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Stalin wieder m Prag?

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Als der Wiener Rechtsanwalt und Vertreter von Amnesty International, Dr. Wolfgang Aigner, am Montag vergangener Woche dem Prozeß gegen die tschechoslowakischen Bürgerrechtskämpfer Ota Ornest (64), Franti- sek Pavliček (54), Vaclav Havel (41) und Jifi Lederer (53) beiwohnen wollte, fand er die Türen des Verhandlungssaales Nr. 83 im Prager Stadtgericht verschlossen. Die Begründung der Behörden: Der Prozeß sei zwar öffentlich, doch die 20 Sitzplätze im Ver- handlungssal seien alle schon besetzt. Wie fadenscheinig diese Begründung war, erwies sich noch während des Prozesses. Zugelassen wurden je ein Familienangehöriger der Angeklagten und zehn „neutrale Beobachter”, die wahrscheinlich Angehörige der Geheimpolizei waren. Sechs Sitze blieben leer.

Schon vor Beginn des Prozesses gegen die Mitglieder der „Charta 77” war klar: Die Prager Führung wollte zu diesem Prozeß keine „unangenehmen” Personen zulassen. Einem Journalisten des französischen kommunistischen Parteiorgans „L’Humanitė” wurde schon vorher das Einreisevisum verweigert, was bei den Pariser Genossen zu heftigen Protesten führte. Pavel Kohout, prominenter tschechoslowakischer Bürgerrechtler und Mitunterzeichner der „Charta 77”, wurde im Gerichtsgebäude angehalten und sogleich festgenommen. Rund 30 Sympathisanten und Mitunterzeichner der „Charta” wurden am Montag in aller Frühe zur Polizei vorgeladen oder verhaftet, nur um ihnen klarzumachen, daß sie bei diesem Prozeß als Zuhörer unerwünscht seien. Filmkameras wurden aufgestellt, um jeden, der sich dem Verhandlungssaal näherte, abzuschrecken oder im Bild festzuhalten.

Angesichts solcher Begleitumstände stiegen politischen Beobachtern in Prag dunkle Erinnerungen an die sta- linistische Ära auf. Hatte der unberechenbare Diktator aus Georgien auf dem Hradschin wieder Einzug gehalten? Was konnte der Prager Führung daran gelegen sęin, die Erinnerung an die Schauprozesse der frühen fünfziger Jahre wachzurufen, just in dem Moment, in dem in Belgrad die KSZE-Nachfolgekonferen2 über die Bühne geht? Ein Zufall? Eine Machtdemonstration? Ein Zeichen der Schwäche?

Tatsache ist, daß die unbedingt ausgesprochene Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren für Ota Ornest und drei Jahren für Jifi Lederer seit langem die härtesten Strafen für „politische Verbrechen” in der ČSSR sind. Trotzdem meinen westliche Beobachter, von einer Rückkehr der Stalinzeit könne nicht gesprochen werden. Auch Rechtsanwalt Aigner, der sich während des Prozesses in Prag aufhielt, unterstreicht diese Meinung: „In Prag herrscht eine gelockertere Atmosphäre als vor Jahren, auch die Kommunikationsmöglichkeiten sind freier als zuvor.” Ja die Prager Behörden hätten sich dem ehemaligen Außenminister Dr. Jifi Hajek gegenüber sogar dahingehend geäußert, daß der Inhalt der „Charta 77” nicht illegal, die Unterzeichnung des Manifestes nicht strafbar sei. Dr. Aigner dazu: „Eine solche Aussage der Behörden wäre in der Stalin-Ära unmöglich gewesen.”

Daraus zeigt sich: Die Prager Behörden sind der Bürgerrechtsbewegung „Charta 77” gegenüber in argen Beweisnotstand geraten. Ein scharfes Vorgehen gegen die Bürgerrechtler ist jetzt unmöglich, da sich diese auf Dokumente berufen, die Prag mitunterzeichnet hat. Die einzige Möglichkeit für das Regime ist deshalb das willkürliche Herausgreifen von einzelnen Personen aus der Bürgerrechtsbewegung, denen dann der Prozeß gemacht wird. Die nötigen Anklagepunkte lassen sich in einem autoritären Staat be kanntlich relativ leicht ausfindig machen. Die Formeln sind spätestens seit dem Prozeß der letzten Woche bekannt: Ota Ornest und Jifi Lederer wurden wegen „Subversion in Verbindung mit dem Ausland” abgeurteilt, František PavliČek wegen „Vorbereitung der Subversion ohne Verbindung mit den Ausland” und Vaclav Havel wegen „Versuchs der Schädigung der Interessen der Republik im Ausland”. Was aber haben die vier Angeklagten wirklich getan? Als literarisch und journalistisch Berufstätige durften sie im eigenen Land nicht publizieren und versuchten dies deshalb im Ausland zu tun! Die „Süddeutsche Zeitung” wußte ob der staatlichen Repression in diesem Zusammenhang nur noch zu kommentieren: „Es ist jedoch gewiß, daß ein Regime, das die Kontakte der Intellektuellen mit der Außenwelt in solcher Form zu unterdrücken gezwungen ist, damit seine eigene Schwäche eingesteht.”

Was man am Hradschin mit den harten Urteilen bezweckte, war Abschreckung. Außerdem sollte ein Keü in die Solidarität der Bürgerrechtsbewegung getrieben werden. Dieser verzweifelte Versuch dürfte aber schon gescheitert sein: Die Solidarität (auch die internationale), die den Behörden so sehr ein Dorn im Auge ist, wurde durch die harten Urteile nur noch bekräftigt.

Das hat sich schon nach der Urteilsverkündung in Prag herausgestellt. Der neue Sprecher der „Charta 77”, der Religionsphüosoph Hejdanek, verkündete auf einer Pressekonferenz: „Wir sind durch diese Urteile nur bestätigt worden und wollen den Kampf gegen Verletzungen der bürgerlichen, politischen und persönlichen Freiheiten ungeachtet aller Repressionen verstärkt fortsetzen.”

Prag steht jetzt offensichtlich vor der Entscheidung, in welchem Rahmen die Menschenrechte in Zukunft zugelassen werden können. Die Bürgerrechtler haben sich von der Abschreckung unbeeindruckt gezeigt, die verschärften Polizeimaßnahmen haben nur zur Stärkung der Bürgerrechtsbewegung geführt. Uber dąs weitere Verhalten der Prager Führung, die neben dem ostdeutschen urtd dem sowjetischen Regime als die menschenrechtsfeindlichste Regierung im Ostblock dasteht, gibt es nur Spekulationen. Oder ist Prag schon auf dem Weg zu einer humaneren Politik?

Das zeitliche Zusammentreffen der KSZE-Nachfolgekonferenz mit dem Prozeß gibt zu denken. Ein Zufall ist wohl ausgeschlossen, eine Machtdemonstration am wahrscheinlichsten. Dr. Aigner schließt aber nicht aus, daß Prag die Koinzidenz bewußt herbeigeführt hat, um Reaktionen auch innerhalb des eigenen Machtblocks heraufzubeschwören und so das Signal zur Kursänderung auszunützen. Aigner: „Die Entscheidung wird in den nächsten zwei Jahren fallen.” Dagegen sprechen jedoch Meldungen verschiedener Tageszeitungen, daß sowjetische „Berater” bei der Erstellung der definitiven Anklageschrift mitgearbeitet hätten.

Die Prager Führung muß-immer wieder auf die internationalen Abmachungen aufmerksam gemacht, sie muß wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen kritisiert werden, auch wenn die tschechoslowakische Parteizeitung „Rudė Prävo” und die slowakische Parteizeitung „Pravda” ihre bereits angekratzte Schallplatte - dies sei eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Tschechoslowakei - auflegen. Die österreichische Regierung könnte dabei eine besondere Rolle spielen: Auf die Reaktionen aus Wien reagiert die Prager Führung besonders sensibel.

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