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Auch ein Film aus Österreich

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Die Via triumphalis des Films, sie mag im Schnittpunkt vieler Straßen und Wege aus Italien, den USA, Frankreich, Indien, Japan und sonstwo beginnen, führt alljährlich nach Cannes — wenn dort das „Internationale Festival des Films“ wie im Brennpunkt sammelt, was zum Film gehört. Und das sind nicht nur die dort immer noch gefeierten Darsteller und Regisseure, umlauert von den Photographen und mit Fragen bestürmt von den Journalisten; dazu gehört die Welt des.Kommerzes, die hier in einer merkbaren Machtkonzentration über Filme und Filmgeschehen diktiert, im offenen Gespräch, mehr noch in den Prunkräumen der Prachthotels an der Croisette; und alles ist umschmeichelt von Talmiglanz und Starshow — der Jahrmarktsrummel der Eitelkeiten gehört dazu. Diese einmalige Integration zu erkennen, von ihr soviel als möglich zu erfassen und das filmische Konglomerat zu sondieren, ist die Aufgabe des Kritikers, die von Jahr zu Jahr schwieriger wird, weil die Anzahl der unwichtigen und der möglich bedeutungsvollen Filme in gleichem Maße ansteigt, wie der Glanz neuer künstlerischer Höhepunkte untergeht im Abendschein der Weltkulturkrise.

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Die Via triumphalis des Films, sie mag im Schnittpunkt vieler Straßen und Wege aus Italien, den USA, Frankreich, Indien, Japan und sonstwo beginnen, führt alljährlich nach Cannes — wenn dort das „Internationale Festival des Films“ wie im Brennpunkt sammelt, was zum Film gehört. Und das sind nicht nur die dort immer noch gefeierten Darsteller und Regisseure, umlauert von den Photographen und mit Fragen bestürmt von den Journalisten; dazu gehört die Welt des.Kommerzes, die hier in einer merkbaren Machtkonzentration über Filme und Filmgeschehen diktiert, im offenen Gespräch, mehr noch in den Prunkräumen der Prachthotels an der Croisette; und alles ist umschmeichelt von Talmiglanz und Starshow — der Jahrmarktsrummel der Eitelkeiten gehört dazu. Diese einmalige Integration zu erkennen, von ihr soviel als möglich zu erfassen und das filmische Konglomerat zu sondieren, ist die Aufgabe des Kritikers, die von Jahr zu Jahr schwieriger wird, weil die Anzahl der unwichtigen und der möglich bedeutungsvollen Filme in gleichem Maße ansteigt, wie der Glanz neuer künstlerischer Höhepunkte untergeht im Abendschein der Weltkulturkrise.

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Das nicht zu bewältigende Angebot umfaßte (an den 15 Tagen des Festivals): Das offizielle Programm mit 40 Filmen aus 17 Ländern (Belgien, Bulgarien, Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Italien, Japan, Mexiko, Polen, Spanien, Tschechoslowakei, Ungarn, UdSSR, USA), vermehrt um acht inoffizielle Vorführungen in einer Sonderreihe unter dem Titel Studien und Dokumente, in der ein Überblick über 31 neue amerikanische Undergroundfilme enthalten war. Die Woche der Französischen Kritik, heuer zum 13. Male an der Prograimmabrundung durch Beispiele neuer Filmschaffender beteiligt, brachte 9 Filme; die seit der Cannes-Revolte 1968 wirksame Gesellschaft der Regisseure steuerte in ihrer Zugabe, benannt die Zweiwochen der Regisseure, 35 Filme sehr verschiedenen Grades bei; sie kamen aus 19 Ländern. Eine Abspaltung davon, eingeschleust unter der Bezeichnung Perspektiven des Französischen Films zeigte weitere. 13 Filme. Dazu kam die Überflutung des sogenannten „Marktes“ mit 221 Werken aus 26 Ländern, von dem ein Großteil eher die Bezeichnung „Müll“ verdient als „Film“, aber im kleineren Teil Produktionen, auf Ziele und Richtungen hinweisen, die von mehr bestimmt sind als vom Geschäftsgeist. Man stellt in Cannes mit Karl Kraus fest: „Es handelt sich beim Festival.. .ja, es handelt sich.“ Und dennoch!

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Wenn im Jagen nach objektiverem Eindruck die Übersicht von ungefähr 80 Filmen aus dem Gesamtangebot von 357 gelingt, dann gibt der breite Fächer filmischer Inhalte und Ausdrucksweisen ein mosaikartiges Bild frei, in dem ideologische, künstlerische, gesellschaftliche Vorstellungen Einsichten und Echoformen aus vielen Bereichen ihre Konturen ziehen bis zum Horizont der äußersten Möglichkeiten. Man entdeckt, wie einmal die Kamera ein Auge im

Kopf eines Poeten ist (wie Orson Welles sagt), das andere Mal das mißbrauchte Instrument eines Aasgeiers, zum dritten der optische und geistige Spiegel für Lebensdokumentation von Nahem und sehr Fernem, zum vierten der Transporteur von Ideologiefracht. Exempla trahunt — so seien aus dem Gemenge einige Filme herausgehoben, preisgekrönte und andere, die als Steine im Mosaik erkennbar sind.

Aus den USA kam das nach Frankreich stärkste Angebot, insgesamt 59 Filme; unter ihnen auch mehrere von unbestreitbarem Wert. Der 1933 in Detroit geborene Francis Ford Coppola, bei uns als Regisseur des „Paten“ bekannt, errang

heuer die Goldene Palme für seinen Film The Conversation. Die perfekte Privatspionage, an einem ungeheuerlich erscheinenden Beispiel vorgeführt, ist mit den möglichen Folgen und mit ihrer Verantwortung der Inhalt des Films, der heute durch seine Aktualität nicht nur die Amerikaner erregt. Mit einer komplizierten technischen Einrichtung werden Gespräche eines Paares aus 200 m Entfernung aufgenommen, wobei noch der Spezialist in seinem Labor eine durch Lärm gestörte Stelle heraus-

filtert, die dann den Schlüsselsatz für einen Mord bietet. Coppola begann mit dem Drehbuch schon 1966, ohne damals den später eintretenden Bezug zur Watergate-Afiäre zu ahnen. Stoff, Gestaltung und die Darstellung durch den ausgezeichneten Gene Hackman (durch seine Leistung im Film „Asphaltfolüten“ auch bei uns bekannt) gehen eine chemisch reine Verbindung ein. Der Eindruck von der Bedrohung des Menschen durch die Technik ist stark.

Die ökumenische Jury, zum ersten Male in Cannes tätig als Vereinigung von Vertretern der Katholischen und Evangelischen Filmkommissionen, sprach diesem Film eine lobende Erwähnung aus. Ein Drehbuchpreis der Festivaljury wurde der amerikanischen Produktion Sugerland Express zuteil, die Steven Spielberg inszenierte, der auch das Drehbuch schrieb. Ihm eigentlich geht es um eine Anti-Bonny-und-Clyde-Ge-schichte. Eine junge Frau kämpft um ihr Baby, das sie aus den Händen der Pflegeeltern haben will. Dazu befreit sie zuerst mit List ihren Mann aus einer Haftanstalt. Bei der Verfolgung geraten sie in Schwierigkeit; sie überrumpeln einen Polizeileutnant bei der Perlustrierung, darauf entwickelt sich eine ungeahnte Staatsaktion der texanischen Polizei, die zum Teil ironisiert wird durch die Anteilnahme der Bevölkerung an dem Schicksal der um ihr Kind bangenden jungen Mutter. Das Drehbuch vereint übliche Handlungsweisen und Reaktionen aus dem amerikanischen way of life mit schier skurrilen Einfällen der Auflocke-

rung, die dem zuletzt doch harten Stoff die Erträglichkeit und Anteilnahme sichern.

Der Preis der Jury für die beste männliche Rolle fiel auch auf einen amerikanischen Film, The last Detail (Das letzte Kommando). In dem von Hai Ashby gedrehten Film spielt Jack Nicholson einen Marine-Sergeanten, dem zusammen mit einem jüngeren Kameraden die unerwünschte Aufgabe zufällt, einen wegen Diebstahls zu acht Jahren Ge-

fängnis verurteilten Matrosen vom Standort Norfolk ins Marinegeiangnis nach Portsmouth zu eskortieren. Die kleine Story mit dem langen Weg, verkürzt durch Gespräche über merkwürdige Rechtsnormen und durch amüsante Erlebnisse, führt zu einer kameradschaftlichen Bindung, die am Endpunkt der Reise ihre menschliche Probe besteht. Aufmerksamkeit und Anerkennung gebühren auch dem Streifen von Tom Gries mit dem Titel The Migrants (Die Wanderarbeiter). In ihm kommen soziale Anklage und Mitgefühl durch die realistische Darstellung der Zwangsverhältnisse von Arbeitssklaven auf den großen Gemüseplantagen zu einem erschütternden Ausdruck, der an „Die Früchte des Zornes“ denken läßt.

In die Gruppe dieser Filme, die man ihrem Anliegen oder Gehalt nach als Anruf an den Menschen und Sorge um die humanitas bezeichnen darf, gehört neben dem preisgekrön-ten Faßbinder-Film auch der gefällige französische Streifen von Michel Drach Violon du Bai. Die Gattin des Regisseurs, Marie-Jose Nat, erhielt für ihre Rolle in diesem Film den Preis für die beste weibliche Darstellung. Der Inhalt: ein Cineast dreht mit wenigen Mitteln einen stark autobiographischen Film, der die Vergangenheit, das heißt: die Flucht von Juden in Frankreich während des Krieges, wieder beschwört. Nicht nur der reizende Knabe, der Söhn des Regisseurs und der' Nat, auch die Anlage sorgt für eine ungehässige Verurteilung des Rassismus und hebt anderes hervor.

Besonderen Eindruck machte- der Fi)m von Werner Faßbinder Angst essen Seele auf, dem die ökumenische Jury ihren Preis zusprach und dem auch von der Jury der Fipresci ex aequo mit dem Film von Robert Bresson Lancelot du Lac die Anerkennung zuteil wurde. Der fremd klingende Titel kommt aus dem Text des Films. In einer Szene sagt der Marokkaner Ali, der Fremdarbeiter mit dem guten Herzen und dem kindlichen Gemüt, zu Emmi, der alten Witwe, die er geheiratet hat, weil sie ihm so menschlich und mit mütterlicher Güte entgegenkam: „Du nix Angst — Angst nix gut. Angst essen Seele auf.“ Es geht nicht vier vor in diesem Film, außer, daß die Kinder der älteren Frau sich von ihr abwenden, als sie den ausländischen viel jüngeren Fremdarbeiter geheiratet hat, und daß die Arbeitskolle-ginen (Putzfrauen) sich von der bisher geschätzten hilfsbereiten Kollegin total zurückziehen, und daß nach einem Intervall der Entfremdung die Menschen um dieses ungleiche Paar doch wieder zu einem Kontakt zu den beiden finden. Die Außenseiterkaste der Fremdarbeiter und die Einsamkeit der Alten sind hier die Verbündeten auf der einen Seite der Gleichung, der auf der anderen die fast dauernde Ablehnung gegenüber

steht. Die schlichte, geradlinig erzählte Geschichte, im Stile Faßbinders gestaltet, endet mit dem Sieg der Solidarität, die Angst und traditionelle Vorurteile überwindet. Durchaus ein Stück von Aktualität, im Positiven und Negativen verständlich und als Spiegel für jedermann brauchbar.

Der analytische Film des Spaniers Victor Erice Der Geist des Bienenhauses, der in Wien bei der Viennale gezeigt wurde, gehört in diese Gruppe, in der viel Psychologie am Geschehen mitgestaltet, und der ungarische Film Spiel der Katzen von Kä-roly Makk, der hier eine Art Fortsetzung seines großen Erfolges „Liebe“ versucht, der im Stil der Inszenierung stark der Nostalgie verpflichtet ist und psychologisch von dem ausgezeichneten Spiel der beiden Darstellerinnen, der in Liebe und Streit verbundenen Schwestern, getragen wird.

Neben solchen Werten stehen die Enttäuschungen: unter anderem ein Film von Claude Lelouch, einer von Alain Resnais, der nicht mehr sein „Marienbad“ und nicht mehr nach „Hiroshima“ findet. Auch ein Alexander Kluge dürfte mit seinem neuen Film Gelegenheitsarbeit einer Sklavin mehr Besuchern Befremden und Enttäuschung bereiten als Zustimmung finden, wenn auch sein Film gut gemacht ist und in der Hauptrolle durch die Besetzung mit seiner Schwester eine Garantie besitzt; die Regie geht stilistisch eigenartige Wege, die eher als Ironie oder Umkehrung des Literarischen erkannt werden können denn als freundliche Pfade.

Von dem schwierigsten Film des Festivals Lancelot du Lac, von Robert Bresson in der ihm eigenen asketisch strengen Form inszeniert, wäre viel zu sagen. Daß er außerhalb des offiziellen Rahmens gezeigt werden mußte, hat der Auswahlkommission eine öffentliche Kritik eingebracht; daß er infolge seiner eklektischen Sprache und durch seine zuchtvolle Form dem allgemeinen Verständnis Schranken setzt; daß er dabei in der Darstellung der Kämpfe der Ritter am Artus-<Hofe bei der vergeblichen Suche nach dem Gral an Realismus einer abstoßenden Blutoper nicht nachsteht.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß heuer auch Österreich mit einem Film, wenigstens in den „Zwei Wochen der Regisseure“ vertreten war, mit dem Manifest von Lepeniotis — und daß österreichische Kritiker und die Repräsentanten des ORF zu den eifrigsten Beobachtern zählten. Gleich bleibt alljährlich der Wunsch, daß die in Cannes immer wieder gewonnene Erkenntnis von der Faszination und der Bedeutung des Films endlich auch in Österreich zu einer notwendigen Förderung des Filmschaffens und zur Entwicklung der fehlenden Filmkultur führe, um die sich so viele Idealisten mühen.

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