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Goldwaschen in Prebburg

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Grenzen haben für den Geist kaum Bedeutung. Sie markieren den Übergang von der einen Spielart menschlichen Irrens und Wirrens zur anderen. In kritischen Phasen gilt es freilich, den Geist zu schützen. Die chinesische Mauer, der römische Limes sicherten das Gedeihen von Hochkulturen. Zur Zeit des Dritten Reiches fiel der Schweizer Grenze dieselbe Rolle zu.

Nur für das Wirken materieller Interessen ist die Grenze bedeutsam. Das Militär sieht eine Linie der Verteidigung, einen möglichen Ausgangspunkt des Angriffs, die Wirtschaft eine Chance, den Zustrom fremder Produktion aufzuhalten. Das Motiv der Angst ist in beiden Fällen offensichtlich. Ihr entspricht, wie so oft, die überschwengliche Tabuisierung. „Unsere heiligen Grenzen“: die Phrase hilft, Zähneklappern zu überspielen.

Der Grenzübergang Petrzalka erinnert gegen neun Uhr abends an die Szenerie eines alten Films. Ein Offizier mit Sonnenbrille führt mit seinen Untergebenen heitere Gespräche. In der Amtsstube bleibt der Schalter eine gute halbe Stunde unbesetzt. Von drei Neonröhren ist eine ausgefallen, dadurch ist die Beleuchtung erträglich. Hübsche Aufschriften heißen den Gast willkommen.

Menschengruppen, die sich plötzlich gezwungen sehen, auf die Erledigung ihrer Angelegenheiten in einer Amtsstube zu warten, unterliegen den gleichen Gesetzen. Jeder einzelne hütet seinen Platz in der Reihe, zeigt aber ein freundliches Gesicht. Der Ausdruck wirbt um Mitgefühl und soll zugleich einen kämpferischen Zug verbergen: Die Stellung wird verteidigt. Die Untätigkeit erlaubt es zudem, die anderen zu mustern.

Danach: die vorgeschriebenen Kontrollen, gründlich, schnell, korrekt. Im Hintergrund glänzen die Lichter der Großstadt Preßburg.

Die Veranstaltung „Roman 87“ versammelt Autoren, Kritiker, Professoren aus einundzwanzig Ländern. Die Burg, in der Maria Theresias Schwiegersohn einst die ersten Bestände der späteren Albertina aufbewahrt hatte, ist beispielhaft restauriert. Slo-wakiens Ministerpräsident, der die Gäste willkommen heißt, erinnert an einen strengen, aber wohlwollenden Lehrer. Der tschechoslowakische Außenminister Bo-huslav Chnoupek betont durch seine Anwesenheit die Wichtigkeit der Tagung; er wird erst am Nachmittag, vor dem Beginn der Beratungen, in Schloß Budmerice das Wort ergreifen. Staatsakte haben ihre eigene Symbolsprache. Die Mächtigen treten als Figuren eines allegorischen Schau-Spiels in Erscheinung. In diesem Punkt hat sich seit der Zeit der Pharaonen nichts geändert.

Chnoupeks Ansprache in Budmerice zeigt, freilich verschlüsselt, die Bereitschaft, im Zeichen von „Glasnost“ und „Perestrojka“ manches zu ändern. Die Rede ist frei von all jenen toten Phrasen marxistischer Dog-matik, die früher einmal sakrosankt gewesen sind. Barrieren, die „aus einer nicht motivierten Voreingenommenheit gegenüber den Schätzen anderer Literaturen entstehen“, sollen abgebaut werden, denn sie wurden „seit der Zeit des kalten Krieges von der kurzsichtigen Politik errichtet“. Er spricht vom „gemeinsamen europäischen Haus“ und schließt: „Diese Idee ist zum Grundaxiom unserer neuen philosophischen und politischen Denkweise geworden.“ Das Wort „neu“ läßt aufhorchen.

Zwischendurch: Spaziergang durch die alte Krönungsstadt. Der Vergleich mit den Eindrücken des letzten Besuches im Jahre 1964 zeigt bedeutende Kräfte am Werk. Der alte Baubestand wurde zum Teil liebevoll restauriert. Die Zahl der Häuser und Straßenzüge, die gerettet werden müssen, ist allerdings immer noch groß. Es mangelt an Geld, nicht an Einsicht; das läßt hoffen. Wichtig sind in diesem Punkt nicht die politischen oder kommerziellen Hintergedanken, sondern allein die Ergebnisse. Die politischen Systeme kommen und gehen, und ihre Ränkespiele versinken in die Vergessenheit, während der Geist, der im alten Gemäuer haust, immer noch spricht.

Freilich muß sich die Hauptstadt der Slowaken zukünftig auch zum österreichischen und ungarischen Erbe offener bekennen. Hier fehlt es an entsprechenden Hinweisen. Man wird eines Tages einsehen, daß das Bewußtsein dieses Anteils an der Entwicklung der Stadt das Slowakische nicht schmälert, sondern bereichert. Die urbs ist immer supranational, und die Kräfte, die andere Völker der Stadt zugeführt haben, vermehren den geistigen Besitz der Slowaken. Die Tradition der Kosmopolis stärkt auch die Nation.

Einundvierzig Wortmeldungen in drei Tagen: der Redestrom ist breit. Der Zuhörer erin-

Burg Preßburg, Sigismund-Tor nert an den Mann, der mit seinem Sieb geduldig im fließenden Wasser steht, in der Hoffnung, einige Gramm Gold zu gewinnen. Die Ausdauer wird dann in der Tat belohnt.

Manches Mal bringt der eine oder andere Vortrag blitzartige Erkenntnisse. Sie beglücken. Das ist der Fall bei der Wortmeldung des israelischen Ästhetikers Max Bilen. Seine These: Die Dinge, die uns umgeben, sind stumm, und wir können diese Stille nicht ertragen; wir müssen die stummen Dinge benennen; so kommt es zur Entstehung der Literatur.

Begreifbar wird auch die offenbar vorherrschende Tendenz des epischen Schaffens. Antonio Blanch aus Spanien spricht über die Postmoderne in der Literatur und beschreibt sie als Verbindung von Mythos und Technik; Myko-las Sluckis, ein litauischer Erzähler aus der Sowjetunion, sieht in der Besinnung auf den Mythos eine Möglichkeit, das eigene nationale Bewußtsein zu stärken; der sowjetrussische Kritiker Wladimir Ognew schildert „die Rückkehr zu den Variationen der menschlichen Seele“ und beruft sich auf Pasternak und Nabokow; der Kritiker Klaus Jarmatz aus der DDR stellt fest, daß in seinem Land die Romanautoren zum Mythos und zum Subjektiven vorstoßen; der tschechische Erzähler Ivan Hudec bekennt sich zu einer Literatur, die „den Geist sprechen läßt“; im selben Sinn kritisiert der bulgarische Ästhetiker Wenko Christow die Romanautoren seines Landes, da sie, mit wenigen Ausnahmen, nur „die Wirklichkeit illustrieren“. Fast alle Ausführungen und Berichte weisen in die gleiche Richtung. Wie im Westen ist auch im Osten eine Umwertung der Werte im Gange. „Wir behaupten immer weniger,daß die große Epik den Menschen vermenschlicht“, sagt in seinem Schlußwort der junge slowakische Romanautor Ladislav Bal-lek, Generalsekretär des slowakischen Schriftstellerverbandes.

Bohumil Hrabal ist anwesend. Sein Leben nach dem Jahr 1968 steht hier nicht zur Debatte. Die Schwierigkeiten, mit denen dieser große Künstler der tschechischen Sprache zu kämpfen hatte, sind bekannt. Er ist nun endlich wieder Mitglied, des Schriftstellerverbandes. Das läßt die Willkür, unter der er zu leiden hatte, nicht vergessen, ist aber ein ermutigendes Zeichen. Hrabal spricht das schöne, slawisch gefärbte Deutsch des alten Prag. Wir werden uns im Frühling des nächsten Jahres — hoffentlich — in Wien wiedersehen.

Wien: das bedeutet die Fortsetzung solcher Begegnungen. Auf Burg Preßburg wird am letzten Abend des Treffens über das Zukünftige gesprochen. Denn die Veranstaltung „Roman 87“ ist auf Grund einer gemeinsamen Initiative der Tschechoslowaken und der Österreicher zustande gekommen.

Während des Kulturforums, das zur Verwirklichung des Vertrages von Helsinki im vorigen Jahr in Budapest getagt hat, wurde von der CSSR-Delegation eine entsprechende Resolution eingebracht. Diese fand bei den Österreichern Unterstützung. Der Slowake Jan Stevcek, Professor für Literatur an der Universität Preßburg, hatte damals, in Budapest, die Idee formuliert, und der serbische Österreicher Zoran Konstantinovic, Professor für vergleichende Literaturwissenschaft in Innsbruck, damals ebenfalls in Budapest, dafür gesorgt, daß Österreich den Vorschlag unterstützte.

Im Herbst des Jahres 1989 treffen wir einander in Wien: Daß wir, vom leichten Weißwein beflügelt, gerade während des abschließenden Empfanges auf Burg Preßburg über das Zukünftige sprechen, das uns stärker verbinden könnte, ist vielleicht kein Zufall. Der genius loci kennt keine politischen Aspekte der gemeinsamen k. u. k. Vergangenheit, wohl aber die Neigungen, Sehnsüchte und Träume menschlicher Seelen. Burg Preßburg ist offenbar nicht der ungeeignetste Ort, alte Feindschaften zu begraben und alte Freundschaften zu erneuern.

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