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Wandel ohne Überzeugung

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Die Polit-Prominenz der Tschechoslowakei beginnt sich zu wandeln. Sie ist geübt darin. DerWandel der Begriffswahl hatte kaum Konsequenzen. Kommt’s jetzt anders?

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Die Polit-Prominenz der Tschechoslowakei beginnt sich zu wandeln. Sie ist geübt darin. DerWandel der Begriffswahl hatte kaum Konsequenzen. Kommt’s jetzt anders?

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Wenn man bedenkt, was man’ von prominenten Politikern der Tschechoslowakei während ihrer Karriere zu hören bekam, überrascht das jüngste Bekenntnis von Staats- und Parteichef Gustav Husak zum Kurs Michail Gorbatschows wohl kaum; obwohl es eine totale Wende in seiner bisherigen Politik zur Folge haben könnte.

Man entsinnt sich zum Beispiel jener Worte Husäks von Ende August 1968, unmittelbar nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR, daß

er — Husak — immer zu Alexander Dubček stehen und, wenn es soweit kommen sollte, auch mit ihm fallen werde. Dann aber, als er sich, nur wenige Monate danach, so stark und selbständig fühlte, daß er selbst die Position Dubčeks übernehmen konnte, entsandte er diesen als Botschafter in die Türkei und später als Beamten in die Preßburger Forstverwaltung.

Während der nächsten zwei Jahrzehnte stand Husak an der Spitze einer endlosen Normalisierung und führte einen Feldzug gegen die Reste des Reformkurses des „Prager Frühlings“ , um jede Erinnerung an die kurze, für Tschechen und Slowaken jedoch so hoffnungsvolle Periode zu löschen. Nicht einmal für den früheren Parteihistoriker Milan Hübl, der in den sechziger Jahren zum Großteil zur politischen Rehabilitierung Husäks beigetragen

hatte und sich selbst als dessen Freund bezeichnete, zeigte der Parteichef Barmherzigkeit.

Hübl kam 1971 für fünf Jahre ins Gefängnis.

Es geht heute nicht so sehr darum, daß die meisten ausländischen Beobachter die Glaubwürdigkeit der jüngsten Aussagen des CSSR-Spit- zenpolitikers bezweifeln ganz zu

schweigen von der Meinung seiner eigenen Landsleute; es wäre vielmehr notwendig, von Husak die Einhaltung der Versprechungen über einen neuen Kurs einzufordern. Denn bis heute wurde—im Unterschied zur Sowjetunion — kein einziger aus politischen Gründen Inhaftierter freigelassen.

Im Gegenteil, die Delegierten aus demokratischen Ländern beim Wiener KSZE-Folgetreffen müssen immer wieder die Praxis der tschechoslowakischen Staatssicherheitsorgane sowie der

CSSR-Justiz an den Pranger stellen.

Noch immer läuft in der Tschechoslowakei die Maschinerie der Repressalien gegen Bürgerrechtler, aber auch gegen die aus rein politischen Gründen verfolgten „kleinen Fische“ , deren Namen weitgehend unbekannt bleiben.

Im März wandte sich der Bürgerrechtler Ladislav Lis, ein be

kannter Politiker des „Prager Frühlings“ , später mehrmals in Haft und gegenwärtig unter schärfster Polizeiaufsicht, mit einem Brief an Husak. Darin erinnert er an den gegenwärtigen Reformkurs in der Sowjetunion und spricht von Hoffnungen, die dadurch in der CSSR-Bevölkerung wachsen.

„Nur ein offenes und beschleunigtes Bekenntnis zu den Irrtü- mern der Vergangenheit und die Suche nach einer breiten Basis des Konsenses in allen Schichten der Bevölkerung kann die Bemühungen zur Albanisierung unseres Landes verhindern“ , schrieb Lis, Vizepräsident der Internationalen Föderation für Menschenrechte, dem tschechoslowakischen Parteichef. Er betonte, daß alle Behauptungen über die Lösung von Meinungsunterschieden in der Tschechoslowakei durch ausschließlich politische Mittel mit der Realität nach wie vor überhaupt nicht übereinstimmten.

Im Brief des Bürgerrechtlers wurde Staatspräsident Husak vorgeschlagen, den tschechoslowakischen Gesetzgeber anzuregen, die Rechtsordnung der CSSR dem Artikel zwei des Internationalen Paktes über die Bürgerund politischen Rechte sowie der Madrider KSZE-Schlußakte und anderen internationalen Vereinbarungen anzupassen. Insbesondere sollte der berüchtigte Paragraph 98 - „subversive Tätigkeit gegen die Republik“ -, aufgrund dessen zahllose CSSR-Bürger langjährige Freiheitsstrafen zu verbüßen hatten und haben, aufgehoben werden.

Scharfe Kritik übte der ehemalige CSSR-Außenminister Jiri Häjek in einem Offenen Brief an den Chefredakteur der Parteizeitung „Rudė prävo“ an der „unglaublichen Ignoranz“ mehrerer Artikel zum Thema Menschenrechte. Nach Häjek haben die Autoren dieser Beiträge keine Ahnung über jene Dokumente, die die Basis für die Menschenrechte bilden. „Rudė prävo“ — so Häjek - bringe „Informationen“ , die in krassem Gegensatz zur Wirklichkeit stehen.

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