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Die Freiheit des einzelnen

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Zum 10. Male Filmfestspiele Berlin! Das Jubiläum zeigt die Berliner Festspiele konsolidiert, gereift, von gültigem Rang neben, vielleicht sogar vor den älteren Schwestern von Venedig und Cannes.

Seit sich die Staaten in 'Festivals MäiM? sich um die Exklusivität der gezeigten Filme bemühen, reicht das Jahresangebot nicht mehr aus, einem Festival einen echten Wettstreit der besten Leistungen zu bescheren, es kann nirgends mehr der beste Film des Festivals gewählt werden, die Preise sind relativ geworden.

Aber geht es um die Preise? Geht es nicht vielmehr um den Treffpunkt? In Berlin sollen in diesem Jahr die meisten Geschäfte seit Jahren gemacht worden sein. Ist dieses wirtschaftliche Gespräch hinter den Kulissen nicht auch eine Aufgabe des Festivals, der Berlin mehr als andere Orte gerecht wird? Geht es nicht auch um die Übersicht, die Berlin trotz mancher Kritik erfreulicherweise vermittelt?

Die Auswahl der Filme, die nach Berlin gesendet wurden, ließ sich auf ein paar gemeinsame Nenner bringen, die irgendwie signifikant sind. „Neue Welle“ mit Sex gab es in dem französischen Film „Liebesspiele“, der die Festspiele eröffnete und einen Preis bekam. Thomas Mann hat einmal ausgeführt, daß Humor die Erotik neutralisiere, das scheint sich arf diesem frechen, gewagten Lustspiel zu bewahrheiten, die ins Heitere transponierte Dreieckgeschichte wirkt nicht schwül. Konventionelles Gegenstück dazu lieferten die Japaner mit „Frauenliebe“. Aggressiven Existenzialismus beschert Jean Luc Godard mit dem quälenden Bericht über einen Autodieb und Mörder, der seinen unbewäl-tigten Trieben erliegt und von der Polizei gefaßt wird, von seiner Partnerin verraten, ein Kriminalreißer der Handlung nach, ein Abenteuer der Kamera, die subjektiv Impressionen von Paris kurbelt, die Regeln des Aufbaues einer Geschichte verachtet, ein abwegiges Werk, das ebenso Stüm-perhaftigkeit wie Genialität verrät. Die Genialität erkannte die Jury am Ende durch einen silbernen Bären an — „für die beste Regie“ war er freilich nicht verdient. Auch Robert Bressons (Tagebuch eines Landpfarrers!) „Taschendieb“ versucht, die amüsant erzählte Geschichte eines Menschen, der das Recht, zu stehlen, für sich in Anspruch nimmt, zum Bericht einer inneren Wandlung zu machen, und wagt sich, nicht völlig bewältigt, an eine Aussage hinter den Bildern.

Daneben war das Hauptthema der Filme dieses Festivals — und in seiner Häufung ein Symptom für unsere Zeit — die Freiheit des einzelnen in einer Welt der Angst und des Terrors der Umwelt, die — nicht immer ausgesprochene — Wahrheit, daß Demokratie nicht bloß das Recht der Mehrheit, sondern die Achtung der Mehrheit vor dem Recht der Minderheit und des einzelnen ist. Das ist das Thema des brasilianischen Films „Männer von Rio“, der von der Gesellschaft für moralische Aufrüstung mit Laien, Hafenarbeitern, hergestellt wurde und von Streiks berichtet, welche die Arbeiter auf Veranlassung ' terroristischer Grupper dutchführen mußten, bis sie sich dagegen erhoben und zur Einheit mammmkmg^tttn dann der Hauptdarsteller, ein Hafenarbeiter und Gewerkschaftsmann, auf der Bühne des Filmpalastes steht, wenn sein Gegenspieler da ist, der im Film und im Leben Lagerhausverwalter ist, wenn die Frau des Hafenarbeiters auf den Beifall der Zuschauer sagt — wie es die Filmhandlung berichtet hat — sie danke Gott, daß ihr kleines Töchterchen wieder gehen könne.

Es ist dieses Hauptthema, das im argentinischen Film „Teufelstanz“ anklingt, das Staudte mit „Kirmes“, dem einen der beiden deutschen Beiträge zum Festival, mit aller anderer als objektiver Akzentsetzung und mehr Effekten als Aussagen zu heißer Diskussion bringt, und es ist das Thema, das der britische Film „Zorniges Schweigen“ am reifsten und am sachlichsten vor Augen stellt: einen Mann, der bei einem Streik, der von einem Drahtzieher angezettelt ist, nicht mitmacht und durch Boykott und Terror erledigt werden soll. Mit Recht hat dieser Film unter dem demonstrativen Beifall der Zuschauer den Großen Preis der OCIC erhalten und den Preis der Kritiker.

Den Goldenen Bären gab die Jury, der der berühmte Stummfilmkomiker Harold Lloyd vorstand, einem sehr hübschen, fröhlichen Schelmenfilm „Der Schelm von Salamanca“, dem bisher besten spanischen Film, und besten Schauspieler nannte sie Frederic March in dem Stanley-Kramer-Film „Wer den Wind sät“, einer ausgezeichnet gespielten, aber mit falschen Akzenten gesetzten Auseinandersetzung '.wischen eiferndem Sektenglauben und Darwinscher Abstammungslehre, der merkwürdigerweise der Jugendfilmpreis des Senators für Volksbildung zuteil wurde.

Bemerkenswert gut war das Kulturfilmangebot. Neben der „Symphonie der Tropen“ des niederländischen Kulturfilmschöpfers Van der Horst, der einen Goldenen Bären erhielt, eine lose Folge von optischen Impressionen aus dem Amazonasgebiet, hat sich der Schweizer Film „Mandara, Zauber der schwarzen Berge“, die ehrenvolle Anerkennung der Jury ehrlich verdient. Der Goldene Bär für die Kurzfilme galt dem farbigen Zeitlupengedicht zur Musik „Traum der wilden Pferde“ mit Bildern von unwirklicher Schönheit, die Silbernen Bären wurden gegeben für eine staatsbürgerliche Lehrstunde mit Marionetten, geboten in dem deutschen Kurzfilm „Der Spielverderber“, einer einfühlenden Studie „Die Alten“ aus Italien und einer sehr einfallsreich gemischten Bilderfolge aus Argentinien: „Zeitung“. Eine ehrenvolle Anerkennung wurde dem österreichischen Beitrag „Austria gloriosa“ zuteil.

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