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Die Panzerdemokratie rollt

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Husäks gewaltsame „Konsolidierung“ forderte Ende 1971 und Anfang 1972 zahlreiche Opfer unter der Intelligenz des Landes. Die Liste der Bezichtigungen ist lang und sie reicht von „staatsfeindlicher Tätigkeit“ bis zur „Spionage“. Die meisten der verhafteten Prominenten waren jedoch nur in der Reformbewegung von 1968 aktiv tätig gewesen. Daß schwere exemplarische Urteile zu erwarten sind, ist aus den Paragraphen des Strafgesetzbuches ersichtlich, denen zufolge Strafen von zehn Jahren Gefängnis bis zur Todesstrafe verhängt werden können. Die niedrigste Strafe kann bei äußersten Milderungsumständen nicht weniger als drei Jahre Gefängnis betragen.

Die hysterische Verhaftungswelle widerspricht der kürzlichen Vorwahlpropaganda, in welcher behauptet wurde, daß der „Konsolidierungsprozeß“ mit vollem Erfolg beendet worden sei. Nach den frisierten und kosmetisierten Wahlen, die nach bewährter Diktaturtradition 99,8 Prozent für die Nationale Front hervorzauberten, jubelten die Regimevertreter und sprachen von „Feuer einstellen!“. Dennoch gerieten seither immer noch viele Prominente der Intelligentsia unter die Raupenketten der Prager Panzerdemokratie. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt. Manche Quellen sprechen von mehreren Hunderten. Zweifellos sind die im folgenden genannten 13 Intellektuellen die „interessantesten“ Opfer, da sie zu den „Reformern“ gehört haben. Daß sie von übereifrigen Propagandisten und Funktionären des Regimes einfachheitshalber als ,.kriminelle Elemente“,

„Parasiten“ und „politische Missetäter“ apostrophiert werden, weist nur auf die einfältige Phantasie-losigkeit der gutbezahlten Schergen. Viele Leute glauben in der CSSR, daß die Verhaftungswelle am Vorabend der Prager sowjeteuropäischen Gipfelkonferenz den Besatzern und den Gästen vor Augen führen sollte, wie stark das Husäk-Regime sei.

Die verhafteten Intellektuellen gliedern sich in vier Gruppen. Zur ersten Gruppe gehören der Soziologe Rudolf Battek; der Historiker Jan Tesaf; der Philosoph Ladislav Hejdanek und der protestantische Pastor Jaromir Dus\ Sie sollen Flugblätter vor den Novemberwahlen angefertigt und verbreitet haben, um die Bevölkerung zum aktiven Widerstand zu ermuntern.

Battek (48) war Berufssoziologe beim aufgelösten Soziologischen Institut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. 1968 war er Stellvertretender Vorsitzender des Klubs der nichtkommunistischen Verfolgten, von Juli 1968 bis November 1969 Mitglied des Tschechischen Nationalrats. Er hat schon 13 Monate im Gefängnis verbracht.

Jan Tesaf (39) war als Historiker am (liquidierten) Historischen Institut der Akademie tätig, wo das Schwarze Buch über die ersten Wochen der Okkupation verfaßt wurde. Die Wut der Okkupanten zog er damit auf sich, daß er 1968 über die Tätigkeit der „Sowjetratgeber“ in den fünfziger Jahren ausführlich berichtet hatte. Er wurde bereits im September 1969 verhaftet, doch im Oktober 1970 wieder freigelassen.

Hejdanek (45) ist Philosoph und

Soziologe. Seine Sünde? Zahlreiche reformistische Artikel, die 1968 in vier Zeitungen erschienen.

Dus (33) ist ein protestantischer Pastor, der im Jahre 1968 seinen Freund Ludek Pachman nach Holland begleitet hat, um dort für die Reformbewegung zu werben.

Die zweite Gruppe wurde in den letzten Novembertagen des Jahres 1971 wegen angeblicher Verbreitung regimefeindlicher Flugblätter arretiert. Zwei bekannte Mitglieder: der liberale Brünner Politiker Jaroslav Sabata und der Studentenführer Jifi Mueller. Mehrere Mitglieder der Familie Sabata befinden sich ebenfalls in Haft.

Sabata (45) war eine treibende Kraft der Liberalisierung in der südmährischen Region, also in Brünn und

Umgebung. Nach der Machtübernahme durch die Invasoren wurde er aus der Partei ausgeschlossen und in Radio und Presse wiederholt angegriffen.

Mueller war schon 1965 ein Wortführer der Reform. 1966 hatte man ihn aus dem Jugendverband ausgeschlossen, von der Prager Technischen Hochschule entfernt und zur Armee einberufen. Im März 1968 wurde er wieder zum Studium zugelassen, aber der extreme Dogmatiker Unterrichtsminister Jaromir Hrbek sorgte 1970 dafür, daß Mueller nicht graduieren konnte.

Ende Dezember 1971 und in den ersten Tagen des Jänner 1972 wurde die dritte Gruppe ausgehoben. Drei große Namen fanden sich unter den Verhafteten: der frühere Direktor der Prager Parteiuniversität Milan Huebl; der populäre Radiokommentator Karel Kyncl und der international hochgeschätzte Journalist Ludek Pachman. Über ihre „Verfehlungen“ wurde bisher nichts mitgeteilt.

Huebl (45) war ursprünglich Historiker. Als Stellvertretender Rektor der Parteiuniversität mußte er 1964 auf Novotnys Befehl den Abschied nehmen. Bis April 1968 arbeitete er dann im Historischen Institut der Akademie. Dann wurde er zum Rektor der Prager Parteiuniversität ernannt, womit er zur Schlüsselfigur des Erziehungssystems der KP geworden ist. 1969 verlor er alle Posten, später wurde er sogar aus der KP ausgeschlossen. Er wurde nach längerer Arbeitslosigkeit Bauarbeiter in Prag.

Kyncl (45) war als eher „orthodoxer“ Korrespondent des Senders Prag zwischen 1962 und 1968 in New York tätig. Als er zum Prager Fernsehen versetzt wurde, wurde er zum „prominenten Reformer“. Kyncl verurteilte die Sowjetokkupation und griff den späteren allmächtigen Parteiführer Gustav Husäk im hauptstädtischen Parteikomitee heftig an.

Pachman (48), ein „Großmeister des internationalen Journalismus“, mit Herz und Seele Reformer, ein energischer, tapferer Mann in jeder Hinsicht. Schon im August 1969 wurde er verhaftet und saß bis Dezember 1970. Aber sein Prozeß wurde vertagt. Jede publizistische Arbeit ist ihm untersagt.

Zur vierten Gruppe der verhafteten tschechoslowakischen Intellektuellen gehören unter anderen Jifi Lederer, Ladislav Mravec, Frau Helena Stachovä und Frau Agniesza Holland. Der Journalist Jifi Lederer hätte am 14. Jänner 1972 abgeurteilt werden sollen, aber sein Prozeß wurde in letzter Minute vertagt. Auch die anderen hier genannten Personen warten auf ihren Prozeß.

Lederer ist 49 Jahre alt und hat bei den verschiedensten Zeitungen gearbeitet. In der Reformzeit war er Verleger der fortschrittlichen Wochenzeitung „Reporter“, wofür er in hohem Bogen aus der Partei hinausgeworfen wurde. Seine Frau ist Polin und er spricht polnisch. Er kritisierte oft das Gomulka-Regime. Da Lederer und seine Gattin Juden sind, war es ein Kinderspiel, ihn auch noch des „Zionismus“ anzuklagen, wobei jedoch nicht mitgeteilt wurde, gegen welchen Paragraph des Strafgesetzes ein „Zionist“ eigentlich verstößt.

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