. Am besten wäre eine Aufteilung der Macht auf beide Reichshälften. „Hie Staatspräsident — hie erster Sekretär der Partei.“ Was allen Feinden bisher nicht gelang, dem braven Soldaten Schwejk gelang es: der Slowake Dubcek wurde wenigstens Parteiboß.

Diese Vorgänge sind außerdem noch ein Beweis, wie zählebig die Idee des österreichisch-ungarischen Ausgleichs ist. Gleich einem Virus geht er durch die Länder des alten Reiches. Fast 20 Jahre wurde Österreich nach 1945 durch ein System regiert, das das Land praktisch in zwei Reichshälften teilte. Jetzt, da dieses System — zumindest vorübergehend — in Österreich nicht mehr angewandt wird, hat es auf die Tschechoslowakei übergegriffen.

Der Ausgleich ist tot, es leibe der Ausgleich.

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