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ÖFFNUNG NACH SÜDEN UND OSTEN

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Für einen Rückblick auf die Entwicklung des Kunstlebens in der Steiermark der sechziger Jahre besteht eigentlich kein unmittelbarer Anlaß. Es gibt keinen abgeschlossenen Abschnitt, auf den hinzuweisen wäre. Eher könnte man an Hand mancher Tatsachen und Bestrebungen zu zeigen versuchen, welche Möglichkeiten eines zukünftigen Weges sich abzeichnen, wie nun doch die nicht nur verkehrsbedingte Situation der Ahgelegenheit und Isoliertheit durchbrochen wird durch ein geistiges Konzept, das einige Tragweite besitzt: Im „Tri-gon“-Gedanken der geistigen und menschlichen Beziehungen zwischen den drei Nachbarländern Italien, Jugoslawien und Österreich sehen — nach anfänglicher Ablehnung — immer weitere Kreise eine Möglichkeit, die Chance und Aufgabe zugleich ist. Diese Dreiländerbiennale der modernen Kunst in Graz und die weiteren internationalen Begegnungen sind keine Konstruktion von Kulturpolitikern, sie ergaben sich aus einem Bedürfnis, das die Künstler selbst spürten und dem sie durch eigene Initiativen gerecht zu werden versuchten.

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Den Anfang machte das „Forum-Stadtpark“: Gegen stagnierende Kunstvereine, gleichgültige Ämter und verständnisloses Publikum opponierende junge Künstler, die noch kaum hervorgetreten waren, bauten das baufällige Stadtparkcafe zu einem Haus um, von dem seither wesentliche Impulse in das steirische Kulturleben drangen. Der Schwung der Gründungsjahre brachte eine dichte Folge von Veranstaltungen, die heute kaum mehr zu registrieren sind. Es gab vehemente Kritik an den etablierten Institutionen, Kontakte und Diskussionen mit Architekten, Malern und Dichtem, die zu einem Austausch über die Grenzen des Landes hinaus führten. Da entstand das Studentenkabarett „Der Würfel“, und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit den Architekten der Technischen Hochschule, die zu interessanten Ausstellungen und Gesprächen führte, die vielleicht doch einmal das städtebauliche Gewissen der Stadt aktivieren werden. Bis zur Gründung der Grazer Musikakademie war das Forum ein Zentrum des Jazz, wo sich durch manche Preise bekanntgewordene Ensembles zu wöchentlichen Ses-sions treffen konnten. Die Literatur um die beiden Antipoden Hergouth und Kolleritsch und die Forum-Literätur-zeitschrift „Manuskripte“ fand begabten und auch erfolgreichen Nachwuchs: Peter Handke, inzwischen in Deutschland verlegt, aufgeführt und auch dorthin übersiedelt, fand als Enfant terrible der Gruppe 47 große Publicity. Dem Forum verdankte man die Bekanntschaft mit wichtigen Malerpersönlichkeiten von Appel bis Zao Wou-Ki und mit regionalen Gruppen des In- und Auslandes. Gleichzeitig hatten die Maler, Bildhauer und Architekten des Forums Gelegenheit, ihre Arbeit in anderen Städten Österreichs, Jugoslawiens, der Schweiz und Deutschlands zu zeigen. Die Konkurrenz dieser neuen Vereinigung wirkte belebend. An Anerkennung und Kritik fehlte es nicht.

Auf der Suche nach Partnern zum Kunstaustausch streckte das „Forum-Stadtpark“ 1960 die ersten Fühler nach Ljubljana aus und fand dort lebhaftes Echo für seine Bestrebungen. Es muß immer wieder betont werden, wie wichtig und anhaltend hier persönliche Freundschaft war, bevor offizielle Kontakte folgten. Eine Veranstaltungsfolge von Architekturvorträgen, Theater, Musik und eine Ausstellung von Malerei und Plastik machte mit der Moderne im slowenischen Kulturbereich bekannt. Im nächsten Jahr folgte ein Gegenbesuch der Grazer in Laibach. An solchen Kontakten wurde lange Zeit vieles versäumt; daß man sie heute als selbstverständlich empfindet, ist ein wesentlicher Erfolg.

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Aus einem neuen Selbstbewußtsein heraus versuchte man die eigene Kunst abwägend in einem größeren Zusammenhang zu sehen. „Angesichts der Fremde besondere Besinnung auf das eigene Wesen“, formulierte der unermüdliche Initiator des Trigon-Gedankens, Univ.-Prof. Dr. Hanns Koren, die Bestimmung dieses Landes. Aus diesem Gedankengang erfolgte 1963 die Einladung an Italiener und Jugoslawen zu einer Dreiländeraussteliung in Graz. Natürlich kann heute jeder Interessierte die Biennalen von Venedig und Ljubljana besuchen oder die „Nove Tendicije“1 in Zagrab, wo die Ergebnisse einer „Grundlagenforschung der modernen Form“ gezeigt werden. Es sind auch nicht Romantik oder Revisionismus, die die Erinnerung an ein „Innerösterreich“ wieder aufleben lassen wollen, es ist die Notwendigkeit einer geistigen Mitverantwortung für einen größeren Raum, die einer Stadt ohne besonderes wirtschaftliches Potential die Chance gibt, über Enge und Selbstgefälligkeit hinauszuwachsen.

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Die erste „Trigon“-Ausstellung im Jahre 1963 wurde von einer Wiener Pressestimme mit ziemlich schadenfroher Genugtuung als „Fiasko in Graz“ bezeichnet. Ganz zufrieden war eigentlich niemand damit. Am Österreichbeitrag zeigte sich der ungünstige Einfluß des Regionalismus. Man hatte dem jeweiligen Landeskulturreferenten die Auswahl der auszustellenden Werke überlassen. Trotz großer Namen (Boeckl, Kokoschka) wirkte die Ausstellung ziemlich bunt zusammengewürfelt, es fehlten Schwerpunkte, jeder zählte andere Namen auf, die ihm fehlten, und solche, die er überflüssig fand. Von Grazer Konservativen wieder kam in einer Denkschrift der Vorwurf, daß die „nonfigurative Richtung einseitig hervorgehoben“ worden sei. Die Italiener mit Baj, Capogrossi, Dorazio, Guttuso, Lattanzi, Perilli, Santomaso und Vedova fanden mehr Anerkennung, obwohl auch hier nicht alles das zur Verfügung stand, was man gerne gesehen hätte. Von den Jugoslawen hatte man schon früher in denselben Räumen eine Schau slowenischer Malerei gesehen und fand den guten Eindruck nun mit Bernik, Murtic, Protic, Kregar und Pregelj bestätigt. Um der Programmatik willen wünschte man dem begonnenen Unternehmen jedenfalls eine Fortsetzung. Die Einbeziehung neuer Ausstellungsorte, des Burggartens — bisher dem „Sommernachtstraum“ der Grazer Festwochen vorbehalten — und des benachbarten Palmenhauses hatte sich bewährt. Die Gespräche im Rahmen der jährlich im Herbst stattfindenden „Steirischen Akademie“ mit dem Thema „Zeitgeist und Kunst“ pflanzten sich in klärenden Diskussionen fort.

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Trigon 65“ bewies den Vorteil einer straffen Planung. Umbro Apollonio für Iatlien, Zoran Krzisnik für Jugoslawien und Dr. Walter Koschatzky für Österreich wählten für ihr Land je fünf Maler und drei Bildhauer aus. Die Expositionen bekamen durch diese Beschränkung mehr Gewicht. Nicht ein dogmatisches Bekenntnis zu einer bestimmten Richtung oder ein Wettbewerb waren das Ziel, sondern das Aufzeigen verschiedener nebeneinander bestehender Möglichkeiten, die zusammen den Charakter des repräsentierten Landes ausmachen. Avramidis, Hartlauer und Prantl, derselben Bildhauergeneration angehörend, vertraten die österreichische Plastik und zeigten in ihren Reduktionen auf strenge Formprinzipien gut die Qualität österreichischen Bildhauerschaffens, durchaus eigenständig von dem der anderen Länder abgehoben. Die Italiener zeigten die gegossene Pflanzenwelt von Cavaliere, Somaini, mit seiner Spannung zwischen innen und außen, und Trubbianis aggressive Eisenkonstruktionen. Die Jugoslawen brachten Bakic mit „lichtbringenden Figuren“ aus gestanzten Aluminiumplätt-chen zusammengesetzt, Dzamonja mit seinen aus Holz, verschweißten Nägeln und Glas zusammengesetzten Skulpturen und Trsars zu Blöcken komprimierte Menschengruppen. In der Malerei konnte man eher Parallelen finden, etwa in den Bildern von Mikl und Murti6, bei denen Rhythmus und Farbklänge dominieren, oder zwischen Painitz und Alviani, beide der Zahl verpflichtet, der mathematischen Ordnung. Bei den Jugoslawen Hegedusic und Mesco drückte sich das nationale Element stärker aus, so wie bei den Italienern etwa Perilli am meisten der Vorstellung von italienischer Eigenart entsprach. Daneben gab es noch, zum erstenmal für Graz, die Begegnung mit Werken von Dorazio, Lucio del Pezzo und Enrico Castellani.

Der Gedanke, die Nachbarländer Italien, Jugoslawien und Österreich zu intensiveren künstlerischen Begegnungen zu bringen, führte nach den beiden „Trigon“-Ausstellungen zu weiteren erfreulichen Resultaten. Im Sommer 1966 arbeiteten im Schloß Retzhof bei Leibnitz in der südlichen Steiermark einen Monat lang elf von der steiermärkischen Landesregierung eingeladene Maler. DDr. Wilfried Skreiner, Leiter der Neuen Galerie, in dessen Händen die Organisation der Malerwochen lag, war in der Auswahl der Künstler äußerst glücklich. Ihre verschiedenen Temperamente zeigten gut die Vielfalt der Möglichkeiten in der Malerei von heute. Lebhaften Diskussionen folgte keine Nivellierung der Standpunkte, sondern gegenseitige Anregung und Steigerung. Die Ausstellung der dort entstandenen Bilder in der Neuen Galerie in Graz bildete einen erfreulichen Auftakt der Kunstsaison 1966/67.

Die beiden Italiener dieser Begegnung, Lucian Lattanzi und Concetto Pozzati, sind international auch als Theoretiker und Manifestanten nicht unbekannt. Aus Jugoslawien kamen Zdravko Tisljar und Bogdan Mesko, ein geistiger Nachfahre byzantinischer Ikonenmaler. Von den Österreichern war Hans Staudacher (geb. 1923), in Wien lebender Kärntner, der fruchtbarste. „Die Kunst unseres Jahrhunderts ist die Geste“, schreibt er auf eines der 14 größeren Bilder. Er bringt die hingeschriebene verbale Notation mit der graphischen Geste und Collagen in dichten, einfallsreichen Zusammenhang. Uta Prantl-Peyrer malte in Retzhof eine Reihe von „Gebeten“. Ihre von innen strahlenden Bilder, auf denen sie locker gesetzte Farben um einen Konzentrationspunkt vibrieren läßt, laden zur Sammlung ein. Es sind Bilder, die nicht für Ausstellungen geschaffen sind, die einen eigenen Raum für sich beanspruchen. Der Grazer Forum-Begründer Günter Waldorf (geb. 1924) bildet einen starken Kontrast zur Welt Uta Prantls. Es ist ihm gelungen, seine Begabung für die Karikatur nun in einer monumentalen Form in reinen Farbflächen zu realisieren, wobei er sichtlich von der Pop-Art profitiert hat. Zu den österreichischen Teilnehmern zählten außerdem noch Luis Sammer, Siegfried Strasser, Jorg Hartig und die junge Brigitte Wasmeyer.

Während der Malerwochen fänden in Retzhof Gespräche statt, von denen das Afoschlußsymposium mit einem Referat von Dr. Luigi Lambertini über die Biennale in Venedig und die Situation der Kunst das interessanteste war. Er sprach vom „Tod der Avantgarde“, von einer Übergangsphase, in der die Kunst sich befinde. Diese Situation habe die Biennale genau gespiegelt. Ironie und Lächeln aber seien Zeichen einer Zeit des Aufbaues. Durch eine „spielerische Haltung“ würden unnütz gewordene Mythen zerstört. Labertini sieht in dieser heute mannigfach feststellbaren Neigung zum Spiel große Sprengkraft einerseits, anderseits die Möglichkeit neuer Manierismen, die er aber bejaht.

In den Jahren zwischen den „Trigon“-Ausstellungen sollen in Zukunft Personalausstellungen eines Künstlers dieser Länder gezeigt werden, die von Graz in andere Städte weiterwandern. Zoran Music, der in Görz geborene, in der Steiermark aufgewachsene, in Venedig und Paris lebende Jugoslawe, machte den Anfang mit einer schönen Retrospektive in der Neuen Galerie. Music hat ein Leitmotiv, das ihn immer wieder inspiriert: die mediterrane Welt mit ihren Menschen und Tieren, ihrem kargen, steinigen, sonnendurchglühten Boden. Musics Malerei verbindet wie kaum die eines anderen Malers die Tendenzen der Moderne mit einem Engagement an eine bestimmte Landschaftszone. Er malt Zyklen von vorüberziehenden Pferden, von „Rundungen“, in denen man nur noch von fern die bepackten Lasttiere oder arbeitenden Frauen spürt, aber schon Zeichen geworden und als Motiv variiert. Ein Zyklus kreist um die „ausgebrannte Erde“ des Karstes, ein anderer, sehr farbig, aufgelockert, ist aus Cor-tina, und dann die wunderbar visionären „italienischen Motive“.

Music' Kunst ist eine eigenartige Synthese zwischen östlich-slawischer Gefühlsbetontheit und westlich-rationaler Kontrolle der Mittel dieses Gefühlsausdrucks. Vielleicht ist es gerade diese Synthese, die in Graz so überzeugt, die die Brückenstellung der Stadt und die lebhaften künstlerischen Initiativen in der Steiermark bestätigt.

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