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Cafe Central in Sankt Veit

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Wir lesen gerührt über die geistigen Zirkel in den Kaffeehäusern früherer Zeiten, von Stammtischen, an denen neue Architektur entstand und neue Poesie, von Konfrontationen und von Verbrüderungen, vom Gründen einer Zeitung während langer nächtlicher Grübeleien, von Adolf Loos und Egon Friedeil. von Peter Altenberg und Anton Kuh, von jenem Kunstkritiker Lew Bronstein aus Russland, der dann unter dem Namen Trotzkij eine ganze Armee kommandierte — ja, wir denken mit Hochachtung, mit Sehnsucht und ein wenig auch neidisch an das legendäre Cafe Central. Auch heute versuchen da und dort junge und nicht mehr so junge Poeten, Maler, Genies und Möchtegerne, einen Stammtisch zu gründen, sich in einem Cafe zu sammeln, aber — seltsam — diese Versuche wollen nicht gelingen.

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Wir lesen gerührt über die geistigen Zirkel in den Kaffeehäusern früherer Zeiten, von Stammtischen, an denen neue Architektur entstand und neue Poesie, von Konfrontationen und von Verbrüderungen, vom Gründen einer Zeitung während langer nächtlicher Grübeleien, von Adolf Loos und Egon Friedeil. von Peter Altenberg und Anton Kuh, von jenem Kunstkritiker Lew Bronstein aus Russland, der dann unter dem Namen Trotzkij eine ganze Armee kommandierte — ja, wir denken mit Hochachtung, mit Sehnsucht und ein wenig auch neidisch an das legendäre Cafe Central. Auch heute versuchen da und dort junge und nicht mehr so junge Poeten, Maler, Genies und Möchtegerne, einen Stammtisch zu gründen, sich in einem Cafe zu sammeln, aber — seltsam — diese Versuche wollen nicht gelingen.

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Fetblt es an Zeit? Ist die geheimnisvolle Spannung zwischen Schwärmerei und Skepsis, also jene ganz bestimmte Vitalität der Kaffeehaus-Geselligkeit, abhanden gekommen? Gibt es kein Bedürfnis nach einem überdachten Marktplatz mehr, nach dem öffentlichen Leben auf der Piazza — denn in den großen Städten des mittleren Europas haben die Kaffeehäuser auch die Funktionen eines öffentlicthen Versammlungsplatzes erfüllt. Sinti die Einsamkeiten so fest, daß sie in einem Cafe nicht gelöst werden können? Wollen sich die neueren Gruppierungen lieber in einem ehemaligen Schlachthof zusammenrotten, wo man sich in keiner Weise „benehmen“ muß (im Sinne der Kaffeehaus-Konvention), wo man gleichsam zwischen vier nackten Wänden von neuem anfangen kann, und zwar radikal: genauso radikal, wie die Arbeiter des Schlachthofes vorgegangen sind bei der täglichen Verwandlung der Schweine in Schweinefleisch?

Oder gibt es für den Mangel an geistigen Konzentrationen in Kaffeehäusern auch noch einen weiteren Grund: die Tatsache nämlich, daß sidh die potentiellen Tischrunden jäfhrlich öfters bei verschiedenen Tagungen und Symposien, Kongressen und Konferenzen treffen können? Könnte es sein, daß Einrichtungen und Veranstaltungen einer dialogisch regsamen Demokratie das Diskutieren in Kaffeehäusern ersetzen?

So soheint es au sein.

Ich bin nun zwei Tage in Kärnten gewesen, in der Stadt St. Veit an der Glan, bei der Veranstaltung „Profile 76“, war gewissermaßen selbst eines der Profile, und dachte teils wortlos, teils aber in vernehmlichen Monologen über die Frage nach, ob denn die Publizistik den Kulturaustausch fördern könne, und wenn ja, dann auf welche Weise. Es wurde in diesen zwei Tagen viel geredet; es wurden neue Freundschaften geschlossen und alte Feindschaften weiter gefestigt; es kam au Verbindungen und Konfrontationen, zu Ubereinstimmungen und zu Animositäten. Zu Ergebnissen auch? Ja, gewiß.

Diese Tagungen in Sankt Veit, von Professor Lorenz Mack alle drei Jahre liebevoll und umsichtig organisiert, haben sich in den vergangenen Jahren ungemein entwickelt. Sie sind international und zugleich gelockerter geworden. Vor vielen Jahren bin ich einmal bereits als Disfcutant dabei gewesen, und damals waren wir — wenngleich in großer Zahl — unter uns, nur aus Villach waren ein paar enthusiasmierte Galeriabesitzerinnen und ideologisch ambitianierte Kunstmaler aur Debatte herangereist gekommen. Diesmal war alles anders: freundschaftlicher und wichtiger, sachlicher und' bedeutungsvoller. Denn es gab wirkliche geistige Begegnungen über so mancherlei Grenzen hinweg.

Zuerst wunde in zwei Arbeitskreisen (man könnte auch sagen: an zwei Stairntischen) diskutiert. Robert Stauffer führte den einen Kreis, Schriftsteller aus der Schweiz, lange in Wien ansässig, nun in Köln daheim, zwischendurch gelehriger Gast Ungarns: ein freundlicher, vorsichtiger, introvertiert wirkender Lyriker, der auch viele Hörspiele geschrieben und äußerst kunstvolle Ubersetzungen vorgelegt hat. Den anderen Kreis leitete Wolf In der Maur, Publizist, seit einiger Zeit Intendant des österreichischen Hörfunks, ein aur fröhlichen Toleranz neigender Mann, mit wohlbegründeten Skeptizismen geigen jede ver-blassene Schwärmerei gewappnet, allerdings: ein Freund vernünftiger Utopien.

Man traf sich also in Arbeitskreisen, bei Eröffnungen und Empfängen, bei öffentlichen Diskussionen und zwischendurch bei den Mahlzeiten, oder beim Schlendern im lauwarm nieselnden Ragen durch winklige Gassen und melancholische Plätze der alten Herzogstadt, wo im 12. Jahrhundert die Sponheimer residiert hatten. So sagt man. Bernhard II. hat die Stadtmauern errichtet. Zwischen diesen Mauern also spazierte in diesen Tagen leise, grauhaarig, elegant und bedeutsam der rumänische Lyriker Anatol Baccnsky — neben dem Serben Vasko Popa, dem Polen Zhignew Herbert, dem Ungarn Sändor Weöres der vierte große Mann der osteuropäischen Poesie. Aus Ungarn waren zwei ganz und gar verschiedene Männer nach Sankt Veit gekommen: der bedächtige, fast pedantische Bei Nemeth, Universitätsprofessor, Germanist, und der lebenslustige, kritische, die Konfrontation suchende Erzähler Gyula Kurucz. Gerade ist seiine Anthologie schweizerischer Autoren in Budapest erschienen. Sein eigener Roman (der Titel lautet in flüchtiger Übersetzung: ,,Der Mann, der den Nebel behaut“) zeigt ihn als einen harten, schwungvollen, aus dem Alltag schöpfenden Surrealisten. Und Radomir Smiljanic war da, aus Belgrad, Verfasser des Romans „Verleumdet Hegel nicht“, dessen deutsche Übersetzung Aufsehen erragte, Smiljanic, der nüdhterne Träumer... Wir haben etwas gemeinsam ausgeheckt.

Man müßte diese Profile aus dem neuen Cafe Central in Sankt Veit an der Glan nachzeichnen, alle, alle. Ein ganzes Grüppehen von Deutschen war nach Kärnten gekommen. Zum Beispiel eine Schülerin des großen Frankfurter Germanisten Paul Stöcklein: die ernste, umsichtige, für das Werk Joseph Roths unermüdlich tätige Ingaborg Sültemeyer, Erforscherin der konkreten Poesie, gewis-senihaft, jeden auagesprochenen Satz wie eine neue Hypothese mit leichter Verlegenheit untersuchend. Oder der Doktor Max Sohulze-Vorfoerg, MdB, ein Weintrinker aus Überzeugung, Abgeordneter der CDU in Bonn, launiger Diskutant und Anhänger der kulturellen Kontakte ganz ohne Dogmen. Es waren Belgier da und Schweizer, Engländer und Italiener, Amerikaner und Franzosen und freilich ein paar Gäste aus dem fernen Wien.

Wir einigten uns auf einen Kulturbegriff, der über Kunst weit hinausgeht und viele Lebensäußerungen miteinschließt; wir kamen zum Schluß, daß persönliche Begegnungen für den Kulturaustausch oft nützlicher sein können als offizielle Abmachungen; wir forderten einen regeren Kulturaustausch nicht nur zwischen den Völkern, sondern auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft. Wir sahen ein, daß eine gewisse Arbeitsteilung unabwendbar ist, deklarierten aber das Recht der Hörer und Seher auf die Mitigestal-tung der TV- und Funkprogrammne. Wir forderten bessere Honorare für die Übersetzer, die für den Kulturaustausch so viel tun; wir fragten, ob denn die Schulen nicht auch Medienkunde unterrichten sollten; wir diskutierten über den Sinn der sogenannten Mintderheitenprograimime im Fernsehen und kämpften für Qualität. Baconsky ließ es nicht an Deutlichkeit und Härte fehlen. (Siehe seinen Essay „pervertierter Begriff?“, Seite 13.)

Politische Manager waren in unserem Cafe Central in Sankt Veit kaum erschienen. Wir waren sozusagen unter uns: Lyriker und Journalisten, Philologen und Übersetzer, Kunsthistoriker und Rundfunkleute, und dazu wir, Schriftsteller, die wir manche Handlungen, Begebenheiten, Spannunigen, Konflikte, Verwicklungen und eine gewisse Art von epischem Geschehen offenbar auch privat, am Wirtshatustisch ersinnen müssen. So kam es dann zu zwei guten Stunden im Extrazimmer eines Gasthofes. Sehr roten Wein tranken wir. Der Musikautomat versorgte uns unentwegt mit süßlichen Melodien. Radomir Smiljanic, der Romancier aus Belgrad, sprach über die Zeitschrift „Sevremenik“ (auf Deutsch: „Gegenwart“), ich erzählte über meine Zeitschrift „Pannonia“, und nun entwickelten wir allmählich einen gemeinsamen Plan. „Sevremenik“ wird österreichische und „Pannonia“ jugoslawische Autoren vorstellen Wir erscheinen ungefähr zur gleichen Zeit. Wir begannen damit, Namen und Titel auf die Papierservietten zu kritzeln, über die notwendige Zeit der Auswahl, der Übersetzung, der Drucklegung nachzudenken, und einigten ums endlich auf den Monat März. Wir wollen dann beide Zeitschriften in Belgrad und in Wien präsentieren, als Zeichen — ja, als Zeichen 'der Freundschaft? Als Zeichen der Solidarität der Schriftsteller guten Willens? Als Zeichen unserer Entschlossenheit, gegen jede Art von chauvinistischem Fanatismus gemeinsam zu demonstrieren?

Man deute unser Duett, wie man es deuten will. Die Österreioh-Numner von „Sevremenik“, die Jugoslawien-Nummer von „Pannonia“ wird bereits vorbereitet. Smiljanic und ich danken den Gastgebern von v Sankt Veit.

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