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Wo Kohouts Hund begraben liegt

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Der tschechische Dramatiker berichtet in dem Buch über seine Jahre nach Ende des Prager Frühlings, in denen er nicht publizieren durfte und unter ständiger Beobachtung lebte.

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Der tschechische Dramatiker berichtet in dem Buch über seine Jahre nach Ende des Prager Frühlings, in denen er nicht publizieren durfte und unter ständiger Beobachtung lebte.

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Pavel Kohouts neues Buch „Wo der Hund begraben liegt“ schließt an sein „Tagebuch eines Konterrevolutionärs“ an, in dem er seine Entwicklung vom jugendlichen Stalin-Bewunderer zum Regime-Kritiker, die Ereignisse von 1968 und in den folgenden Jahren schilderte. Ein dritter Teil dieser Lebens-Trilogie über die Erfahrungen im Westen ist geplant.

Im Jahr 1979 wurde Kohout nach einem offiziell genehmigten Auslandsaufenthalt nicht mehr in die CSSR eingelassen, in das Land, „wo der Hund begraben liegt“. Dieser Hund ist für den Erzähler der Ansprechpartner. Und gleichzeitig das — glücklicherweise einzige — Todesopfer eines spannenden Krimis, der den Hauptteil des umfangreichen Werkes ausmacht.

Als zum zehnjährigen Jubiläum des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR die Geheimpolizei „gefährliche“ Kritiker unauffällig unter Polizeischutz zu stellen versuchte, tat sie dies (so sieht es jedenfalls Kohout) mit Hilfe von Erpresserbriefen, die ihn und seine Familie bedrohten. Eine utopische Summe sollte an einem bestimmten Ort hinterlegt werden. Kohout mußte die Kriminalpolizei um Schutz bitten, und diese trat mit großem Einsatz in Aktion. Um das Spiel nicht zu schnell zu Ende zu bringen, steigerten die Erpresser ihre Drohungen, die Polizei mußte ebenfalls ihren Schutz verstärken. Kohout vermutet mit guten Gründen, daß die „offizielle“ Kriminalpolizei von der Erpresser-Aktion nicht informiert war, da sie sonst nicht glaubwürdig hätte agieren können. Vermutlich arbeiteten also zwei Exekutivorganisationen gegeneinander — vielleicht an der Spitze gemeinsam gelenkt.

Der Autor und seine Freunde lernten, sich in dem verbliebenen Freiraum einzurichten, sie studierten die Gesetze, die sie besser kennen mußten als ihre Bewacher, und Kohout schrieb regelmäßig präzise belegte Berichte an den Staatspräsidenten. Diese wurden zwar nie beantwortet, hätten sie aber unrichtige Behauptungen enthalten, wäre vermutlich eine Anklage gegen ihn wegen Verleumdung von Staatsorganen erfolgt.

Die Früchte seines dokumentierenden Fleißes konnte Kohout nun in seinem Buch verwenden, das unzählige Fakten enthält, die dem Kenner glaubhaft erscheinen, für andere Lesestoff über ein merkwürdig fernes Land bieten mögen. Einen der Handlungsfäden des Buches stellt die langsame, aber unausweichliche Vereinsamung der kleinen Gruppen dar, während ringsum die Anpassung fortschreitet. Auch Schriftsteller-Kollegen üben Selbstkritik, und die Leute von der „Charta 77“ werden allmählich lästig, weil sie mit ihrer Existenz eine lebende Mahnung sind. Auch für weite Kreise im Westen werden sie lästig - oder langweilig.

Mancherlei Gruppen von Linksintellektuellen fühlten sich in ihren Träumen gestört. Kohout berichtet von einem bundesdeutschen Dramaturgen, der ihn besuchte und der einige Tage festgehalten und verhört wurde. Der behielt diese Erfahrung für sich, um die Illusionen vom real existierenden Sozialismus nicht zu stören. Trotz vieler hilfreicher Gesten von Persönlichkeiten wie Heinrich Boll, Willy Brandt, Arthur Miller, machte er die Erfahrung, „daß deutsche Intellektuelle sich besonders willig vom Dämon der Zustimmung zu Ansichten verleiten lassen, die ihnen genügend laut angepriesen werden; sie betreiben auch antiautoritäre Erziehung autoritär, und sogar für den Frieden treten sie ein, als führten sie Krieg“.

So war von Kollegen wie Bernt Engelmann oder Peter Chotjewitz keine Solidarität zu erwarten, wie ja auch die Exilschriftsteller in der Emigration nicht immer so agierten, wie die Daheimgebliebenen gehofft hatten.

Aber für Kohout gab es auch die Erfahrung der Annäherung an „Klassenfeinde“. Am deutlich- “ sten wurde dies in der Freundschaft Kohouts mit Vaclav Havel, der eine großbürgerliche Vergangenheit hat. Da heißt es: „In der Versöhnung von Menschen unterschiedlicher Ansichten, verwirklicht auf der Basis der Bürgerund Menschenrechte, wird die Möglichkeit eines historischen Kompromisses der tschechoslowakischen Gesellschaft deutlich; es wird zugleich eine Deklaration ihrer moralischen Elite gegen jede Art von Gewalt, also auch gegen den Krieg.“ Das Buch ist keine Abrechnung, sondern ein Spiegel menschlicher Schwächen unter unmenschlichem Druck. Ein Kriminal- und Schelmenroman, gleichzeitig eine Sammlung kaum glaublicher Absurditäten und das Dokument einer mitteleuropäischen Wirklichkeit: die böhmische Heimat, „wo der Hund begraben liegt“, den die Erpresser vergiftet haben.

WO DER HUND BEGRABEN LIEGT. Von Pavel Kohout. Verlag Albrecht Knaus, München. 528 Seiten, geb., öS 328,-.

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