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Ein Kronzeuge sagt aus

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AUS DEM TAGEBUCH EINES KONTERREVOLUTIONÄRS. Von Pavel Kohout. Mit 24 Graphiken von Pravoslav S ov äk. Verlag C. J. Bucher, Luzern-Frankfurt/M. 295 Seiten. DM 25. — 3 THEATERSTÜCKE mit Prolog, Epilog und Intermezzi. (So eine Liebe. Reise um die Erde in 10 Tagen. August August, August). Von Pavel Kohout. Verlag C. J. Bucher, Luzern-Frankfurt/M. 304 Seiten. DM 14.80.

In der Geschichte der Tschechen und Slowaken sprachen ihre Dichter, ihre Schriftsteller — wenn die Politiker zum Schweigen gebracht wurden oder das Vertrauen der Menschen enttäuscht hatten — im Namen des Volkes, als Gewissen des Volkes. Daher ihre große Autorität und ihr Ansehen, daher auch ihre bedeutende Rolle in der jüngsten Entwicklung der beiden kleinen Völker. Der Prager Pavel Kohout (Jahrgang 1928) ist ein besonders typischer Repräsentant jener gesellschaftlich und politisch engagierten tschechischen Intelligenz. Sein bisheriges literarisches Oeuvre umfaßt zwei Gedichtsammlungen, 15 Theaterstücke und Bearbeitungen, 10 Filmdrehbücher und ein Prosawerk. „Ich gehöre einer Generation an, die erst 40 Jahre ist und die es dennoch fertiggebracht hat, drei Systeme zu erleben: den Kapitalismus, den Faschismus und den Sozialismus. Den Sozialismus sogar in vier Abarten: einer revolutionären, einer deformierten, einer erneuerten und einer normalisierten.“ Mit Siebzehn wurde Kohout Kommunist in der Überzeugung, „daß das einzige Mittel gegen Elend und Verrat die sozialistische Revolution sei“. „Vater unser...“, flehte der Siebzehnjährige Ende Februar 1945 (wie im „Tagebuch“ zu lesen steht), „Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel..., führe bald zu uns, die über die Erde fahren, und segne, o Herr, ihre Panzer, auf daß der Stern aus dem Osten wie der von Bethlehem unsere Nacht erhelle, Amen.“ — Er warb mit Gedichten, rezitierte seine Verse auf Straßen und Plätzen.

Dem Lyriker, dem Idol der Jugend, folgte der Redakteur bei Rundfunk und Fernsehen, bei Literaturzeitschriften, folgte der Kulturattache in Moskau. Kohout engagierte sich gegen Slansky und Tito, schrieb Hymnen auf Stalin, den er später verdammte, pries Chruschtschow, von dem er sich wieder abwandte, bekannte sich in einer inszenierten „Gerichtsverhandlung“ vor Zwanzigjährigen angesichts der drängenden Frage: Was soll man euch noch glauben? offenherzig zu seinen vergangenen Irrtümern und verwies auf seine Läuterung. Im Frühjahr 1967 umriß er sein Bekenntnis zur echten Demokratie: „Ich will mein Möglichstes dazu i tun, damit immer alle Meinungen nebeneinander bestehen können. Damit die Kraft der Argumente siegt.“ Kohout war es, der auf dem IV. Schriftstellerkongreß Ende Juni 1967 den berühmten Brief Alexander Sol-schenizyns verlas und mit dem Appell des russischen Dichters: „Eine Literatur, die nicht von den Nöten und Sorgen ihres Volkes berichtet, verliert den Anspruch, Literatur genannt zu werden“, den ersten Sturm gegen die Zensur entfesselte. Kohout war es, der die von Hunderttausenden gutgeheißene „Botschaft der Bürger“ vor der entscheidenden Konferenz in Schwarz-au an der Theiß verfaßt hatte: „Verhandelt, erklärt, aber verteidigt einmütig und kompromißlos den Weg, den wir eingeschlagen haben und von dem wir lebend nicht abgehen ...“ Im Herbst 1968 fand er nach den Prager Ereignissen in einer internationalen Diskussion auf die Frage nach der glücklichsten Synthese von Macht und Geist die knappste und überzeugendste Antwort: „Wenn die Macht denkt.“ Aber die Versöhnung von Geist und Macht, wie sie im „Prager Frühling“ eine kurze Zeit lang vollzogen schien, wurde jäh unterbrochen und schließlich in ihr Gegenteil verkehrt. Längst schon gelten die Reformer als „rechtsopportunistische“, „antisozialistische“ und „konterrevolutionäre“ Elemente, die für alles, von der wirtschaftlichen Misere und der Untergrabung der Staatssicherheit bis zur notwendig gewordenen Invasion verantwortlich gemacht werden. Die Maßnahmen gegen sie folgten der schrittweisen Demolierung der von ihnen angestrebten Form eines humanen Sozialismus: Verwarnungen, Drohungen, Ausschluß aus der Partei, Aberkennung der Staatsbürgerschaft, (sofern sie im Ausland verblieben), Abnahme des Reisepasses und Ausreiseverbot. Auf Pavel Kohouts langem Sündenregister stand sogar, die Selbstverbrennung Jan Palachs mitangestiftet zu haben. Sie haben nicht begriffen, wendet sich Kohout in seinem „Tagebuch“ gegen die heutigen konservativen Machthaber, „daß wir die treuesten Verbündeten jeder Regierung“ sein wollten, „die reine Absichten und Hände hat“. Um der Jugend das Denken und Handeln der Progressiven vom Frühling 1945 bis zum Frühling 1969 erklären zu helfen, schrieb Kohout sein Stück Autobiographie mit dem bitter-ironischen Titel Aus dem Tagebuch eines Konterrevolutionärs. Darin sind drei Tagebücher gleichlaufend ineinander verarbeitet. Das eine beginnt 1945, als der Siebzehnjährige im noch immer kämpfenden Prag einen Panzer erblickte, von dem er den Tod erwartete. „Aber es war ein Stern darauf. Es kam das Leben.“ Es sollte eine Ära der Gewaltlosigkeit und der Vernunft kommen — so dachte seine Generation. Es kamen Enttäuschungen und Apathie. Das Rom-Tagebuch bringt die Erlebnisse des Italienreisenden vom 21. bis zum 23. August

1968 (Kohout befand sich während der bitteren Augusttage im Ausland). Diese beiden Tagebücher sind erfunden, sind eher Novellen, in denen der Erzähler als ein Mensch auftritt, dem der Autor „nur zu ähnlich ist“. Mag hiet allzuviel Privates bisweilen störend wirken, so identifiziert sich Kohout im zweiten, dem authentischen Tagebuch mit dem, der darin enthüllt und kommentiert. Ein in die Ereignisse zutiefst verstrickter Kronzeuge berichtet leidenschaftlich und schonungslos über die Zeit vom Frühling 1908 bis zum Frühling

1969 und übertrifft bei weitem alle die zahlreichen (oft nur von Außenstehenden) verfaßten Dokumentationen und Deutungen. Zwingend die Prägnanz, mit der er seine Gesprächspartner (zum Beispiel Dubeek, Cernik, Smrkovsky, Sik, Vaoulik und andere) charakterisiert und den Tenor der Unterhaltungen wiedergibt. So enthält schon etwa das ebenso subjektiv wie distanziert gesehene Bild, das der Autor von Alexander Dubcek entwirft, etwas von der Tragik um diese wohl im Ansatz zum Scheitern ver-urteüte Schlüsselflgur der Reform: „Er trug sein ewig verlegenes Lächeln, als ob er sich sogar auf den Tribünen und auf den Bildschirmen dafür entschuldigen wollte, daß er existiert, also auch stört“ — „AD wurde zu einem politischen Weltstar, dem man es zu sagen vergaß.“ Mit welcher Lebendigkeit schildert er den Auftakt zur Reformbewegung auf der Riesenversammlung in der großen Prager Kongreßhalle am 20. März 1968. Wie scharfsinnig analysiert er in einem Kapitel Vaculiks vielverleumdetes „Manifest der 2000 Worte“, das man völlig zu Unrecht als antisozialistisches Dokument aufgefaßt hat. Wie überzeugend deckte er den Kardinalfehler der Reformer auf, die in ihrem Hochgefühl die strategische Position des Landes in der sozialistischen Welt unterschätzt und völlig übersehen hatten, daß die Tschechoslowakei „ein bloßer Bauer auf dem Schachbrett der Welt“ ist, wo • sich „der erbarmungslose Kampf der Könige abspielt“. Der geborene Dramatiker wird in ihm lebendig, wenn er mit unverhohlenem Sarkasmus den berühmt-berüchtigten vierten Schriftstellerkongreß zur „Hendry-chiade, Tragikomödie in fünf Akten mit Prolog und Epilog“ umformt oder aus einer offiziell gegen ihn angezettelten schikanösen Zollkontrolle an der Westgrenze ein Filmdrehbuch macht.

Der im Osten wie im Westen gleich erfolgreiche Dramatiker Pavel Kohout liebt das Theater über alles, weil es ihm ein Mittel ist, „nach dem Sinn des Lebens zu suchen, und zugleich eine Art, mit dem Leben umzugehen“. Er fühlt sich durchaus nicht als Politiker, sondern ist dann am glücklichsten, wenn er ein Stück schreiben, inszenieren oder seiner Premiere beiwohnen kann. Am Ende des Tagebuches gibt es eine bezeichnende Szene: Kohout ist heimgekehrt in das besetzte Prag, in die leblose Stadt, die erfüllt ist von Trauer und Mutlosigkeit. Im Weinberger-Theater spielt man sein Stück „August August, August“. Wie er sich an die Logenbrüstung lehnt, den gewohnten leisen Gruß von der Bühne erwidert, da schließt er die Augen: „Erst jetzt war ich richtig zu Hause.“ Im Theater, „seiner zweiten Heimat“. Die 3 Stücke in dem Band sind umrahmt von einem Dialog des Autors mit dem Zuschauer und Leser. So eine Liebe gehört zu den meistgespielten Bühnenwerken des Gegenwartstheaters. In Form eines fiktiven Verhörs wird eine tragische Liebesaffäre noch einmal aufgerollt und stückweise vorgespielt: Spannendes Suchen nach den wahren Motiven menschlichen Handelns, Jagd auf Denkklischees, Vivisektionen an Seelen. Der Erfolg (namentlich in Ländern des Ostblocks) mag als Reaktion gegen den sogenannten „Sozialistischen Realismus“ und in der Besinnung auf das Private, das zuinnerst Menschliche unserer Existenz zu sehen sein. In der Dramatisierung von Jules Vernes Reise um die Erde in 80 Tagen zielt Kohout in kabarettistisch-satirischer Weise vor allem auf den britischen Traditionalismus, die konservative Selbstsicherheit. — Den aktuellsten Bezug hat jedoch seine faszinierende Zirkus-feerie August August, August. Der ewig geprügelte, ewig unbelehrbare Clown in der Zirkusmanege gleicht dem ewig unterdrückten, ewig unbelehrbaren Menschentraum im großen Welttheater.

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