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Was bleibt?

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Irgendwie steht am Ende eines so überdimensionierten Filmfestspieles wie des Festivals von Berlin die Frage: was bleibt? Welche Erkenntnisse trägt der Besucher mit nach Hause? Denn diese Erkenntnisse wiegen schwerer als die Bären und Pokale, welche die Juroren im Schweiße ihres Angesichts unter endlosen Kilometern von Zelluloid austeilen.

Bissige Zungen haben nach den Themen vieler Filme von einem Festival der „Kinder und Dirnen" gesprochen, veranlaßt durch das Ueberwiegen von Ehe- und Kinderthemen in den Filmen fast aller Nationen von Japans „Pferdejunge“ und „Vaterliebe“ über Dänemarks „Sei lieb zu mir“ zu Englands „Spanischem Gärtner“ und „Frau im Morgenrock“ bis zu Italiens „Fenster zum Lunapark“ und „Väter und Söhne“. Ein Jugendlicher, ein Verwahrloster, der angeblich zum Mörder geworden ist, ist auch der Ausgangspunkt für die mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete amerikanische dramatische Studie „Die zwölf Geschworenen“, dem unstreitig stärksten Film des Festivals.

Brennt das Problem der brüchig gewordenen Familie, das Problem der Kinder, für die die Eltern keine Zeit haben, in der Welt so stark, daß selbst die Filmproduktion daran nicht vorbeigehen will? Oder ist es der natürliche Appell, den Kinder als Darsteller haben, daß man ihre Probleme in den Mittelpunkt rückt? Gleichviel, hier scheint mir eine positive Tendenz im internationalen Filmschaffen zu liegen.

Auch in den Ehedramen überwog der Ernst. Der britische Film „Die Frau im Morgenrock" erhielt nicht nur verdient den Preis für die beste Darstellerin für Yvonne Mitchell. Die durchaus ernste gehaltvolle Schilderung einer Ehe, in die die Gefährdung durch die dritte, jüngere, gepflegtere Frau tritt, ergab ein reifes und wertvölles Filmwerk. Auch hier ist es der 14jährige Sohn, dem der Schritt des Vaters das zu Hause und die Familie rauben würde, der eine wesentliche Rolle in den Motiven für die Lösung spielt.

Eine andere Feststellung: Alle Filme mit wesentlicher Aussage sind Schwarzweißfilme. „Die zwölf Geschworenen“, „Wo alle Straßen enden“, der zweite Amerikaner mit einer brillant gemachten atemberaubenden Autobusfahrt bei Sturm und Hochwasser, die beiden japanischen Filme, die beiden oben genannten Italiener und der britische Film.

Der Wert eines Filmes hängt nämlich nicht von der Farbe aį. Interessant, daß der italienische Film „Väter und SlShne’’" wohl in'Cj.n'e'tnisčbfįfe.W tratzd?Äf;’hlf Schwärz4iäß' gedreW sr Dieser itdSe QWt&‘hnit£ durch fünf Alltagsfamilien mit Vittorio de Sica als einem der Väter bewies, daß auch die Breitwand die Farbe nicht braucht, sondern Einfälle und Schauspieler.

Eine Außenseiterproduktion war auch der Beitrag Mexikos „Felicidad". Die Produzentin Gloria Lozano war die Hauptdarstellerin dieser psychologisch gut durchdachten Professor-Unrat-Geschichte auf Mexikanisch. Es ist ein liebevoll ausgespielter Farbfilm, der aus seinen lustspielhaften Zügen plötzlich in die Tragödie umschlägt. Als das Publikum stürmisch

Beifall klatschte, rannen der Darstellerin in ihrer Loge die Tränen über die Wangen.

Eine seltsame Begegnung war die Vorführung des afrikanischen Films „F r e i h e i t“, zu dem seine Hersteller, ein ganzes Kollegium von Negerfürsten, nach Berlin gekommen waren. Es ist ein ganz naiver Film, ein Laienspiel, in dem die Schwarzen die Sorgen und die Probleme eines Negerstaates in klarem Schulenglisch spielen, eine ganz einfache Handlung rollt im Stile eines Laienspieles ab und die Lösung aller Probleme liegt. in einem schlicht verstandenem Christentum, das jeden zum Rechttun ver- anlaßt. Für uns kaum ein Film, zudem fernab jeder Spannung, aber ein tiefer Einblick in die Mentalität des Negers und in seiner naiven aus dem Denken der Neger entstandenen Handlung irgendwie dem österreichischen „Omaru" Quendlers verwandt.

Ein Denkmal bei Lebzeiten ist auch das photographische Dokument „Albert Schweitzer“, über das man schreiben könnte: „Albert Schweitzer erzählt sein Leben.“ Er erzählt es selber schlicht und zu Herzen gehend und der Film illustriert es mit Bildern aus seiner Jugend, den Stätten, wo er wohnte und wirkte. Dann führt das Bild nach Lambarene und in sejne Heimatstadt im Elsaß, wo der alte Mann noch zuweilen weilt. Kaum ein Film, aber ein einzigartiges, ergreifendes Dokument.

Bei hundert Filmen kann kein Bericht mehr vollständig sein. Der italienische Pseudodokumentarfilm „Das letzte Paradies" vermochte selbst die Jury zu verblüffen und gewann einen Silbernen Bären, Schulz-Kampfhenckls „Allah kerim", mit dem die Jugendfilmfestspiele eröffnet wurden, war das Muster eines sauberen Lehrfilms — eine Ein-Mann- Frau-Studentin-Expedition — und daher um so mehr anzuerkenneri in der guten Farbfilmleistung.

Daß trotz dieser Riesenkonkurrenz die Oesterreicher mit einer Kulturfilmmatinee (vorn „Wiener Essay" bis zu „Waldmüller“ und „Signale im Tierreich") ein Festspielhaus füllen konnten, zeigt, daß der österreichische Kulturfilm Publikumschancen hätte, wenn man sie nützen wollte. i

Geradezu eine Erlösung in dem düsteren, problemübersättigten Festspielprogramm war , dann der heitere amerikanische Beitrag am Schluß: „Das kleine T e e h a u s", die Komödie von der amerikanischen Invasion in die japanische Welt. Marlon Brando, Glenn Ford und Machiko Kyo sind das amüsante Darstellertrio.

49V Was bleibt? Die Feststellung JdętJtÄ JC tholįy,.

ifiddhen Filmbürfts. i dtnJiFilmeä A &iji&fcollti. welche die Probleme der Familie und der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern aufgegriffen hatten.

Die Feststellung, daß sich in zwei Werken die Anerkennungen der weltlichen und der „geistlichen“ Jury begegneten: Der Film „Die zwölf Geschworenen“ erhielt den Preis der OCIC ebenso wie den „großen Preis von Berlin“, Der Film „Die Frau im Mörgen- rock“ erhielt die lobende Anerkennung der OCIC wie den Preis der Filmkritik. Auch diese Ueberein- stimmung der Maßstäbe ist erfreulich.

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