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Produktive Differenzen

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Alle Jahre wieder - seit 1960 -blüht in Wien im Rahmen der Viennale internationales Kino. 13 „Independance Days” schweben Alexander I lorwath vor, dem Direktor des Festivals, der zum letzten Mal das Programm organisiert. Diese Unabhängigkeitserklärung bedeutet eine Absage an Hegemonie in der Kunst zu -gunsten der Vielfalt eines für alles Neue offenen Kinos, einem Gegenpol zum gesellschaftlich „angepaßten” filmischen Einheitsbrei. Für florwath ergibt sich daraus ein „kubistisches Bild” aus „produktiven Differenzen”.

Schwerpunkte sind auch heuer wieder „unabhängige” amerikanische, britische, französische und ostasiatische Filme, und nicht zuletzt ein Bild Europas jenseits von Politik und Wirtschaft. Vom 18. bis 30. Oktober sind rund 150 neue Filme in den Wiener Kinos Urania, Künstlerhaus, Metro, Gartenbau und Stadtkino zu sehen.

Neben dem Hauptprogramm, das unter anderem Filme von Walter Hill („Wild Bill”), David Cronenberg („Crash”), John Carpenter („Escape from L. A.”) und Danny Devito („Ma-tilda”) zeigt, entführen in der Twi-light Zone Regisseure wie etwa Dario Argento mit „La Sindrome di Stendhal”, Abel Ferrara mit „The Ad-diction” oder Peter Jackson mit „The Frighteners” in die Welt der Gangster und Gespenster. Der Neuseeländer Jackson, der vor zwei Jahren mit „Heavenly Creatures” in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet worden war und damit erstmals ein breites Publikum erreicht hatte, entdeckte offenbar neue Seiten an Hollywood und verlieh die Hauptrolle in seinem jüngsten Film - man lese und staune! - Michael J. Fox.

Österreichisches Kino ist durch Leopold Lummerstorfers „Der Traum der bleibt”, Ruth Beckermanns Dokumentation „Jenseits des Krieges” und einige Kurzfilme vertreten: Christian Berger, Manfred Neuwirth und Antonin Svoboda zeigen konzentrierte Detailbetrachtungen des Alltags eines Tiroler Dorfes, ein tibetanisches Notizbuch und die Drogenszene vom Karlsplatz aus der Sicht eines Ex-Junkies. Weiters präsentiert die „Austria Filmmakers Cooperative” eine Auswahl aus ihrem

Präsentationsforum „Leinwand frei!”, die diesmal auf Produktionen von Winfried Wessely, Georg Wasner und Sabine Marte fiel.

Die Tributes gelten heuer jeweils zwei verwandten und doch gegensätzlichen Regisseuren: den beiden Franzosen Andre Techine und Olivier Assayas und den Briten Ken Loach und Mike Leigh.

Techine schwamm in den sechziger Jahren auf der links-modernisti-schen Linie der Nouvelle Vague und machte sich schließlich auf die Suche nach publikumsnahem Kino. Der Durchbruch gelang ihm aber erst

1985 mit „Rendez-vous”, zusammen mit dem Co-Autor Assayas und dessen Lieblingsthema, dem Erwachsenwerden. Von Techine wird neben seinem neuestem Film „Les voleurs” ein Überblick über sein künstlerisches Schaffen der letzten 20 Jahre geboten. Assayas ist mit seinem neuen Film „Irma Vep” und einigen älteren Produktionen vertreten.

Im „Tribute to Ken Loach/Mike Leigh” wird England ein Spiegel vorgehalten. Beide Regisseure porträtieren mit großer Detailtreue Englands Arbeiterklasse und Kleinbürgertum. Während Leigh auch seine Schauspieler kreativ sein und Figuren erschaffen läßt, die er wiederum zu Situationen zusammenfügt (zu sehen sind „Home Sweet Home”, „Naked” und andere), arbeitet Loach, der beim Drehen versucht, durch Überraschungseffekte Spontaneität zu erzielen, auch mit großer äußerlicher Authentizität und unter Einbeziehung der Lebenserfahrung der Darsteller („Family Life”, „Raining Stones”, „Carla's Song” et cetera).

Filmische Unabhängigkeit ist auch im Filmmuseum bei der diesjährigen Retrospektive das Motto: „Before the Code. Hollywood 1929-1934” (1. bis 31. Oktober) zeigt Filme aus der Ära, bevor sich Hollywood den „Produc-tion Code”, die freiwillige Selbstzensur auferlegte, die fortan alles Freizügige, Anzügliche, Anstößige und zu Kritische oder Wilde aus den amerikanischen Kinos verbannte oder zumindest stark einschränkte. In den frühen dreißiger Jahren nahm man sich noch kein Blatt vor die Kamera. Die Filme setzen sich mit Großstadtleben, Prohibition, Gangsterwesen, Sexualität, den Hochs und vor allem Tiefs der Depressionszeit auseinander, sozialkritisch, frech und ausschweifend. Highlights der Retrospektive sind unter anderem Arbeiten von Frank Capra etwa „It happened one night”, Ernst Lubitsch, William A. Wellmans „The Public Enemy”, Tod Brownings „Freaks”, Howard Hawks' „Scarface” und Josef von Sternbergs Filme mit Marlene Dietrich.

Im Opernkino befaßt sich die sechste Jüdische Filmwoche (12.-17. Oktober) mit dem Thema „Judentum und Politik”, woraus sich ein Israel-Schwerpunkt ergab (vertreten durch Frederic Rossifs und Albert Knoblers „Un mur ä Jerusalem”, Victor Schonfelds „Shattered” und andere). Nicht nur Verfolgte und Opfer (George Stevens' „The Diary of Anne Frank”, Phil Reznicks „Survivors of the Holocaust”) stehen im Mittelpunkt, sondern auch politische Akteure. In diesem Zusammenhang werden sogar palästinensische Filme gezeigt.

Weiters sind auch historische Produktionen aus den Jahren 1914 bis 1935 und antisemitische Nazi-Propaganda zu sehen. Eine Welturaufführung erlebt Petrus van der Lets Dokumentation „Wagnerdämmerung”, die sich mit Frauenhaß und Antisemitismus des Komponisten beschäftigt. Die humoristische Komponente bringt John Erman mit „The Sunshine Boys”- auf die Leinwand.

Und für junge Cineasten findet im Votiv- und Kosmos-Kino und im Gloria Center vom 2. bis 10. November das achte internationale Kinderfilmfestival statt, wo im Rahmen der Viennale 15 neue Filme aus aller Welt vorgeführt werden.

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