7010999-1988_08_13.jpg
Digital In Arbeit

Hits mit Politik

19451960198020002020

Über 400 Filme wurden während der zwölf Tage aufgeführt, darunter solche aus Indien, Südamerika, Rotchina und Südkorea. Auch das Publikum geht wieder gern ins Kino.

19451960198020002020

Über 400 Filme wurden während der zwölf Tage aufgeführt, darunter solche aus Indien, Südamerika, Rotchina und Südkorea. Auch das Publikum geht wieder gern ins Kino.

Werbung
Werbung
Werbung

Die diesjährigen Berliner Filmfestspiele, die achtunddreißigsten, sind ein Festival der Superlative; noch mehr Filme in noch mehr Kinos als bisher. Zugute halten muß man diesem Filmfestival, daß es wie kein anderes in Europa bemüht ist, die Grenzen dieses Kontinents zu sprengen. Neben Beiträgen aus Indien oder Südamerika, die ja hier schon selbstverständlich sind, ließen Filme aus Rotchina und Südkorea aufhorchen.

Aufhorchen ließ heuer auch eine ganze Reihe von politischaktuellen Filmen. Am kinowirksamsten hat es wohl Starregisseur und Oscar-Preisträger Richard Attenborough verstanden, politischen Mißmut auf der Leinwand zu artikulieren.

Der Regisseur, dessen letzte Filme „Gandhi“ und „A Chorus Line“ große Kinoerfolge waren, legte seinem neuen Film „Schrei nach Freiheit“ die authentische Geschichte des jungen Freiheitskämpfers Stephen Biko zugrunde. Angeregt wurde der Regisseur vom Manuskript des südafrikanischen Journalisten Donald Woods, der sich mit Biko anfreundete und nach dessen Ermordung selbst ins Ausland flüchten mußte. Die mit viel Emotion gemachte Geschichte entglitt Attenborough allerdings zu einem Heldendrama, dessen Hauptperson der Weiße Donald Woods wurde.

In anderer Hinsicht aufwühlend zeigte sich Patricio Guzmans engagierter Dokumentarfilm „Im Namen Gottes“, der besonders die Rolle der katholischen Kirche in Chile unter General Pinochet zeigt. Guzman, 1973 selbst inhaftiert und gefoltert, führt mit seinem Film eine Fülle an authentischen Zeugnissen der Gewalt und des Leidens in Chile vor. Nahezu unerwähnt ließ er allerdings die sehr gespaltene Haltung der Kirche dem Regime gegenüber.

Als Spielfilm, aber nicht minder eindringlich, greift der Argentinier Miguel Pereira mit „Die Schuld“ aktuelle Probleme seines Landes auf. Erstaunlich mutige Beiträge waren unter dem Titel „Das offene Kino“ auch aus Südkorea zu sehen: Kurzfilme aus der Zeit von 1984 bis 87, Filme als Mittel des Kampfes gegen die politischen Mißstände auch hier.

Aber auch das gibt es noch: das ungebrochene Vertrauen in den Unterhaltungsfilm herkömmlicher Art - Gott sei Dank. Im Wettbewerb lief James L. Brooks „Nachrichtenfieber“ mit William Hurt und Holly Hunter - die Geschichte eines Aufsteigers im Nachrichtengeschäft. Der junge Amerikaner Andrew Horn zeigte mit „The Big Blue“, wie intelligent man Unterhaltung machen kann: glänzend vor allem die Mono- und Dialoge. Herzzerreißend gut gemacht Norman Jewisons „Mondsüchtig“, glänzend Barbara Streisand in „Nuts... durchgedreht“.

Die Intensität, mit der man der Wirklichkeit mittels Film km nächsten kommen kann, ist wohl am unmittelbarsten im Dokumentarfilm zu spüren. Ganz anders als im Westen ist das Interesse an Dokumentarfilmen etwa in der UdSSR oder in der DDR sehr groß. In Berlin widmete man diesmal dem Dokumentarfilm der baltischen Sowjetrepubliken besondere Aufmerksamkeit. Die gebotene Vielfalt erstaunte, wenngleich ein Teil der gezeigten Filme dem Zuseher viel Bereitschaft abverlangte, sich auf diese Welt einzulassen. Zwei Namen, die man sich merken muß: Herz Frank, der vielleicht bedeutendste Dokumentarfilmer der baltischen Republiken, und Juris Podnieks, Franks Schüler, dessen Film „Ist es leicht, jung zu sein?“ im Westen schon öfters gezeigt wurde.

Wie in diesem Film stand das Thema Jugendprobleme auch in anderen Filmen aus der UdSSR im Mittelpunkt. Uberzeugen konnte auch Jürgen Böttchers (DDR) neuer Film „In Georgien“, eine gewaltige und eindrucksvolle Meditation über dieses Land und seine Menschen.

Erwartungsgemäß waren auch heuer wieder sowjetische Filme stark vertreten, es ist das Verdienst der Festspielleitung, daß sich dieser Dialog in so offener und guter Weise entwickelt. Vorwiegend ging es um „aufgetaute“ Filme. Umso überraschender wirkte Alexander Askoldows „Die Kommissarin“, ein 1967 gedrehter und 1987 fertiggestellter Film, was die dramaturgische und künstlerische Gestaltungskraft angeht. Askoldows bisher einziger Film erhielt auch den katholischen Filmpreis.

Den Großen Preis der Filmfestspiele, den Goldenen Bären, erhielt Zhang Yimovs „Rotes Kornfeld“ (Volksrepublik China), den Spezialpreis der Jury „Die Kommissarin“ von Alexander Askol-dov (UdSSR), mit dem Silbernen Bären wurde Miguel Pereiras „Die Schuld“ (Argentinien) ausgezeichnet.

Zwar nicht im Wettbewerb, aber gut vertreten und aufgenommen war das österreichische Angebot. Karin Brandauers „Einstweilen wird es Mittag“ sei erwähnt wie auch die Präsentation ausgezeichneter Trickfilme von Studenten der Klasse Maria Lass-nig der Wiener Hochschule für angewandte Kunst.

Noch vieles wäre wert, erwähnt zu werden, so etwa Woody Allens feinsinnige Geschichte von der Möglichkeit und Unmöglichkeit menschlicher Beziehungen: „September“.

In über 400 Filmen - auf zwölf Tage verteilt - konnte man wieder Versuche sehen, das Leben mittels Film zu beschreiben. Wie nahe man der Wirklichkeit dabei gekommen sein muß, beweist vielleicht das nicht mehr zu bewältigende Publikumsinteresse.

Der Autor ist Bildungsreferent der Katholischen Hochschulgemeinde Graz, Mitglied der Filmkommission der Diözese Graz und Jury-Mitglied der Internationalen Katholischen Filmkommission.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung