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Mit Gewalt „konsolidieren

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Bei der ersten Verhaftungswelle der Prager Panzerdemokratie gerieten dreizehn namhafte progressive Intellektuelle unter die Raupenketten der „Konsolidierung“. Von der zweiten Welle wurden dann unter anderen weggespült: Rudolf Slänsky jun., Vladimir Nepras, Karel Kosik, Karel Kaplan, Jaromir Litera, Karel Bartosek, Frau Irina Bluehovä, Jifi Hochmann. Die Gesamtzahl der Verhafteten wird in Prag auf mindestens 200 geschätzt. Die große Treibjagd der Polizei fand Anfang Februar statt.

Rudolf Slänsky jun. ist der Sohn des am 3. Dezember 1952 nach einem Schauprozeß hingerichteten Parteisekretärs gleichen Namens. Es war vorauszusehen, daß der jetzt blühende tschechoslowakische Neostali-nismus den Erben eines „notorischen Revisionisten, Titoisten, Verräters, Zionisten, Kosmopoliten und Feindes“ nicht lange ungeschoren lassen würde. Daß Slänsky jun. Feuer und Flamme gewesen ist für die Dub-ceksche Reformbewegung, ist selbstverständlich. Wie konnte er nur so naiv sein und in der Heimat bleiben? Er verlor nicht nur seine Parteimitgliedschaft, sondern auch seine Stellung. Angeblich wurde er vorübergehend auf freien Fuß gesetzt.

Vladimir Nepras war einer der ersten „Reformjournalisten“. Nachdem er die Invasion und den „brüderlichen Beistand“ der Sowjetpanzer abgelehnt und das „Zehn-Punkte-Manifest“ unterzeichnet hatte, wurde er der „Subversion“ bezichtigt. Mit anderen sieben namhaften Intellektuellen sollte er bereits im Oktober 1970 vor Gericht gestellt werden, die Verhandlung wurde jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. , Karel Kosik gilt als der prominenteste marxistische Philosoph der neuen Schule; sein Hauptwerk, in dem er den Vuigär-Marxismus energisch ablehnt, ist „Dialectics of the Concrete“. Im Februar 1970 wurde Kosik sowohl aus der Partei als auch von der Universität entfernt. Jetzt soll er provisorisch wieder auf freiem Fuß sein.

Karel Kaplan ist Historiker und arbeitete seit 1961 am Historischen Institut der Prager Akademie der Wissenschaften. Den Zorn der Moskauhörigen zog er auf sich, als er ein Werk über den „Mechanismus der politischen Prozesse“ publizierte. Im März 1970 mußte Kaplan die KP verlassen und durfte als gelegentlicher Handwerker sein Leben fristen. Mitunter war er arbeitslos.

Jaromir Litera war unvorsichtig und tapfer genug, sich frühzeitig für die Reformbewegung zu engagieren. Er war der Hauptorganisator des Vysocany-Parteikongresses vom 22. August 1968, der später von den Panzerdemokraten für illegal erklärt wurde. Im Oktober 1969 verlor Litera seine KP-Mitgliedschaft.

Karel Bartosek arbeitete als Historiker am Historischen Institut der Akademie, das inzwischen geschlossen wurde. Man hatte ihn für einen orthodoxen Parteimann gehalten, doch entpuppte er sich als Befürworter der Arbeiterselbstverwaltung. Er verurteilte nicht nur die Okkupation durch die Warschauer-Pakt-Armeen, sondern auch die Husäk-Leute, die zum „bürokratisch-zentralistischen Parteisystem“ zurückgekehrt waren. Jahrelang war Bartosek ohne Beschäftigung und ohne Einkommen.

Frau Irina Bluehovä ist die Schwiegermutter des unlängst ebenfalls verhafteten Jan Sling, Slowakin, seit 1926 Parteimitglied. 1940 tagte das illegale slowakische KP-Zentralkomitee in ihrer Preßburger Wohnung. Bis 1948 leitete sie das Pravda-Verlagshaus in der slowakischen Hauptstadt. — Englischen Quellen zufolge soll sie demnächst freigelassen werden.

Jifi Hochmann stammt aus einer Prager Arbeiterfamilie. Zwischen 1948 und 1956 diente er in der Volksarmee, aber sein Herz zog ihn zum Journalismus. Als Hauptmann wurde er abgerüstet und sofort als Auslandskommentator bei „Rüde Prävo“ angestellt. 1964 kam er als Korrespondent nach Washington, von wo er als Reformist heimkehrte. Im November 1969 mußte er auch die Partei verlassen und lebte in der Folge von manuellen Gelegenheitsarbeiten. Auch er hätte sich im Oktober 1970 mit der Nepras-Gruppe vor Gericht verantworten müssen, aber die Verhandlung fand mcht statt.

Eingeweihte sagen, daß auf Jan Sling, der am 18. Jänner 1972 verhaftet wurde, ungefähr fünf Jahre Gefängnis warten, wenn er für alle „kriminellen Taten“ verurteilt werden soll, die das Regime ihm vorwirft.

Parallel zu den Verhaftungen wurden zwei bemerkenswerte Gerichtsverhandlungen abgehalten. Am 31. Jänner 1972 wurde Jroslav Brodsky in absentia zu acht Jahren Gefängnis wegen „Subversion“ verurteilt. Brodsky war in der Liberalisierungsperiode Organisator und Generalsekretär des „Club-231“ der ehemaligen politischen Häftlinge. Der Klub wurde auf administrativem Weg längst aufgelöst und seine Mitglieder als gewöhnliche „Kriminelle und Spione“ verfolgt. Brodsky wußte, was ihm blühte, und verließ das Land, als die fremden Panzer kamen. Jetzt lebt er in Kanada und schildert seine Gefängniserlebnisse in einem Tatsachenbericht unter dem Titel „Solution Gamma“ (Toronto, 1971).

Abschließend noch einige Worte über eines dei „interessantesten“ Opfer, über Jifi Lederer, der von einem Prager Gericht am 2. Februar 1972 zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Sein Verbrechen: „Verleumdung des sozialistischen Lagers und seiner Repräsentanten“. Das verleumdete Land war Polen!

Lederer war ursprünglich Sozialdemokrat und trat 1948 in die KP ein, von der er allerdings bald vollkommen desillusioniert war. Als Literaturkritiker und seriöser Journalist machte er sich einen guten Namen. Dann sah er sich gezwungen, den Journalismus aufzugeben und sich „wegen schwerer Depression“ in eine psychiatrische Klinik zurückzuziehen. Eine Zeitlang mußte er als Hilfsarbeiter seinen Lebensunterhalt verdienen, dann konnte er zum Journalismus zurückkehren. 1959 fiel er wegen einer Kritik wieder in Ungnade. Er kritisierte nämlich den nationalen Charakter der Tschechen. Obendrein hatte er es gewagt, den Einmarsch der Sowjettruppen im Jahr 1945 wahrheitsgetreu zu schildern. Als das Tauwetter begann, wurde Lederer Direktor der Hörerforschungsabteilung des Radios und des Fernsehens. Er bemühte sich um Objektivität und mied westliche Kontakte. Trotzdem: 1967 wurde Lederer wieder gefeuert. Er kam zur kulturellen Wochenzeitschrift „Lite-rarni Listy“, wurde eine hervorragende Figur des „Prager Frühlings“ und als solcher sehr populär. Da er in Polen studiert hatte und seine Frau eine polnische Jüdin ist, galt seine Hauptaufmerksamkeit Polen. Er schrieb kritische Artikel über das Gomulka-Reglme, was ihm nie verziehen wurde. Im November 1969 aus der Partei gestoßen, wurde Lederer im Jänner 1970 verhaftet. Nach drei Monaten hat man ihn dann freigelassen und wegen der Kritik an Gomulka verwarnt, obwohl das Regime in Polen inzwischen gestürzt war. Zum „unzuverlässigen Ahasver“ abgestempelt, wird Lederer hin und her geschoben, beschuldigt und verurteilt, freigelassen und wieder zur psychiatrischen Behandlung eingewiesen. An einem solchen Fall können alle „Sünden“ der Reformer vorexerziert werden. Mit Lederer wäre höchstens noch General Prchlik zu vergleichen, der im März 1971 verurteilt wurde. Der Paragraph 104 des tschechischen Strafgesetzes ist ja aus Gummi und paßt auf alle, die „den Staat und seine Repräsentanten öffentlich diffamieren“, die also unvorsichtig genug sind, die Sowjetinvasion und deren Folgen für die CSSR abzulehnen.

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