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Das Martyrium der Otta Bednarova

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Seit die ehemalige Fernsehjournalistin Ende Mai vergangenen Jahres verhaftet und im Oktober 1979 in einem grotesken Schauprozeß vom Prager Stadtgericht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde (der Oberste Gerichtshof der (ÜSSR bestätigte das Urteil im Dezember 1979) hat sich der Gesundheitszustand Bednarovas rapide verschlechtert.

Jetzt scheint sogar das Leben der 53jährigen Bürgerrechtlerin ernstlich gefährdet. In der letzten Zeit hat sie ein Drittel ihres Gewichtes verloren: sie ist 1,67 Zentimeter groß, aber bis auf 47 Kilogramm abgemagert.

Entsetzt stellte Bednarovas Mutter fest, nachdem sie ihre Tochter in diesem physischen Zustand im Gefängnis von Opava antreffen mußte: „So haben die Leute ausgeschaut, die fünf Jahre im Konzentrationslager hatten zubringen müssen."

Die zuständigen Behörden, an die die Angehörigen Otta Bednarovas wiederholt appellierten, die Krankheit der Bürgerrechtlerin zu berücksichtigen, stellten sich solchen Aufrufen gegenüber taub: Bednarova muß in Opava dieselbe Arbeit wie alle anderen Gefängnisinsassinnen verrichten.

Dabei ist den Behörden der miserable Gesundheitszustand Bednarovas nicht unbekannt:

Nach einer Untersuchung im Prager Gefängnis-Krankenhaus Pankrac empfahlen ihr die Ärzte, sich an ihrer Gallenblase operieren zu lassen. Otta Bednarova weigerte sich. Sic fürchtete, aufgrund ihrer physischen Erschöpfung und allgemeinen Schwäche eine solche Operation nicht überleben zu können. Worauf sie die Ärzte für gesund erklärten und sie ins Gefängnis von Opava zurückbringen ließen, wo die schwerkranke Frau acht Stunden täglich an einer Nähmaschine arbeiten muß.

Am 3. Juli wies das zuständige Gericht von Opava ein dringendes Gesuch Bednarovas zurück, in dem sie die Aufhebung ihrer Gefängnisstrafe wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes forderte.

CSSR-Präsident Gustav Husak, an den die Mutter Bednarovas ein Gnadengesuch richtete, kümmerte das Schicksal der schwerkranken Bürgerrechtlerin anscheinend gleich gar nicht. Das Büro des Staatspräsidenten reichte das Gesuch aus unerklärlichen Gründen an das Justizministerium weiter. ..

So geht auch das Martyrium der Otta Bednarova weiter, kommen immer neue Stationen auf ihrem Leidensweg hinzu.

Begonnen hat es damit, daß die Fernsehjournalistin, die durch sogenannte „Problemsendungen" bekannt geworden war, in denen sie die zwischenmenschlichen Beziehungen möglichst wahrheitsgetreu darzustellen versucht hatte, 1970 ihren Arbeitsplatz verlor. Sie fand danach nur eine Anstellung als Putzfrau.

Die schwere körperliche Arbeit aber machte ihr gesundheitlich zu schaffen und sie erlitt einen leichteren Schlaganfall. Zwei Jahre später wurde ihr dann auch eine Invalidenrente zuerkannt.

Das politische Engagement Bednarovas war den kommunistischen Machthabern natürlich stets ein Dorn im Auge und sie reagierten darauf auch mit Schikanen aller Art - obwohl sie um ihre schlechte Gesundheit wußten:

• Als Bednarova die Charta 77 unterzeichnete, wurde sie mehrere Male verhaftet und ihr Telefon stillgelegt.

• Als sie das „Komitee zur Verteidigung zu Unrecht Verfolgter" (VONS)

„Die Behörden stellten sich Appellen der Angehörigen Bednarovas gegenüber taub, obwohl sie vom miserablen Gesundheitszustand der Bürgerrechtlerin wußten."

mitbegründete, folgten zwei Hausdurchsuchungen. Wenig später, im Juli 1978, wurde ihr die Invalidenrente wieder gestrichen, ihr Gesundheitszustand hatte sich freilich keineswegs gebessert.

Im Dezember 1978 wurde sie auf dem Weg zu einem Konzert überfallen und in der Folge eine strafrechtliche Verfolgung wegen „Verleumdung der Staatsorgane" gegen sie eingeleitet.

Den entscheidenden Schlag gegen Bednarova und andere VONS-Mitglie-der setzte das Regime bekanntlich am 29. Mai 1979: Angehörige der Staatspolizei drangen damals um fünf Uhr früh in die Wohnungen der Bürgerrechtler ein, durchwühlten die Zimmer bis in die kleinsten Winkel nach belastendem Material und verhafteten die VONS-Aktivisten.

In einem Schnellverfahren ging dann im Oktober 1979 der Prozeß gegen die Bürgerrechtskämpfer in Prag über die Bühne. Aber obwohl es weltweite Proteste gegen das Vorgehen der tschechoslowakischen Behörden hagelte, verhängte das Prager Stadtgericht drastische Urteile. Politische Beobachter fühlten sich in die Zeit der Schaupro-

zesse der fünfziger Jahre zurückversetzt.

Während des Prager Prozesses war es Bednarova verboten worden, ihre Stellungnahme zur Anklage laut zu verlesen. Der Text wurde zu den Akten gelegt. Erst jüngst ist eine Abschrift dieser Stellungnahme auch an die Öffentlichkeit gelangt. Darin heißt es unter anderem:

„Mit eigenen Augen und Ohren habe ich mich überzeugt, wohin ähnliche Anklagen führen. Ich habe gesehen, auf welche Weise solche Anklagen angefertigt und konstruiert werden, welche Klischees man dabei verwendet, wie die Menschen - seien sie nun Angeklagte, Zeugen oder Richter - dabei manipuliert werden.

Aber ich habe auch erlebt, wie diese Anklagen samt ihren Schöpfern zusammenbrechen. Ich bin nämlich 1962 bei den öffentlichen gerichtlichen Rehabilitationen dabei gewesen. _ Es hat mich interessiert, warum in den fünfziger Jahren unschuldige Menschen sich zu Taten bekannten, die sie nie begangen hatten, warum die Zeugen Aussagen gemacht hatten, die sie später verzweifelt widerriefen.

Warum hatten die Richter Urteile gefällt, die sie später bitter bereuten und warum entschuldigten sie sich bei den Betroffenen und ihren Angehörigen? Es ist damals um Freiheits-, aber auch um Todesstrafen gegangen. Auch unser Präsident Gustav Husak war ein Opfer dieser Zeit.

Damals habe ich zu all dem geschwiegen und das quält mich heute noch ... Damit ich ruhig schlafen und leben kann, habe ich mir geschworen, auf dieser Welt nie wieder gleichgültig zu sein. Mein Versprechen werde ich halten, koste es was es wolle ..."

Ihr Versprechen hat Otta Bednarova zwar gehalten, ruhig schlafen und leben kann sie aufgrund ihrer schweren Krankheit aber dennoch nicht - schon gar nicht im Gefängnis. Und man fragt sich, ob die Bürgerrechtlerin für ihr politisches Engagement, für ihr mutiges Auftreten während des Prozesses und im Gefängnis buchstäblich mit dem Leben bezahlen muß.

Ein Appell ihrer beiden Söhne an UN-Generalsekretär Kurt Waldheim und das Internationale Rote Kreuz lassen jedenfalls das Schlimmste befürchten. Dort heißt es unter anderem auch: „Wir fürchten um ihr Leben ... sie ist am Ende ihrer physischen Kräfte." Und weiter: „Wir appellieren an Sie: Helfen Sie unserer Mutter!"

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