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Randhemerhungen zur woche

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EINE HINTERGRÜNDIGE ERSCHEINUNG IN DER DIESMALIGEN WAHL-BEWEGUNG war das Auftauchen einer angeblichen „Christliehsozialen Partei“, deren Auftreten mit bezeichnender Freundlichkeit von den heftigen ehemaligen Gegnern der alten Christlichsozialen begrüßt wurde, denn der Ankömmling, der sich mit dem Namen „christlichsozial“ schmückte, half ja Stimmen zersplittern. Eine Erklärung, unterschrieben von einem halben Hundert vornehmer Vertreter der einstigen Partei Luegers und Seipels, gewesenen Abgeordneten, Ministem, Verbandsleitern und Chefredakteuren, reißt den Falschmeldern die Maske herunter mit der Feststellung: „In jüngster Zeit hat es nun eine Handvoll Unberufener unternommen, zur Befriedigung ihres Ehrgeizes und ihres Machtanspruches der Bevölkerung das Wiedererstehen der Christlichsozialen Partei vorzutäuschen. Die Unterfertigten, die in der Christlichsozialen Partei an führender, oft an entscheidender Stelle gestanden sind, sehen sich verpflichtet, die Oeffentlichkeit vor dieser Täuschung zu warnen. Das Gebilde, das sich da jetzt unter dem Namen Christlichsoziale Partei in das öffentliche Leben Oesterreichs einschmuggeln will, hat mit der alten Christliehsozialen Partei nicht» zu tun. Ihre Träger bieten keine Gewähr, daß sie das christlichsoziale Programm verwirklichen könnten, ja nicht einmal, daß sie es wirklich kennen.“ Das genügt wohl. Es bedarf deshalb nicht der Bestätigung des Verdachtes, daß der erhebliehe Geldaufwand der Falsch-meider aus ganz weit links liegenden Quellen gespeist werde.

NENNEN WIR ES WINDSTILLE: Zum erstenmal seit mehr als zwei Jahrzehnten liegen, wie die Statistik beweist, die Lebenshaltungskosten mit Beginn des neuen Jahres nicht höher als zu Beginn des abgelaufenen. Aber nicht nur die Statistik — auch der tägliche Einkauf zeigt es. Es ist sicherlich noch zu früh, von Stabilität zu sprechen. Auf jeden Fall ist aber vorläufig eine Preisbewegung zum Stillstand gekommen, die beispielsweise den Weizenpreis von 31.70 S pro 100 kg im Jahre 1932 auf 38.40 S im Jahre 1938 und auf 200.75 S im Jänner 1952 klettern ließ. Im gleichen Zeitraum stieg Brennholz bis zum Jahre 1938 um 4% und neuerlich um 966% bis zum Jänner 1952. Seither sind nun bereits zwölf Monate vergangen, und man hat sich — trotz Budgetkrise und Budgeiprovisorium — an die „Windstille“ gewöhnt. Ja, sie fällt gar nicht mehr auf — und das ist ein gutes Zeichen. Erst der stürmische Wahlkampf erinnert wieder daran. Damit scheint ein wirtschaftliches Experiment gelungen zu sein, das beweist, daß in Oesterreich nicht nur Pläne geschmiedet, sondern diese auch in die Tat umgesetzt werden können. Freilich: die Probe aufs Exempel wird erst die nahe und fernere Zukunft geben.

..JETZT MÖCHTE ICH IHNEN EINE GESCHICHTE ERZAHLEN. Ich hatte einen Freund, der sich damals eigentlich als ein ganz guter Freund erwies... Eines Tages brachte er mich im Gespräch sehr in Verlegenheit, indem er zu mir sagte: ,JVotürlich haben wir es nicht leicht für unsere Weltanschauung zu werben, denn wir wenden uns an das Idealistische im Menschen, während ihr euch an das Egoistische wendet. Wir sagen dem Menschen, daß er nicht für sich selbst arbeiten soll. Wir appellieren an das Höhere in ihm. Wir sagen ihm, daß sein einziger Stolz der Stolz auf die Gemeinschaft sein muß, auf das Ganze, zu dem er gehört... Ihr aber sagt, du kannst tun, was du willst, der einzelne ist unbeschränkt frei. Ihr appelliert also an das Selbstische in ihm..“ Der Mann, der diese Geschichte unlängst erzählte, ist Präsident Eisenhower, und der „ganz gute Freund“, von dem er sprach, der Marschall Shukow. Eisenhower berichtete dann weiter, daß es ihm damals nicht möglich war, dem sowjetischen Heerführer, der seit seinem Ii. Lebensjahr in der bolschewistischen Religion erzogen wurde, begreiflich zu machen, wie die politische Lebensform der Amerikaner auf dem Glauben basiere an gewisse unzerstörbare Rechte, die alle Menschen von Gott erhalten haben. — Hierzulande würde es naheliegen, die Worte

Shukows zunächst zu vergleichen mit dem, was uns in eben vergangenen Jahren der Trommler des Führers verkündigt hat. So leicht sollten wir es uns aber nicht machen: es ist unzweifelhaft ein massiver echter Glaube an das Heil aus der sowjetischen Staatskirche, der sich hier ausspricht. Dem ein Wort aus einer anderen Heilswelt antwortet. Womit das Dilemma unserer Zeit selbst sich ausspricht: gerüstet mit Armeen, Schlagworten und einer in irrationalen Tiefen wurzelnden Ucberzeugung stehen sich die beiden gigantischen Blöcke gegenüber. Der Glaube an die „Demokratie“, so wie ihn der „Westen“ versteht, und der Glaube an die „Volksdemokratie“, so wie sie der Osten zu realisieren versucht. Mittler zwischen diesen feindlichen Glaubenssätzen scheint es so wenig zu geben, wie in den langen Jahrhunderten, in denen sich Calviner, Katholiken und Lutheraner unversöhnlich gegenüberstanden. Keiner wollte, konnte wohl auch nicht, ohne sein Selbstverständnis aufzugeben, von seiner eigenen Dogmatik lassen. Dennoch haben sie sich verhältnismäßig früh gefunden zu gemeinsamer Arbeit in Europa und auch darüber hinaus, weil sie sich als Starke gegenseitig respektieren mußten. Eine Lehre der Vergangenheit?

WIE VON EINEM GRELLEN LICHT GEBLENDET, schreckte die Welt vor fünf Jahren über die Prager Ereignisse des Februar 1948 auf. Sie begriff plötzlich, daß hier ein Stück des Abendlandes versank. Sie sah aber vorerst nicht, daß hier nur der letzte Akt eines Dramas abrollte. Die Schuld, die Schürzung des Knotens lagen weit zurück. Der Abschluß des tschechoslowakischsowjetischen Freundschaftspaktes durch die Londoner Exilregierung während des zweiten Weltkrieges, der Haltbefehl der amerikanischen Truppen in Böhmen, der der Roten Armee den Vortritt ließ, die Vertreibung eines Viertels der Bewohner unter den unmenschlichsten Bedingungen, die Ausrottung der konservativen Kreise des eigenen Volke»: all das war dem Februar 1948 vorausgegangen und -— vom Westen mit einem Acliselzucken zur Kenntnis genommen worden.

Es ist deswegen freilich nicht überflüssig, das Versagen der Liberalnatkmalen, der sogenannten „antimaxisttschen“ wie der bürgerlichen Kreise der Tschechoslowakei zu untersuchen. Was war in Prag zwischen dem 20. und dem 25. Februar vorgefallen: Mit der Demission von 12 der 26 Regierungsmitglieder wollte man einen Sturz der Konzentrationsregierung, der Regierung der Nationalen Front erzwingen. Gottwald, mit der Neubildung des Kabinetts betraut, sollte bei keiner der nichtkommunistischen Parteien Unterstützung finden, Benesch hierauf den Führer der stärksten Oppositionspartei mit der Bildung einer Mehrheitsregierung ohne Kommunisten betrauen. Aber die Rechnung war ohne den Wirt gemacht worden: Gottwald demissionierte nicht, sondern legte dem Staats-präsideyiten lediglich seinen Vorschlag auf Ergänzung seines Kabinetts vor und erzwang die Erfüllung seiner Forderungen. Man hatte geglaubt, mit parlamentarischen Spielregeln, mit ein paar geschickten Schachzügen gegen die Kommunisten etwas ausrichten zu können. Jan Masaryk, der einfach erklärte, als Fachminister von diesen Parteizwistig-keiten nicht betroffen zu werden, mußte als erster seinen tragischen Irrtum büßen. Aber auch die drei bürgerlichen Parteien, die sich der Koalition mit den Kommunisten zu entziehen versucht hatten, sahen sich von Staatspräsident Benesch in Stich gelassen und verraten, und vollends die Sozialdemokraten verschleppten die Lösung des Konfliktes so lange, bis es den Kommunisten gelungen war, die bewaffneten Werkmilizen in Prag aufmarschieren zu lassen und den Generalstreik zu proklamieren. — Freilich, selbst toenn es im Februar 1948 gelungen wäre, den Totalitätsenspruch der tschechischen Kommunisten abzuwehren — im günstigsten Falle wäre ein tschechoslowakischer Titoumus die Folge gewesen. Das Ausbrechen aus der abendländischen Gemeinschaft war schon lange vorher eine Tatsache. Und es bleibt lediglich die Hoffnung, daß der „Fall von Prag“, wie schon mehrmals in der jüngeren Geschichte (1945, 1943, 1939 und vielleicht schon 1918!) dem Westen die Augen geöffnet hat...

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