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Das absurde Theater

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Heinrich Bolls Definition vom „Kulturfriedhof“ ist zutreffender als das Selbstlob der verantwortlichen tschechoslowakischen Kulturfunktionäre. Die parteiamtliche „Sozialistische Kulturrevolution“ mündete in das große Schweigen der Literaten. Im ganzen 30. Gedenkjahr der „Befreiung“ durch die Sowjetarmee erschien in der CSSR kein einziges überdurchschnittliches literarisches Werk.

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Heinrich Bolls Definition vom „Kulturfriedhof“ ist zutreffender als das Selbstlob der verantwortlichen tschechoslowakischen Kulturfunktionäre. Die parteiamtliche „Sozialistische Kulturrevolution“ mündete in das große Schweigen der Literaten. Im ganzen 30. Gedenkjahr der „Befreiung“ durch die Sowjetarmee erschien in der CSSR kein einziges überdurchschnittliches literarisches Werk.

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Die Masse der Publikationen versuchte vergeblich, über das mangelnde Niveau hinwegzutrösten. Bei mittelmäßigen Schriftstellern war es allerdings eine sichere Garantie für das Erscheinen ihrer Produkte in hoher Auflage, wenn diese eine antisemitische Tendenz zeigten oder gegen die politische Emigration polemisierten. Der „Monat des Buches“ überschwemmte das Land mit russischen Übersetzungen, vorwiegend mit Büchern des „klassischen Marxismus-Leninismus“.

Zugegeben: tschechoslowakische Kinderbücher haben im Ausland, vor allem in Frankfurt am Main und in München, ihrer künstlerisch-graphischen Gestaltung wegen einen Erfolg verbuohen können, obwohl die in den Text eingeschmuggelten militaristischen und politischen Tendenzen Befremden erregten.

Es war ein zweifelhafter „Erfolg“ der Partei, daß zahlreiche namhafte Literaten, besonders ehemalige Funktionäre des Schriftstellerver-bandes, durch Boykott und Hunger zur Selbstkritik gezwungen werden konnten.

Die russische Besatzungsmacht hat ihrerseits literarische Ambitionen und spielt sich als Gönner der — natürlich linientreuen — Satellitenliteratur auf. Vom Olymp der letzten Moskauer Internationalen Buchmesse brachte der stellvertretende tschechische Kulturminister, Vlastimil Kovarik, einen Koffer voll von Auszeichnungen für seine Getreuen mit nach Prag. Alle prämiierten Bücher waren entweder Fachwerke oder sie enthielten politische Propaganda.

Von der Literaturprominenz, die mehrere Jahre in politischen Gefängnissen und in Arbeitslagern verbracht hat, war der Schriftsteller Frantisek Kfelina der einzige, dem erlaubt wurde, seinen Roman „Soud nad Babelem“ für ein baldiges Wie-dererscheinen zu überarbeiten.

Die Samisdat-Literatur blüht, trotz Unterdrückung, schon seit den fünfziger Jahren. Kulturpolizisten faseln über die „Impertinenz“ der daran beteiligten Schriftsteller und Künstler. Heute wagt man nicht mehr, die Todesstrafe für Oppositionelle auszusprechen oder sie jahrzehntelang in Arbeitslager zu stekken, wie einst Professor Josef Kepka, Josef Kostohryz und Vaclav Rene. So sind bisher im Samisdat nicht weniger als 50 Bücher von 30 Autoren erschienen. Manche davon gelangten zu westlichen Verlegern und wurden in Toronto oder Luzern gedruckt, tschechisch oder in Übersetzung. Gedichtbände sind in Rom publiziert worden.

Und die Literaten in den Gefängnissen und Irrenhäusern? Solche gibt es in der CSSR leider auch. Der Publizist Arnost Prazak wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt; andere erhielten Freiheitsstrafen von vier bis sechs Jahren; der TV-Direktor Dr. Vlastimil Vavra befindet sich im Irrenhaus; der Kulturhistoriker Jaroslav Studeny, ein katholischer Priester, der Philosoph Jaroslav Sabata und der Historiker Jan Tesaf, um nur die berühmtesten Namen zu nennen, verbüßen irgendwo Freiheitsstrafen.

Es ist daher kein Wunder, daß der 61 Jahre alte Hrabal und der kranke Sotola, Vater von drei Kindern, seelisch zusammenbrachen und eine öffentliche Beichte ablegten, um weitervegetieren zu können. Die Mehrzahl der „Kulturschaffenden“ hat jedoch den Widerstand noch nicht aufgegeben. Wie lange freilich kann sie sich diesen lebensbedrohenden Luxus noch leisten?

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