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Vergeßlichkeit

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Pavel Kohout, der in Wien lebende tschechische Dramatiker und Romancier, hat ein neues Buch geschrieben: „Wo der Hund begraben liegt“. Einen ,Memoir-roman“ nennt Kohout sein Werk, das an die Erinnerungen „Aus dem Tagebuch eines Konterrevolutionärs“ anschließt. Das Buch liest sich gut, und man erfährt viel über die Situation eines Intellektuellen im „realen Sozialismus“ der CSSR.

Auf Seite 158 aber bin ich über einen Satz gestolpert, der mich nachdenklich gemacht hat. Da schreibt Kohout: , Nichtsdestoweniger bleibt das Massengasmord-fließband das deutsche Un-denkmal dieses Jahrhunderts, so wie Pearl Harbour das japanische, Hiroshima das amerikanische und der Archipel Gulag das der Sowjetunion. Und was wird an uns Tschechen erinnern? Schwejk, der seine Witze am lautesten dann erzählt, wenn seine gefolterten Landsleute um Hilfe rufen.“

Nichts gegen Schwejk, aber Pavel Kohouts Erinnerungsvermögen scheint etwas unterentwickelt zu sein. Die Tschechen und Slowaken haben schon etwas aufzuweisen: Zum Beispiel Vertreibung von drei Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg unter grausamsten Bedingungen. 1945 war Pavel Kohout 17 Jahre alt und aktiver Jungkommunist. Da müßte er doch etwas mitgekriegt haben?

Es geht hier nicht um eine Aufrechnung von Schuld, und die Kasuistik von Ursache und Wirkung wird hier durchaus beachtet — aber so leicht wie Kohout sollte man sich eine Gewissensfrage dennoch nicht machen.

Im Londoner Exil hat Eduard Benesch schon Anfang der 40er Jahre die Vertreibung der Deutschen angestrebt und in London offene Ohren gefunden: ,£)em Präsidenten Benesch bleibt also die geschichtliche Verantwortung für die Entstehung eines Vertreibungs-Syn-droms, das dann nicht nur die Sudetendeutschen, sondern alle Deutschen östlich von Oder und Neiße befiel ...“ Das schreibt der amerikanische Völkerrechtler Alfred M. de Zayas.

Wenn Eduard Benesch das Münchener Abkommen als Anlaß für die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nahm, so war die Grenzziehung beim Friedensvertrag von St. Germain sicher auch eine Ursache für das Münchener Abkommen ...

Die Weltöffentlichkeit hat damals die Entwurzelung von drei Millionen Menschen ziemlich leichtfertig entschuldigt.

Vom Fluch der bösen Tat, die fortwährend Böses gebärt, spricht Friedrich Schiller.

Da liegt der Hund wirklich begraben.

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