Lachen oder Weinen?

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Ein turbulentes Film(politik)-Jahr lag zwischen der letztjährigen und der heurigen Diagonale (3.-7. März) in Graz: Aus Anlass des Festivals des österreichischen Films (www.diagonale.at) widmet die furche ihr Dossier dem heimischen Filmschaffen. Neben einer Bestandsaufnahme zum österreichischen Film (S. I) und zum Avantgardefilm (S. IV) sowie einer Retrospektive auf Konflikt und Neubeginn (S. II) finden sich: ein Gespräch mit dem designierten Direktor des Österreichischen Filminstituts, Roland Teichmann (S. II), ein Porträt von Jessica Hausner (S. III) und ein Bericht über heimische Arthaus-Kinos (S. IV). Redaktion: O. Friedrich, M. Greuling

Der österreichische Film setzt seinen internationalen Höhenflug fort - ungeachtet der Probleme, die sich daheim in seinen Strukturen auftun.

Worüber lachen die da eigentlich? Eine ganze Reihe fröhlicher, grinsender, lachender Gesichter huscht über die Leinwand. Der diesjährige Diagonale-Trailer trimmt das Sparfestival auf Heiterkeitskurs. Der Frühling kommt, und alle sind guter Dinge. Und doch lacht da auch der Übermut der heimischen Filmbranche darüber mit, dass die gescheiterte Diagonale von Kulturstaatssekretär Franz Morak die "originale Diagonale" nicht umbringen konnte. Die Filmbranche hat sich auf die Füße gestellt - und richtet von 3. bis 7. März eine um zwei Tage gekürzte Version des Festivals aus. Ohne einen Cent aus dem Geldbörsl von Morak. Dafür aber mit viel ehrenamtlichem Idealismus und Kreativität.

Die Unbeirrbaren

Man könnte sagen, diese beiden Eigenschaften kennzeichnen die österreichische Filmszene seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Michael Haneke, die Spitze des Eisbergs der heimischen Filmemacher, hat jahrzehntelang unbeirrbar seinen Weg verfolgt, bis man in ihm einen der führenden Regisseure Europas erkannt hat - übrigens zuerst in Frankreich, dann erst daheim. Seit seinem Cannes-Triumph mit "Die Klavierspielerin" (2001, drei Hauptpreise) kann Haneke fast jeden Filmstoff realisieren. Sein letzter hieß "Wolfzeit" (2003), sein neuester "Cachée", mit Juliette Binoche. Zu 100 Prozent mit französischem Geld finanziert und womöglich einer der Wettbewerbsbeiträge beim Festival in Cannes im Mai.

Oder Ulrich Seidl, der seit "Hundstage" (2001, Großer Preis in Venedig) von Erfolg zu Erfolg eilt. Sei es in seiner Profession als stilistisch eigenwilliger Semi-Dokumentarist mit "Jesus, du weißt" (2003) oder neuerdings auch als Theaterregisseur mit "Vater Unser" an der Volksbühne Berlin.

Dabei ist der österreichische Film eigentlich weiblich: Barbara Albert hat den Boom mit "Nordrand" (1999) eingeleitet, ihr zweiter Film "Böse Zellen" (2003) enttäuschte die hohen Erwartungen der Kritiker ein wenig. Jessica Hausner, derzeit bei der Fertigstellung ihres zweiten Films "Hotel", beeindruckte 2001 mit ihrem Teenager-Drama "Lovely Rita" in Cannes (vgl. Porträt auf Seite III).

Österreichs weiblicher Film

Genau wie Ruth Mader, die dort mit ihrem Debütfilm "Struggle" rund um den Überlebenskampf in modernen Arbeitswelten für Furore sorgte - und bis dato mehr als 50 Festivaleinladungen weltweit erhielt. Andrea Maria Dusl ("Blue Moon", 2002), Ulrike Schweiger ("Twinni", 2003) oder Bady Minck ("Im Anfang war der Blick", 2002) sind nur einige der Namen, die auf internationalen Festivals bald so bekannt sind, wie Mozartkugeln oder Sachertorte: Was aus Österreich kommt, muss gut sein. Davon ist man sogar in England überzeugt, wo im Rahmen des London Film Festivals jüngst eine Diskussion zum österreichischen Film stattfand. Tenor: Der internationale Erfolg der Österreicher sei so bemerkenswert, dass man Wege finden müsse, um sich von diesem Modell auch für Großbritannien "etwas abzuschauen".

Sozialrealistisches Kino

Welches Modell ist das? Ausgerechnet die Engländer, die mit Regisseuren wie Ken Loach, Mike Leigh oder auch Stephen Frears über sehr genaue Beobachter sozialer Verhältnisse verfügen, stellen Fragen nach dem Rezept des österreichischen Films. Dabei kommt gerade von den jungen Regisseur/ inn/en aus Österreich ein neuartiges sozialrealistisches Kino, das vorwiegend in den untersten Gesellschaftsschichten seine Geschichten findet und sie auch dort belässt. Filme über reiche, wohlhabende Menschen sind selten, Filme über den Mittelstand auch. Am unteren Ende der Einkommensskala wird geforscht, spioniert, seziert und problematisiert. Deprimierende Themen, finden die Kritiker des österreichischen Films. Als sozialen Realismus in Zeiten der Krise beklatschen ihn die Liebhaber.

Am anderen Ende des Spektrums gibt es noch Harald Sicheritz, der mit den bekanntesten Kabarettisten des Landes einen Filmhit nach dem anderen dreht. Von den zehn erfolgreichsten österreichischen Filmen seit 1982 hat Sicheritz gleich fünf gedreht, darunter "Hinterholz 8" (1998, 617.000 Zuschauer) oder "Poppitz" (2002, 441.000 Zuschauer) auf den Plätzen eins und zwei. Hier tut sich eine weite Schlucht auf: Kabarettistisches, lokal erfolgreiches Unterhaltungskino auf der einen, anspruchsvolles, international anerkanntes Kino auf der anderen Seite. Beides hat seine Berechtigung.

Jeder kennt Dorfer, Düringer und Co, doch die österreichischen Filmkünstler können mit deren Bekanntheit im eigenen Land keinesfalls mithalten. Anders als etwa in Frankreich werden Filmer oder Schauspieler oft nicht einmal als Künstler betrachtet. Zu fest sind hierzulande die anderen Künste verankert: Oper, Konzerte oder Theater genießen mehr Publikum als der heimische Film, für den es an Bewusstsein fehlt. Ein Manko, dass sich nicht durch Festivalerfolge in fernen Ländern ausgleichen lässt.

Prophet im Heimatland...

Eine kleine Recherche: Während man sowohl in den USA beim Online-Riesen amazon.com als auch bei dessen französischem Ableger amazon.fr gleich jeweils vier DVDs mit Filmen von Michael Haneke erstehen kann, gibt es bei der Österreich-Website amazon.at gerade "Die Klavierspielerin" zu kaufen. Egal, ob das an Vertrieb, Rechten oder Produktionskosten liegt: Der österreichische Film, er ist in Österreich einfach nicht verfügbar.

Vertriebs-Schwäche

Die wahre Schwäche des österreichischen Films liegt heute längst nicht mehr in der Höhe der Fördermittel, sondern im Vertrieb. In der Bereitschaft großer, potenter Verleiher, bewusst österreichische Filme in großer Kopienzahl in die Kinos zu bringen. Der Marktanteil des österreichischen Films liegt konstant weit unter 10 Prozent, und die drei kleinen Verleiher Polyfilm, Filmladen oder Stadtkino, die österreichische Filme im Programm haben, sind finanziell zu schwach, um das kleine Österreich flächendeckend zu bespielen. Hier müsse die Förderung ansetzen, meint auch Roland Teichmann, designierter neuer Chef des Österreichischen Filminstitutes (vgl. Interview auf Seite II). Denn was nützen Goldene Palmen, Bären oder Löwen, wenn die Filme schließlich niemand zu sehen bekommt?

Stimmt doch nicht! Der ORF... ja, der ORF zeigt nach einer Sperrfrist von knapp 18 Monaten sämtliche Kino-Spiel- und Dokumentarfilme, bei denen er im Rahmen des Film-Fernsehabkommens mitproduziert hat (also in 90 Prozent der Fälle). Nur: Leider meist am Sonntag, spät nachts.

Kein Wunder also, dass der soziale Realismus der österreichischen Filmemacher am Quotenrealismus von Kino und Fernsehen scheitern muss.

Aber die österreichischen Filmemacher lachen trotzdem: Denn noch nie waren ihre Filme so erfolgreich wie in den letzten fünf Jahren: Hanekes "Klavierspielerin" sahen knapp 100.000 Österreicher, Seidls "Hundstage" 105.000. Immer mehr Filme werden mit anderen europäischen Ländern koproduziert, was den österreichischen Film zusätzlich internationalisiert. 2003 erhielten 33 Filme über 250 Festivaleinladungen, von Cannes bis Locarno, von New York bis Toronto. Die Serie hoffnungsvoller Filme reißt indes nicht ab: Auf der Diagonale reüssieren die neuen Filme von Michael Glawogger ("Nacktschnecken"), Michael Sturminger ("Hurensohn"), und Götz Spielmann ("Antares"), für heuer werden neue Werke u.a. von Andreas Gruber, Wolfgang Murnberger und Elisabeth Scharang erwartet.

Da hat man gut lachen. Und auch, weil die Ausrichtung der Diagonale gegen den Willen und ohne Unterstützung der Bundespolitik ein wichtiger Etappensieg auf dem Weg zu einer selbst bestimmten, unabhängigen Filmszene in Österreich ist.

Doch abseits dieser Errungenschaft müssten viele Faktoren eigentlich zum Weinen stimmen: Denn trotz der gelobten Gesprächsbereitschaft zwischen Staatssekretär und Filmbranche nach dem Diagonale-Streit, will an ein friedliches Miteinander (noch) niemand so recht glauben.

Der Kinomarkt ging 2003 in Österreich insgesamt um acht Prozent zurück, was wiederum den Verleihern Verluste bringt.

Viele Produzenten können Filme heute überhaupt nur mehr finanzieren, wenn sie in anderen Ländern Subventionstourismus betreiben. Die so entstehenden Koproduktionen laufen schnell Gefahr, zu unrunden "Euro-Puddings" zu verkommen.

Und darüber thront das wohl mächtigste Problem: Das GATS-Abkommen hat die Zurückdrängung des öffentlichen Bereichs sowie die Kommerzialisierung des gesamten Dienstleistungssektors zum Ziel. Auch der geförderte Film ist davon betroffen und fällt nach den Plänen der Welthandelsorganisation WTO unter die "Telekommunikationsdienste".

Bleibt die Frage, wie österreichische Filme in Hinkunft produziert werden sollen, wenn öffentliche Fördermittel dafür nicht mehr oder nur begrenzt eingesetzt werden dürfen.

Aber die Branche lacht. Einleuchtender als der deutsche Popmusiker Herbert Grönemeyer könnte man dieses Lachen wohl nicht erklären. Wie singt er doch so treffend? "Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht."

Infos zum österreichischen Film:

www.afc.at, www.filminstitut.at

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