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Die Logik der Hölle

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In Wien lief kürzlich der französische Film „Das Geständnis", dem die Memoiren des ehemaligen stellvertretenden Außenministers Artur London zugrunde liegen. London war einer der drei Überlebenden im Prager Slänsky-Prozeß. 1956 rehabilitiert, schrieb er in Frankreich seinen Erlebnisbericht, dessen tschechische Ausgabe in Prag durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten vereitelt wurde. Der überaus packende Horrorfilm schildert die ans Unwahrscheinliche grenzenden, den Traditionen des Landes eigentlich völlig fremden Grausamkeiten gegen tschechische und slowakische Führungsmitglieder in den Schauprozessen der frühen fünfziger Jahre. Was sich im Film, trotz hoher künstlerischer Ambitionen, wie unglaubwürdige Knalleffekte eines Schundromans der Wirklichkeit ausnimmt, erweist sich nach der Lektüre der hier angezeigten Bücher als eine geradezu authentisch rekonstruierte Dokumentation.

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In Wien lief kürzlich der französische Film „Das Geständnis", dem die Memoiren des ehemaligen stellvertretenden Außenministers Artur London zugrunde liegen. London war einer der drei Überlebenden im Prager Slänsky-Prozeß. 1956 rehabilitiert, schrieb er in Frankreich seinen Erlebnisbericht, dessen tschechische Ausgabe in Prag durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten vereitelt wurde. Der überaus packende Horrorfilm schildert die ans Unwahrscheinliche grenzenden, den Traditionen des Landes eigentlich völlig fremden Grausamkeiten gegen tschechische und slowakische Führungsmitglieder in den Schauprozessen der frühen fünfziger Jahre. Was sich im Film, trotz hoher künstlerischer Ambitionen, wie unglaubwürdige Knalleffekte eines Schundromans der Wirklichkeit ausnimmt, erweist sich nach der Lektüre der hier angezeigten Bücher als eine geradezu authentisch rekonstruierte Dokumentation.

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Jiří Pelikán, Jahrgang 1923, Mitglied der ideologischen Kommission des ZK der KPTsch und mehrerer Parlamentsausschüsse, jahrelanger Vorsitzender des Internationalen Studentenverbandes, Leiter des tschechischen Fernsehens, dessen Wirken während des „Prager Frühlings“ und in den Wochen unmittelbar nach der Invasion unvergessen geblieben ist,, gelang es, ein Exemplar jenes umfassenden Berichtes sicherzustellen und ins Ausland zu bringen, den eine nach dem Jänner 1968 vom Zentralkomitee der KPTsch eingesetzte Kommission unter Mitwirkung eines breiten Kollektivs von Historikern, Juristen, Politologen und Wirtschaftswissenschaftlern verfaßt hatte. Aus bis dahin unzugänglichen Archiven und aus den Sitzungsprotokollen des Politbüros, jenes obersten Organs des zentralistischen Machtapparates, gewannen sie Einsicht in den Mechanismus des Systems und konnten so die 20 Jahre sorgsam verheimlichte Wahrheit über die Prozesse —• einschließlich des sowjetischen Anteils an ihnen — enthüllen. Die in dem Bericht enthaltenen Ungeheuerlichkeiten waren dazu angetan — wäre er dem ZK-Plenum vorgelegen und somit an die Öffentlichkeit gelangt —, die Autorität der Partei und so mancher ihrer Spitzenfunktionäre oder gar den Sozialismus an sich ernstlich zu erschüttern. Er wurde daher in streng geheimen Archiven unter Verschluß gehalten in der Hoffnung, daß er niemals veröffentlicht werden würde. Mindestens die Hälfte der an dem Bericht beteiligt gewesenen Kommissionsmitglieder wurde im Zug der Säuberungen aus ihren Partei- und Staatsfunktionen entfernt und völlig mundtot gemacht. Daher der Titel der Publikation: Das unterdrückte Dossier. Pelikán hat den Originaltext nicht verändert, sondern ihn nur mit Anmerkungen versehen. Überaus ergiebig sind seine 37 Seiten Vorwort und 20 Seiten Nachwort. Sie ergeben zusammengefaßt eigentlich einen Essay, der die innen- und außenpolitische Situation des Landes, seine Entwicklung vom Februar 1948 bis zur Okkupation im August 1968 und schließlich das Wesen des Sozialismus überhaupt analysiert. Ehrlichkeit und Objektivität, mit der er das tut, überzeugen. Selbst wenn man die politischen Prozesse als einen bloßen Teil „der großen und komplizierten Umwälzung, die auch positive Ergebnisse gezeitigt hat“, ansieht, meint Pelikán, so sind sie doch „zum Brand“ geworden, „der alle Glieder des tschechoslowakischen Lebens befallen hat, sie zerfraß und alles, was in diesem Organismus gleichzeitig an Gesundem vor sich ging, lähmte und zersetzte“. Sie führten zur gesellschaftlichen Krise, die 20 Jahre lang, bald verdeckt, bald sichtbar, schwelte, um im Dezember 1967 und im Jänner 1968 offen auszubrechen. Und Pelikán steigert seine unwiderlegbare Anklage zu der Frage: „Was für ein moralisches Recht hätten wir tschechoslowakischen Kommunisten, Thomas Masaryk als Präsidenten der Ersten Republik zu kritisieren und zu verurteilen, da doch während seiner Amtszeit — die keineswegs frei von Konflikten und Gegensätzen war —, in der kapitalistischen Tschechoslowakei, lange nicht so viele Kommunisten umgebracht wurden wie unter Gottwald im sozialistischen Staat?“ Pelikán ist auch überzeugt, daß der Bericht (mit seinen Einzelheiten über die Verantwortlichen und deren sowjetische Auftrag geber für das ganze System der physischen Vernichtung politischer Häftlinge und für die immer verzögerten Rehabilitierungen) „einer der Gründe für den militärischen Überfall auf die Tschechoslowakei“ war.

Pelikán wollte mit der Veröffentlichung der Dokumente dazu beitragen, „daß es nie wieder zu solchen Tragödien komme“. Doch bleiben Zweifel, denn er weiß: „Die neue Führung unter Husák fürchtet die Wahrheit ebenso wie die alte Führung unter Novotný“. Und wieder ist ein Verfolgungsmechanismus in Gang gekommen, der seine eigene Logik hat und von einer kleinen,

aber durch ihre Schlüsselpositionen im Partei- und Staatsapparat und in Verbindung mit den Besatzungsorganen mächtigen Gruppe gegen die führenden Repräsentanten und Konterrevolutionäre der Jännerpolitik angesetzt werden soll. Übrigens, folgert Pelikán, „gilt das Argument, daß die Sowjetunion heute keine Prozesse wünscht, nicht unbedingt“.

Im November 1952 schrieb das Zentralorgan der KPTsch, Rudé Právo: „Jeder ehrliche Mensch wird von Abscheu und Zorn geschüttelt beim Gedanken an die niederträchtigen und widerlichen Verbrechen des staatsfeindlichen Verschwörungszentrums mit Slánský, dem Auswurf der Menschheit, an der Spitze.“ Am 3. Dezember 1952 wurde der „Auswurf der Menschheit“, bis 1951 in höchsten Ehren stehender Generalsekretär der Partei und stellvertretender Ministerpräsident, Rudolf Slánský, nach einem Schauprozeß gehenkt. Am 14. Mai 1963 wurde er postum juridisch und bürgerrechtlich rehabilitiert. Nicht aber als Parteimitglied. Pavel Kohout hatte gut daran getan, die Witwe Josefa Slánská zu überreden, ihren weder literarisch noch politisch ambitio-

nierten Bericht über Aufstieg und Fall ihres Mannes, mit dem sie viele Jahre verbunden war, einfach als „kleine subjektive Wahrheit“ zu schreiben. Um so mehr glaubt man ihr, die — aus gutbürgerlichem Haus — von früher Jugend für die Kommunistische Partei gearbeitet hat und seit 1963 auch wieder Parteimitglied ist, alle ihre in Gefängnissen und Intemierungsbaracken erlittenen Qualen und Folterungen, ihre Erniedrigungen und Demütigungen, ihre körperlichen und seelischen Leiden in der Verbannung. Das Dunkel, das über dieser barbarischen Zeit und dem Fall Slánský liegt, kann freilich auch sie, die doch als unmittelbar Beteiligte eine Kronzeugin wäre, nicht erhellen.

Pavel Kohout ist ein beachtlicher Dramatiker. In seiner Bühnenallegorie August August, August ist ihm sogar neben dem komödiantischen Vergnügen eine auch im pbli- tischen Sinn bezwingende Parabel von der Zirkusmanege und dem großen Welttheater geglückt. Im Tagebuch eines Konterrevolutionärs ist er zum Chronisten der heißen Prager Augusttage geworden. Das Husák-Regime, das die Schriftsteller und Intellektuellen überhaupt im Lande bald züchtigt, bald lockt, bereitet dem unerschrockenen und mit ganzem persönlichen Einsatz engagierten Kohout Schwierigkeiten (Paßentzug, Publikationshindernisse usw.). Als eine Art innerer Abwehr gegen die heimischen Verhältnisse hat er die Prosapersiflage über Herrn Adam Juráček, Professor für Leibeserziehung und Zeichnen, verfaßt, dem es kraft seines Willens möglich ist, kopfabwärts an den Zimmerdecken spazierenzugehen und damit das Gravitationsgesetz des weiland Isaac Newton ad absur-

dum zu führen. Es entsteht darob einiger Aufruhr im Lande, der sogar den Ausnahmezustand hervorruft, indes Herr Juráček im Irrenhaus landet. Denn, so lautet eine der verkündeten Weisheiten und durchsichtigen Anspielungen, „eine vorzeitige Wahrheit ist unter Umständen schlimmer als eine Unwahrheit“. Und jeder merkt, wie Pavel Kohout nach allen Seiten augen- zwinkemd Hiebe austeilt, doch scheint uns das Ganze doch etwas weit hergeholt und nur mäßig witzig. Was auch für die doch auf die Dauer ermüdende Schreibweise gilt: seitenlang ohne Interpunktion, und die Sätze auf das Kurioseste zer- hackstückt. Beispiel: „…sein Lebend (nächste Zeile) gewicht 12 (nächste Zeile) 0 kg, so daß er imst (nächste Zeile) ande war…“ Man wünschte, der so sympathische Autor fände bald wieder zu einer ihm und uns gemäßeren und gedeihlicheren „Realität“.

DAS UNTERDRÜCKTE DOSSIER. Bericht der Kommission des ZK der KPTsch über politische Prozesse und „Rehabilitierungen“ in der Tschechoslowakei 1949 bis 1968. Herausgegeben von Jiři Pelikán. Europa-Verlag, Wien-Frankfurt- Zürich. 442 Seiten. S 200.—.

BERICHT ÜBER MEINEN MANN. DIE AFFÄRE SLÁNSKÝ von Josefa Slánská. Europa-Verlag, Wien. 253 Seiten.

WEISSBUCH IN SACHEN ADAM JURÁCEK kontra SIR ISAAC NEWTON von Pavel Kohout. Verlag C. J. Bucher, Luzern. 245 Seiten. S 135.—.

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