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Wieder Prager Deutsche

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„Die deutsche Nationalitätagruppe der CSSR muß sich zum Unterschied von der ungarischen, polnischen und ukrainischen erst formieren, wenn sie die Früchte, die ihr das Nationalitätenstatut verspracht, ernten will.“ So heißt es im Leitartikel der deutschgeschriebenen „Prager Volks-zeiituog“ vom 31. Jänner. Die Folgen der Hitler-Zeit sind gerade auf dem Gebiete der Deutschsprachigen in der Tschechoslowakei noch keineswegs aus der Welt geschafft. Es hat nicht nur die in keiner Weise zu rechtfertigende Kollektivaustreibung der deutschsprachigen Bürger aus der wiedererstandenen Tschechoslowakei nach dem Krieg gegeben: auch die rund 150.000, die von den früheren 3.2 Millionen Deutschböhmen, Deutschmährer, Deutsch-Prager, Karpathen-Deutscher usw. noch auf tschechoslowakischem Territorium leben, sind noch weit entfernt davon, die gleichen nationalen Rechte zu genießen wie die anderen Nicht-tschechen und Nichtsiowaken im Land.

So gibt es namentlich bis heute keine einzige deutsche Schule, während die ungarische, polnische und ukrainische Minderheit ihre Schulen längst besitzt.

Nun ist das Nationalitätenstatut Verfassungsgesetz geworden, und die tschechoslowakischen Deutschen bereiten ein nationales Leben in der Gleichberechtigung vor. Wie Fritz Schalek, der Chefredakteur der „Prager Volkszeitung“, in seinem Leitartikel ausführt, gab es viele Anregungen zur „Formierung“ der deutschen Nationalitätsgruppe. Wer konnte diese Anregungen bislang aufnehmen? Es waren jene Stellen, die der deutschen Nationalitätsgruppe seit jeher gedient hatten, ohne eigentlich ihre „Vertreter“ zu sein. Es waren deutsche Abgeordnete im tschechoslowakischen Parlament, Gewerkschaftsfunktionäre deutscher Muttersprache, die Redaktoren eben der „Volkszeitung“. Gleichzeitig sind die ersten Schritte „von Worten zu Taten“ getan worden: die Vorbereitungen zur Gründung einer Kulturorganisation der deutschen Bürger der CSSR. Eine Ansicht geht dahin, den künftigen Kulturverband bewußt und auch statutengemäß zu einer gesellschaftlich-kultuirellen Organisation auszubauen, die ähnlich dem bereits seit langem bestehenden „Demokratischen Verband der Deutschen in Ungarn“ oder des „Csemadok“ — „Verband der ungarischen Minorität in der Tschechoslowakei“ — nicht nur als Sprecher seiner Mitglieder, sondern als Vertreter der ganzen Nationalitätsgruppe angesehen und anerkannt werden sollte.

Vertreter dieser Ansicht weisen darauf hin, daß dieser Verband neben seiner durch die Statuten gegebenen kulturellen Ausrichtung manche Funktionen eines Sprechers der Deutschen in der CSSR übernehmen müsse.

Die andere Ansicht ist, daß ein Kollegium aus deutschen Mitgliedern verschiedener gewählter Körperschaften einen besseren Sprecher der Nationalitätsgruppe abgeben würde. In diesem Kollegium oder Komitee sollten die deutschen Abgeordneten des Föderalparlaments und seiner Kammern, der beiden Nationalräte, der höheren Stufen der Nationalausschüsse, die Vertreter des Kulturverbandes, deutsche Gewerkschaftsfunktionäre u. a. sein. Die Anhänger dieser Meinung führen ins Feld, daß diese Art der Vertretung umfassender und qualifizierter sein müßte, weil sie auch für andere Gruppen der Bevölkerung als nur für die Mitgliedschaft des Kulturverbandes sprechen könnte und weil die Mitglieder eines solchen Kollegiums auch als Vertreter der deutschen Bürger der CSSR in den Parlamenten, Nationalausschüssen und Massenorganisationen sowie in allen Körperschaften auftreten würden, in die sie gewählt worden sind.

Eine gründende Versammlung eines deutschen Kulturverbandes hat nun auch in Prag stattgefunden. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer Epoche, daß die Mehrzahl der Teilnehmer an dieser Gründungsversammlung tschechoslowakische Juden deutscher Muttersprache waren, die das Grauen der Hitler-Zeit und die Terrorjahre des Stalinismus irgendwie überlebt haben. Den Kennern der einstigen deutsch-jüdiischen Symbiose wird diese Treue der Juden zur deutschen Sprache und Kultur „trotz allem“ nicht überraschend sein.

Ebensowenig überrascht darf der Beobachter der Entwicklung in der Tschechoslowakei im allgemeinen davon sein, daß die „Führung“ weiterhin streng in kommunistischen Händen verbleibt. So wurde zur stellvertretenden Vorsitzenden des Prager deutschen Kulturverbandes Traute Slansky gewählt, die Gattin Richard Slanskys, des Bruders des einstigen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, Rudolf Slansky, der 1952 nach einem von Moskau dirigierten Schaiuprozeß als Verschwörer und „zionistischer Agent“ hingerichtet worden ist. Traute Slansky ist die Witwe des deutschen Kommunistenführers Max Hölz, der nach dem ersten Weltkrieg den kommunistischen Aufstand im mitteldeutschen Industriegebiet geleitet hat und 1921 in der Weimarer Republik zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden ist: Er wurde 1928 amnestiert, emigrierte in die Sowjetunion und ertrank dort 1933 in der Umgebung von Gorki/Nischmij Nowgorod.

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