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FILMNACHBAR JUGOSLAWIEN

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Während die Filmproduktion des Westens sich dank ihrer kommerziell eingestellten Thematik schon so weit bei den Wiener Filmkritikerexperten durchgesetzt hat, daß mitunter sogar „unartige“ Regisseure, wie Bunuel, Bergman oder Welles, einigermaßen bekannt geworden sind, stehen diese Fachleute — und daher auch das schlecht informierte Leserpublikum — auf unbekannten (und daher lieber erst gar nicht beschrittenen) Pfaden, wenn es um die kdnemato-graphischen Werke aus dem Osten geht. Bei den Russen erinnert man sich irgenwie, von einer legendären großen Stummfilmära gehört zu haben, aus der die Namen Eisenstein, Pudowkin und Dowschenko nebulos auftauchen; etwas besser sind die späteren Werke der „Tauwetterperiode“ nach dem Tode Stalins bekannt. Bei den Polen reicht es eventuell noch zu den Namen der Regisseure Andrzej Wajda und Jeray Kawalerowicz, was ohnedies schon viel heißen will, während bei den Tscbechen — trotz öfterer, von den Haupttageszeitungen jedoch nicht zu Notiz genommener Filmfestwochen bereits öde Leere in den Köpfen der „Experten“ herrscht und das bisher einzige in Wien gezeigte Beispiel des aufstrebenden Filmlandes Ungarn, die faszinierenden „Hoffnungslosen“, ein geradezu groteskes Exempel „mißverstehender“ Kritik dokumentierte. Und schließlich Jugoslawien — wieso eigentlich? Ach, wirklich, Jugoslawien macht auch Filme?

Es mag daher sehr verwundern, warm der Neugierige feststellen muß, daß in Jugoslawien die Entwicklung' des Films ziemlich parallel mit der aller übrigen Länder ihren Weg genommen hat. Wie auch bei uns beginnt die Ära der Kinematographie in Jugoslawien mit den Vorführungen der Brüder Lumiere in Belgrad im Juni 1896, der kurz darauf Vorführungen in Ljufoljana und Zagreb folgten. Allerdings dauerte es dann bis 1905, daß im Lande die ersten eigenen Filmstreifen gedreht werden konnten: es war der bekannte Photograph Milton Manaki, der mit seiner aus England stammenden Kamera „300“ Dokumentär- und Wochenscbau-szenen nationaler Prägung filmte.

1910 entstand dann der erste Spielfilm Jugoslawiens, den eine Gruppe von Belgrader Theaterschauspielern unter Führung von Ilija Stanojeviö schuf, „Karadjordje“', ein nationales Drama, das dem Anführer des ersten serbischen Aufstandes gegen die Türken gewidmet war. 1912 entstanden Szenen aus dem Balkankrieg, ein gelungener Anfang, der sich im ersten Weltkrieg dann erfolgreich in einer Reihe von „Kriegs-journalen“ fortsetzte.

Zwischen den beiden Kriegen gab es eine Reihe von Versuchen zur Schaffung einer nationalen Filmherstellung, besonders in Zagreb — wo eine ganze Anzahl von Spielfilmen entstand, darunter „Matija Gubec“ als zweite abendfüllende Produktion. Materielle Schwierigkeiten und mangelnde staatliche Unterstützung vereitelten jedoch letzten Endes alle derartigen Bemühungen, so daß von einer wirklich bedeutenden Filmära kaum zu sprechen ist. Diese Situation änderte sich schlagartig zu Ende des zweiten Weltkrieges: unmittelbar nach der Befreiung Belgrads schon, formierte die Propagandaabteilung des Obersten Stabes des Heeres und der Partisanentruppen Jugoslawiens am 25. Oktober 1944 eine Filmsektion, aus der dann die gesamte Organisation des heutigen jugoslawischen Filmwesens hervorging. Das erste aufgenommene Material bestand aus Kriegsdokumenten, von denen im Jänner 1945 die „Kinochronik Nr. 1“ zusammengestellt wurde, der erste eigentliche Film der neuen jugoslawischen Produktion. Daneben entstanden dann die ersten Dokumentarfilme und 1946 der erste Spielfilm, „Sla-vica“ von Vjekoslav Afric, ein Kriegsfilm, dem eine große Anzahl ähnlicher Werke folgte. Uberhaupt fand der jugoslawische Film in den Themen aus dem Partisanenkrieg und der Volksrevolution — naturgemäß — zunächst seine grundlegende Inspiration; diese Themen haben sich bis heute größtenteils im einheimischen Repertoire gehalten, wobei sie im Laufe der Jahre und der fortschreitenden (nicht zuletzt filmischen) Entwicklung und des Einflusses von außen genremäßig in immer reicheren Variationen verwendet wurden: der Kriegsfilm als psychologisches Drama, als epische Chronik, als literarische Adaptaerung, als aktionsreiche historisches Geschehen, als Kriminalstoff und sogar als Möglichkeit zur Schaffung von Filmkomödien ...

Erst etwa ab 1964 — von wenigen Ausnahmen wie die Filme von Bostjan Hladnik „Tanz im Regen“ und „Das Sandschloß“ und Aleksandiar Petrovic „Das Paar“ und „Tage“ abgesehen, die zwischen 1961 und 1963 entstanden und sich schon auf Grund französischen Einflusses einer gewissen modernen Filmsprache bedienten — veränderte sich das Bild des jugoslawischen Films in so erstaunlicher Weise, daß man bald im Westen nicht mehr an ihm vorbeigehen können wird. Petrovic drittes Opus, „Tri“. (Drei) aus dem Jahre 1965, in dem zum erstenmal das historisch-patriotische Geschehen eine humanitäre Deutung erfährt, kann vielleicht als Wegbereiter dafür angesehen werden — ebenso das Debüt einer.neuen, jüngeren Regiegeneration, die vom bisherigen Klischee abzugehen und ihren (oder mehrere) Helden in ein psychologisch fundiertes, sozialkritisches und unheroisches Geschehen zu stellen versucht: Dusan Maka-vejev mit „Der Mensch ist kein Vogel“ und Zivojin Pavlovic mit „Povratak“ (Die Heimkehr — der bisher wohl bedeutsamste jugoslawische Film, schon 1964 entstanden, aber zwei Jahre nicht öffentlich freigegeben) als deren bedeutendste Vertreter, daneben Zvonimir Berkovic („Rondo-“), Dragoslav Lazic („Heiße Jahre“) und Nikola Rajic („Die Reise“ in dem Drei-Episoden-Film „Die Zeit der Liebe“). Von diesen und noch anderen neuen Talenten wird die Erneuerung des bereits steril gewordenen und im Schema erstarrten Filmschaffens Jugoslawiens zu erwarten sein, die internationale Anerkennung mit sich bringen wird.

Die beiden jüngsten Filme von Pavlovic und Makavejev, erst vor kurzer Zeit fertiggestellt, setzen konsequent ihre bisher eingeschlagene Linie fort. Der Naturalismus von „Povratak“ (einer furios-harten Schilderung von einem entlassenen jugendlichen Zuchthäusler, der sich von seiner bisherigen „Bande“ abwendet, von ihr verfolgt wird und millieubeddngt zum Scheitern verurteilt ist) weicht einer noch tiefergreifenden, psychologisch noch mehr fundierten, des-illusionierenden sozialkritischen Darstellung des Lebens in den Belgrader Vorstädten in Pavlovic' „Das Erwachen der Ratten“ (Jugoslawiens heuriger Berlinale-Beitrag). Das Leben äst nicht mehr nur düster, schmutzig und brutal, sondern durch echte satirische Lichter vertieft, man möchte sagen „abgeklärt“, also distanzierter gesehen. Immer noch tauchen Symbole auf, die aber deutlich eine Reifung der Ausdrucksweise und der Erkenntnis des Schöpfers beobachten lassen.

Dasselbe ist auch bei Makavejevs neuem Film „Eine Liebesaffäre oder Die Tragödie einer Telephonamtsangestellten“ zu entdecken, wenn auch dessen Stil sich stark von dem Faviovi6s unterscheidet: die — einer in den lokalen Tageszeitungen groß aufgezogenen währen Begebenheit nachgezeichnete — einfache Handlung erzählt von einem Mann, der ein junges Mädchen kennenlernt, es zu lieben beginnt, aber schließlich nach längerem Zusammenleben tötet und die Leiche in einen historischen Brunnen auf der Belgrader Festung, dem Kalemegdan, stürzt (wobei der Film in gewisser Weise offen läßt, ob es sich nicht um einen Unfall handeln könnte). Noch weitaus kühner als die dargestellte sexuelle Freizügigkeit, die weitab von jeder „Pornographie“ steht (nicht jeder nackte Körper ist dafür Voraussetzung), ist der aktuelle Rahmen, den der Regisseur dieser Begegnung gibt und der aus gegenwärtigen und historischen politischen Motiven besteht: Revolutionslieder, im Femseher gezeigte Filmszenen aus der Oktoberrevolution und Plakate mit Bildern von Mao Tse-tung dienen als Untermalung für eine tragisch^gewöhnliche Liebesgeschichte. Hier liegt ein Symbolismus, eine Doppelbödigkeit, die mancherlei Interpretation zuläßt und in ihrer raffiniert-einfachen Zurschaustellung erstaunen läßt.

Nach mehr als 260 abendfüllenden Spielfilmen in Jugoslawien seit der großen Wende im Jahre 1945 beginnt auch hier eine „neue Welle“, die uns noch sehr überraschen wird. Seien wir also darauf vorbereitet und beschäftigen wir uns rechtzeitig mit diesem Filmland, das uns zumindest auf einem zweiten Gebiet, dem des Kurz- und Dokumentärfilms, nicht ganz unbekannt sein sollte. Denn schon über eineinhalbtausend derartiger Kleinproduktionen sind im Laufe von 22 Jahren entstanden, auf den verschiedensten internationalen Kurzfilmfestivals gezeigt worden — und selten ohne Preis wieder heimgekehrt (wie uns zum Beispiel Oberhausen beweist)... Zuerst berühmt wurde der jugoslawische Kurzfilm durch seine Zeichenfilmproduktion mit den heute schon in der ganzen Welt bekannten Namen Vukotic, Mimica, Kristl, Dovnikovic, Kostelac, Kolar und Marks; in der berühmten „Zagreber Schule“ entstanden ab 1956 künstlerische Meisterwerke dieser Gattung, die, weit vom lieblich-naturalistischen Stil Disneys entfernt, in ihrer phantasievoll graphisch^transformderten Gestaltungsweise einen neuen und modernen Weg des Zeichenfilms beschritten und aufzeigten, beispielgebend für die gesamte internationale Cartoon-Technik. Schon ein Jahr später, 1957, gelang der Durchbruch, als Kostelac bei der Oberhausener Kurzfilmwoche mit seinem Zeichenfilm „Die Premiere“ einen Preis er hielt; 1961 erfolgte dann die Krönung der Arbeit mit der Verleihung eines „Oscars“ für VuJcotic' „Das Surrogat“. Heute ist dieses Studio in Zagreb ein internationaler Begriff, der den Künstlern Mut und Selbstvertrauen schenkt.

Der gegenwärtige Stand der jugoslawischen Kurzfllmpro-duktion — im vergangenen Jahr wurden zum Beispiel 168 Kurz- und Dakumentarlflme hergestellt, von denen mindestens ein Viertel höchstes internationales Niveau besitzt — legt ebenfalls Zeugnis von einem Versuch zu einer Wandlung, einer Erneuerung der Thematik, ab — wie weit dies jedoch zum Vorteil gereichen wird, muß erst die Zukunft erweisen. Gerade in der Darstellung ihrer nationalen Probleme, in der Aufzeigung der Generationsunterschiede (Djordjevi6' „Eine Träne im Antlitz“), der sozialkritischen (Goliks „Von 3 bi» 22“) und heroischen Themen lag die Stärke des jugoslawischen Kurzfilms.

Heute beginnt ein gewisser internationaler Einfluß diese klare und reine Linie zu verdunkeln: der Tourismus macht sich breit, die Spekulation auf den Fremdenverkehr verleitet zu „schönen“' Filmen mit landschaftlichem oder folkloristi-schem, bestenfalls kunsthistorischem Hintergrund. Die schöne „Spröde“, die eben das Bestechende, Faszinierende dieser Filme ausmachte, aus denen man mehr über die Sorgen und Nöte, Probleme und Eigenarten des Landes erkennen und herauslesen konnte als durch Reisen und Bücher, beginnt einer neutralen Glätte zu weichen, die jede Eigenart und damit jede „persönliche Note“ auszuschalten beginnt. Doch soll mit solchen pessimistischen Prognosen nicht der Abschluß gemacht werden: Noch immer bringt Zagrebs Zeichenschule Kostbarkeiten von höchstem Niveau hervor wie Dovnikoviä' „Die Neugierde“ oder Zaninovii' „Das Resultat“, noch immer stellen junge Kurzfllmtalente Kunstwerke nationaler Schöpfungen vor, die von dem hohen kinematographi-schen Stand eines und leider viel zuwenig bekannten, dabei doch so nahen Filmlandes zeugen, unseres südöstlichen Nachbarn Jugoslawien...

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